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Titelseite der nmz 2016/05.
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Feigenblatt oder Essenz des Musiklebens ?

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Zur Frage der Wertschätzung von Musikvermittlung · Von Lydia Grün
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Ob moderierte Konzerte für Kinder, partizipative Tanz- und Musikprojekte mit Jugendlichen, inklusive Musikfestivals oder Kammerkonzerte im Lounge-Ambiente – unter dem Etikett „Musikvermittlung“ firmiert eine schier unerschöpfliche Bandbreite an Formaten. In den vergangenen Jahren hat sich die Musikvermittlung als Profession sichtlich etabliert. Kaum ein Orchester, das nicht ohne Stolz auf seine Education-Arbeit verweist, kaum ein Festival, das auf Angebote für Kinder, Familien und Hör-Akademien verzichtet, kaum ein Opernhaus, das nicht Schulklassen in Workshops und Vorstellungen einlädt. Mittlerweile zählen über 90 Prozent aller größeren und mittleren Klangkörper im deutschsprachigen Raum Vermittlungsangebote zu ihrem Portfolio.

Auch in der aktuellen Debatte „Flüchtlinge in Deutschland“ nehmen Orchester, Bühnen und freie Ensembles eine aktive Rolle in ihren Städten und Gemeinden ein, öffnen ihre Konzerte und Häuser, entwickeln Angebote vom Flüchtlings-chor bis zum Konzertpaten – als Einladung für die Menschen, die neu angekommen sind, und für die Vielzahl der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer. In der Regel sind es die Education-Abteilungen gemeinsam mit Musikerinnen und Musikern, die diese Angebote initiieren und umsetzen – so, wie es ihre Aufgabe und ihr Selbstverständnis ist. Musikvermittler verstehen sich als Türöffner und, so scheint es, sind in dieser Funktion aktuell gefragt wie nie.

Da scheint es geboten, die Frage nach dem Wert zu stellen, der Vermittlungsaktivitäten im Musikbetrieb beigemessen wird. Unter welchen Bedingungen wird hier produziert und gearbeitet? Welche Strukturen sind es, die ein neues, begeistertes Publikum befördern und dabei helfen, Musik im Kontext von Gesellschaft nachhaltig ins Bewusstsein der Menschen zu rücken?

Bei der Diskussionsrunde „(Wert)Schätzung von Musikvermittlung“ auf der Themenbühne von Deutschlandradio, Musikrat und nmz im Rahmen der Frankfurter Musikmesse mit Marina Pilhofer (Staatstheater Nürnberg), Susanne Hilger (PwC Stiftung) und Steven Walter (Podium Festival Esslingen) war der gemeinsame Nenner sofort klar: Eine vermittelnde, also einladende Grundhaltung ist integraler Bestandteil ihres täglichen Tuns. Aber – im Kleingedruckten liegt die Crux: Vermittlung als konsensuale Haltung sagt noch lange nichts darüber aus, wie ihre tatsächliche Verortung im Musikbetrieb angelegt ist. Das Beispiel des Staatstheaters Nürnberg mit fest angestellten Musiktheaterpädagogen am Haus und einer breiten Unterstützung durch die Orchestermitglieder und den Generalmusikdirektor beschreibt eher die Ausnahme von der Regel.

Offene Angebote für Kinder, Jugendliche, Familien und darüber hinaus werden vom Publikum stark nachgefragt. Entsprechende Konzerte sind in der Regel schnell ausverkauft. Dieser äußerlich sichtbare Erfolg verschleiert jedoch die Tatsache, dass Musikvermittlung an festen Häusern oft nur durch Drittmittel-Akquise möglich gemacht wird. Das ist oft selbst dann der Fall, wenn die Education-Stelle (selten genug) im festen Budget verankert ist. Gleichzeitig wird das Engagement in diesem Bereich als schlagendes kulturpolitisches Argument für die Legitimation von Kultur-Ausgaben in kommunalen Haushalten genutzt. Dabei wird genau das verhindert, was die Qualität in der Vermittlung eigentlich ausmacht: Kontinuität in der Beziehung zum neuen (jungen) Publikum, Kontinuität in der Beziehung zu den Lehrkräften an den Schulen einer Stadt und vor allem Kontinuität in der Beziehung zu den Musikerinnen und Musikern eines Hauses, den wichtigsten Partnern bei der gemeinsamen Entwicklung guter Produktionen.

Es drängt sich die ketzerische Frage auf: Sprechen wir bei Musikvermittlung wirklich von einem Essential oder ist es nicht doch nach wie vor ein „Add on“? Ein kulturpolitisches Feigenblatt, das man sich vorhält, um sich – bei Bedarf – mit seinen Anstrengungen für neue Zielgruppen zu brüs-ten, es ebenso schnell aber wieder ablegt, um sich dem „Kerngeschäft“ zuzuwenden? Dabei spielt auch eine Rolle, dass „Education“ häufig mit „Audience Development“ verwechselt und bei ausbleibenden quantitativen Effekten – also mehr und anderes Publikum im „normalen“ Abo und Kartenverkauf – dann wieder in Frage gestellt wird.

Die Förderer machen es vor: Susanne Hilger von der PwC-Stiftung berichtete im Rahmen der Diskussionsrunde in Frankfurt von einer wachsenden Bereitschaft von Stiftungen und Öffentlicher Hand für notwendige Förderkooperationen. Die gleichzeitig geforderte Flexibilität seitens der Kulturschaffenden wird von vielen Akteuren, Initiativen und Institutionen im Feld der Musikvermittlung gelebt: PISA? Inklusion? Zuwanderung? Demenz? Da fragen wir mal in der Musikvermittlung, ob die schnelle Pfeile dafür im Köcher hat. Und sie hat sie: Durchaus lustvoll verstehen es Musikvermittler neue Themen für das Musikleben zu erschließen, in Zusammenarbeit mit anderen Sparten, Disziplinen und in (schulischen) Strukturen.

Auf diese Weise fächert sich der fest verankerte Kulturbetrieb frischen Wind zu, reüssiert an kulturpolitisch relevanten Stellen und schmückt sich mit pressegängigem emotionalen Bildmaterial. Trotz der Diskrepanz zwischen der Außendarstellung und der Bereitstellung entsprechender Ressourcen findet in kaum einem anderen Bereich so viel Engagement, Passion, kreatives Ausprobieren und Infragestellen statt. Es ist der Vermittlung zu wünschen, was Steven Walter für sein Podium Festival am Ende des Gesprächs in Frankfurt resümierte: „Wir haben ein wunderbares Produkt und mit unserem Festival wirklich durchschlagenden Erfolg. Nach sieben Jahren stellt sich aber auch die Frage nach der Wertschöpfung. Es muss ein professionelles Arbeiten geben, das nicht auf Selbstausbeutung beruht.“  

Fazit: Der Wertschätzung der Musikvermittlung muss nun ein tatsächlicher Wert in künstlerischer Zusammenarbeit, struktureller Verankerung und in der finanziellen Wertschöpfung folgen. Und das geht nur über eine Neuordnung des Kulturbudgets.

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