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Stach aus der Band von Jacques Schwarz-Bart bei der Overseas Night hervor: Melanie Charles. Foto: Ralf Dombrowksi
Stach aus der Band von Jacques Schwarz-Bart bei der Overseas Night hervor: Melanie Charles. Foto: Ralf Dombrowksi
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Geschäfte, viel Musik und eine Willenserklärung

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Zum neunten Mal fand in Bremen der Branchentreff jazzahead! statt
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Der Taxifahrer war ahnungslos. Jazzmesse? Jazzahead? „Was ist das –Tschöss?“ In der Tram sah es besser aus. Plakate der jazzahead! in jedem Wagen und man konnte sogar ein Übersichtsprogramm mitnehmen. Fast beschlich einen das erhebende Gefühl, keiner seltenen Minderheit anzugehören, die eigentlich unter Schutz gestellt werden müsste. Je näher man der Bremer Messe kam, desto höher wurde die Plakat-, Fahnen- und Leuchttafeldichte. Eine schwere Hürde hatte die freie Hansestadt aber noch aufgebaut. Bevor Musiker und Besucher ihr gallisches Dorf betreten und vier Tage ausgelassen feiern konnten, galt es, diese Klippe unter Gefahr für Leib und Hörvermögen zu überwinden. Zwischen Hauptbahnhof und Halle 3 stand bunt und lärmend die Bremer Osterwiese. Ein Volksfest mit dumpfen Elektrobeats und scheppernden Ohrwürmern. War diese Hürde konsumfreudiger Massenkultur durchschritten, öffnete sich die Glastür zum Jazzerparadies.

Der internationale Branchentreff für alles, was sich um Jazzmusik dreht, fand heuer zum neunten Mal statt. Partnerland war Dänemark, das sich am ersten Tag mit acht Formationen von der sechsundzwanzigköpfigen „Blood, Sweat, Drum + Bass“ bis zum powervollen Stilmix des originellen Trio „Ibrahim Electric“ und einem großen Konzert mit der Sängerin Gitte Hænning und der Big Band des WDR im Konzerthaus „Glocke“ präsentierte. Als erstes nordisches Land stellten die Dänen ihre stilistisch und musikalisch enorm vielfältige Szene vor. Während am Fachstand, den mehrere Organisationen und Labels gemeinsam betrieben, noch mit dem „elder statesman“ des zeitgenössischen Ethnojazz Pierre Dørge geworben wurde, stand an einem weiteren, von Sponsoren mitgetragenen Stand auf der Zwischenebene Touristisches im Mittelpunkt. Dazu gehörte auch die Verlosung von Freikarten für das Copenhagen Jazz Festival.
Landestypische Verlockungen spielten auch beim Südtiroler Jazzfestival Alto Adige, dem ansehnlichen österreichischen Gemeinschaftsstand und der „Jazzalliance“ eine anziehende Rolle, als nachmittags die Korken eines frischen Pfälzer Weins ploppten. Neben dem Jazzverband Baden-Württemberg e.V. bildet die Alliance aus dem Dreiländereck um Mannheim die zweite Repräsentanz des süddeutschen Bundeslandes. Insgesamt waren etwa 40 Länder aus drei Kontinenten, darunter Nord- und Südkorea, auf der Messe vertreten. Daneben stieß man auf wenig bekannte Archive, einzelne musikalische Projekte, zahlreiche Labels und Musikverlage und skurrile Einzelgänger, wie den kanadischen Trompeter Mike Field. Gemeinsam mit seiner Frau und Managerin, einer Neuseeländerin, warb er vier Tage unermüdlich für sein Quintett. Ganz ohne festen Platz kam Sänger Michael Schiefel aus. Im stylisch karierten, grünen Anzug, seinem Markenzeichen, lief er durch die Hallen, um für sein neues Album „Platypus Trio“ zu werben.
Ein anderes Vorhaben hatten die Münchner Stefanie Boltz und Sven Faller im Auge. Mit ihrem Duo „Le Bang Bang“ gehörten sie vergangenes Jahr zum Showcase-Programm der jazzahead! Als Promotion für Boltz’ Solo-CD plante der GLM Musikverlag Video-Interviews. Auf Vorschlag des Kameramanns drehten sie diese während einer Fahrt mit dem Riesenrad in einer Gondel. Bereits beim Anblick des himmelhoch aufragenden Rades bekamen die beiden Instrumentalisten Fracksausen, das sich während der Fahrt noch verstärkte. Grün um die Nase, führten sie dennoch die Aufnahmen mit schlotternden Knien zu Ende.

Nicht nur Geschäftsverhandlungen, Eigenwerbung und die Neugier zahlreicher Besucher bestimmten das Bild der gut bestückten Messe. Vor allem in der nordischen Ecke kam es gelegentlich zu spontanen musikalischen unplugged-Eruptionen, die zur sofortigen Traubenbildung führten und viel Beifall fanden. Auf drei Bühnen und bei der über die Stadt verteilten „jazz-ahead! Skoda clubnight“ fanden insgesamt über 100 Konzerte statt, darunter eine Reihe von Bigband-Konzerten. Entschwebte das Trio des Schweizer Pianisten Colin Vallon mit seinem minimalistisch-traumhaften Pianospiel in unbekannte Sphären – und nahm dabei seine hingerissenen Zuhörer mit – sprang das österreichische Quartett „Kompost 3“ mitten hinein in den Jazzdreck. Angesiedelt zwischen Punk, Blues, Noise und Funk, erinnern ihre mächtigen Grooves und ungehobelten Rhythmen an die 90er-Jahre mit Gruppen wie „Medeski, Martin & Wood“, John Zorn und „Alboth!“ In eher ungewohnter Besetzung mit Viola, Saxophon, Gitarre und Piano klang das zwischen feiner Poetik und tempogeladenen Improvisationen angesiedelte niederländische „Estafest“-Quartett frisch und süffig wie ein obergäriger Federweißer. Kleine, feine Entdeckungen bildeten die slowenische Pianistin Kaja Draksler, das Trio „Trifolia“ der energiesprühenden kanadischen Pianistin und Akkordeonspielerin Marianne Trudel, aber auch das afrikanisch-nordische Bandkollektiv „Monoswezi“ mit seiner spannenden Verbindung von ethnischen Klängen des südlichen Afrika – Mosambik und Zimbabwe – und spritzigen Improvisationen.

Neben Geschäften und einer wunderbaren Fülle an Musik steckten eine „Willenserklärung von Musikern und Veranstaltern im Jazz“ und eine Sitzung der Bundeskonferenz (BK) Jazz einen wichtigen kulturpolitischen Rahmen der Festival-Messe ab. Mitglieder der BK Jazz stellten das, von einer Reihe von Clubs, Initiativen und Einzelpersonen unterzeichnete Papier (Willenserklärung) bei einer Podiumsdiskussion vor. Wichtigste Forderung darin ist eine Mindestgage in Höhe von 250 Euro als Einstiegshonorar für – professionelle – Musiker. Gekoppelt ist dieser als notwendig angesehene Standard, der von der UDJ (Union Deutscher Jazzmusiker) ausgearbeitet worden ist, an einen Appell an Kulturpolitiker im Bund, in den Ländern und Kommunen nach einer wesentlich verstärkten Förderung von Clubs und Spielstätten. Mitunterzeichner der „Willenserklärung“ sind auch die Deutsche Jazz Föderation (DJF) und etliche bayerische Clubs, die allerdings nicht auf der Messe vertreten waren. Als Sprecher der BK Jazz sind bei deren Sitzung Wolfram Knauer, der Leiter des Darmstädter Jazzinstituts und die Projektleiterin Berliner Jazztreff, Franziska Buhre neu und UDJ-Vertreter Felix Falk wiedergewählt worden.

Gewählt wurden auch Mitglieder für die Jury zur Vergabe der Spielstättenprogrammpreise, die heuer am 17. September verliehen werden.

Weiter Informationen unter  www.jazzahead.de

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