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Gilgamesch: Oder wenn Götter tanzen lernen

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Fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Komponist und Kinderchor
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Schon seit 1995 versucht der Arbeitskreis Musik in der Jugend sich besonders für neue Musik für Kinder- und Jugendchöre zu engagieren. Er rief ein Projekt mit dem Namen: „Komponisten schreiben für Kinder- und Jugendchöre” ins Leben, das zum Ziel hat, neue Impulse in der Chormusik zu setzen. Es werden Kooperationen zwischen einem Komponisten oder einer Komponistin und einem Chor gebildet, die ein Jahr zusammen arbeiten sollen, um ein neues Stück gemeinsam (!) zu erarbeiten.

Zwischen dem ökumenischen Kinderchor aus Neustadt an der Weinstraße und Uli Führe kam es zu einer intensiven Begegnung, aus der heraus nicht nur ein neues Projektstück, sondern ein ganzes Musical zur Uraufführung kam. Jörg Ehni, der den Text zu diesem Werk geschrieben hat, berichtet von seinen Erfahrungen:

„Kennst du Carola Bischoff?“ fragte mein Freund Uli Führe. „Sollte ich sie kennen?“ fragte ich zurück. „Sie macht unseren GILGAMESCH.“ – „Was? Wo? Wann?“ – „In Neustadt an der Weinstraße, am 18. September!“ – „Mit wem?“ – „Mit einem Kinderchor“. – „Wie bitte?“ – „Jungen und Mädchen, sechs bis zwölf Jahre alt.“ – „Du spinnst wohl, das ist unmöglich. Das geht nie!“ – „Es geht. Ich war bei einer Probe dabei.“ – „Bist du sicher?“ – „Ziemlich sicher.“

So kam ich Mitte Juni nach Neustadt: Es war Donnerstag und ich kam zur GILGAMESCH-Probe mit der Kinderkantorei. Die Kinder sangen wie die Nachtigallen. Dabei sind die Chöre nicht gerade einfach, und bei den Solisten gibt es ausgesprochen haarige Stellen. Kein Problem für Carola Bischoffs Kinder. Sie sangen so sicher, so selbstbewusst und mit einer solchen Freude, dass ich am liebsten gleich mitgesungen hätte.

Dann kam der Abend der Aufführung. Die Generalprobe war noch eine richtige, dreistündige Arbeitsprobe gewesen, aber jetzt lief alles wie am Schnürchen. Ich hatte den Text am Schreibtisch in den PC geschrieben. Nun konnte ich hören und sehen, ob und wie er sich bewährte.

Die Aufführung war gut besucht. Natürlich war viel Verwandtschaft der Kinder da. Ein „Heimspiel“ also. Trotzdem waren Spieler und Publikum ernst und konzentriert bei der Sache. Das Spiel hatte von Anfang an Tempo und Temperament. Es war farbig und abwechslungsreich. Sentiment und Spannung ergänzten sich zu einer guten Mischung. Ulis Musik brachte die Stimmungen wunderbar zum Ausdruck. Ich kenne ihn schon lange, aber ich bewundere immer wieder, wie sensibel er dem Text nachspürt und seine Nuancen zum Erklingen bringt. Viele Lieder meint man sofort nachsingen zu können. Man meint. Aber so einfach ist das nicht. Denn die Einfachheit ist raffiniert komponiert und alles andere als banal.

Souveräne Protagonisten

Der Kinderchor (das Volk von Uruk) sang sauber und sicher in allen Bereichen. Auch die Solisten sangen ausgezeichnet. Sie hatten, kaum sichtbar, Mikrofone versteckt, die gut eingestellt waren und gute Dienste leisteten. Besonders bei Gilgamesch stand der wilde Bart in einem fast grotesken Gegensatz zu der hohen Kinderstimme. Aber das war nicht störend. Es gewann einen eigenen Reiz und eine ganz spezifische ästhetische Qualität.

Das Liebespaar Enkidu und Shamat löste manches Tränlein aus. Es war unbeschreiblich rührend, wie diese beiden miteinander umgingen, sich ansahen, sich streichelten und ihr Liebeslied sangen. Sie liebten sich in diesem Augenblick wirklich und sie zeigten es mutig und zugleich mit einer scheuen Befangenheit. Aber sie genossen es auch. Shamat ist eine Spielerin, die echte Gefühle zeigen kann, und Enkidu steht ihr kaum nach – eine Seltenheit in diesem Alter.

Dann fegte die Liebesgöttin Ishtar mit einer Kraft und einem Temperament über die Bühne, dass die Funken stoben. Es hätte mich nicht gewundert, wenn die Glasfenster plötzlich geborsten wären – bei dieser Stimme. Ihr Stier wurde von einem Erwachsenen gespielt. Das passte zur Rolle, weil die so unterschiedlichen Kraft- und Größenverhältnisse zutreffend dargestellt werden konnten. Ishtar hatte ihre liebe Mühe mit dem Riesenvieh, und die beiden Kämpfer Gilgamesch und Enkidu hingen wie Flöhe an seinem zottigen Pelz. Auch der Fährmann, gespielt von einem jungen, schwarz geschminkten Mann, mit schwarzem Mantel und Schlapphut, wirkte mit seiner tiefen Stimme und durch seine Größe als unheimlicher und allmächtiger Herr über Leben und Tod. Carola Bischoff führte die Sänger und Spieler sicher durch alle Untiefen und Felsenriffe. Caroline Leibfried begleitete am Klavier und spielte ihren schwierigen Part scheinbar mühelos.

Das Publikum fand kaum eine Stelle für Zwischenbeifall, denn es ging immer gleich weiter, und man wollte ja nichts versäumen. Eine Stunde und vierzig Minuten saß es mitsamt den mitgebrachten Kindern gebannt in den Kirchenbänken und ließ die Musik und die Bilder der alten, archaischen Geschichte fast andächtig auf sich wirken. – Dann brach der Beifall los. Ein großes Erlebnis für alle. Und für mich eine wunderbare Uraufführung.

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