Hauptbild
2014 sang Jamie Cullum: „Burghausen, you know how to show a musician a really great time.“ Fotos: Gerhard Hübner
2014 sang Jamie Cullum: „Burghausen, you know how to show a musician a really great time.“ Fotos: Gerhard Hübner
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Länger, schöner, bayerischer

Untertitel
Zur 50. Ausgabe der Internationalen Jazzwoche Burghausen: Ein Vorabdruck aus dem Buch „It Has Lines In Its Face“
Publikationsdatum
Body

Ein Ort, der swingt. Auch wer nicht wegen des Jazz nach Burghausen kommt, kann während bestimmter Tage im März die Hinweise auf das Festival gar nicht übersehen. Schon an den Orts-einfahrten stechen knallgelbe Straßenschilder ins Auge, die in Richtung „JAZZ“ weisen. In Schaufenstern funkeln Trompeten oder Saxophone zwischen Weinflaschen hervor, eine alte Tuba schmiegt sich an ein Nachthemd. Auf dem Stadtplatz, dem zentralen Anlaufpunkt der Altstadt, wenige Schritte von der Brücke über die Salzach entfernt, über die man in den Ort Ach gelangt, der bereits in Österreich liegt, wehen lange, farbige Fahnen für den Jazz. Und wenn man Glück hat, wie etwa im Jahr 2018, bietet das ebenfalls am Stadtplatz liegende, aus den 1950er Jahren stammende und mit charmanter Patina belegte „Anker“-Programmkino in der Festival-Woche eine kleine JazzFilm-Reihe an.

Burghausen an der Salzach, gelegen im Landkreis Altötting am südöstlichen Ende Bayerns, rund 18.500 Einwohner, Industriestandort, Heimat der „weltlängsten Burg“, die sich 1.051 Meter lang auf einem Grat über der Altstadt erhebt, ist ein Jazz-Ort. Und zwar ein seit Jahrzehnten weltbekannter. Dieser Ort „tief in der deutschen Provinz“, wie die Online-Ausgabe eines deutschen Nachrichten-Magazins vor ein paar Jahren feststellte, lockt „Stars aus aller Welt“ an. Seit 1970 gibt es dort ein Jazzfestival, seit 1972 finden regelmäßig Jazzkurse statt, die von vielen später erfolgreichen Musikern besucht wurden. Die schöne, weltoffene Stadt machte sich bald einen Namen als gutes Pflaster für die Kunst der Blue Notes. Und diese Kunst wiederum ist in der alten Handwerkermeile „In den Grüben“, die parallel zur Salzach mitten durch das weitgehend aus der Spätgotik stammende Herz der Altstadt führt, auch wortwörtlich ins Pflaster eingedrungen. 1999 hat die Stadt Burghausen begonnen, dort eine „Street of Fame“ für den Jazz anzulegen – mit 84 mal 60 cm großen Bronzeplatten, die den Namen und den Schriftzug jeweils einer berühmten Figur des Jazz tragen, die in Burghausen beim Festival oder in anderen Jazzkonzerten zu hören waren.

Ella Fitzgerald, die große, elegante Stimme des swingenden Jazz etwa, bekam die allererste. Auf der Platte steht auch ein für Burghausen wichtiges Datum: 9. 10. 1975. Das war der Tag ihres Gastspiels in der Stadt. Auch der Pianist und gelassene deutsche Entertainer Paul Kuhn hat eine – mit dem Datum 8. 3. 2008. Weitere sind da zu sehen. Sie erinnern an Dizzy Gillespie (19. 3. 1978), Lionel Hampton (18. 4. 1978), Stéphane Grappelli (13.3. 1980), leider in der falschen Schreibung „Grappelly“, Chet Baker (11. 3. 1981), Dave Brubeck (16. 3. 1988) und viele andere mehr. 42 sind es bisher. Und auch der schillernden, charismatischen Sängerin des zeitgenössischen US-amerikanischen Jazz, Cassandra Wilson, wurde die Ehre einer eigenen Bronzeplatte zuteil – Datum des Auftritts: 13. 3. 2013. Mit diesem Auftritt und dieser Platte verbindet sich eine Geschichte, an die die Veranstalter in Burghausen nicht ganz so gerne denken. Aber dazu mehr an anderer Stelle dieses Buchs.

In Burghausen identifizieren sich viele Bürger der Stadt mit der musikalischen Kunst, die von einigen ganz besonders hochgehalten wird. Der Jazz gehört zum Bild der Stadt und für manche ihrer Bewohner ganz entschieden zum Leben. Der seit 1990 amtierende SPD-Bürgermeister Hans Steindl begann einst als Jugendlicher, begeistert nach Besuchen von Konzerten, Saxophon zu lernen, entschied sich aber offensichtlich dann lieber für eine andere Karriere. Die Internationale Jazzwoche kann jedes Jahr nur stattfinden, weil es mehrere Dutzend ehrenamtliche Helfer gibt, die stets extra für das Festival Urlaub nehmen und die als Fahrer, als Ordner, als Aufbau-Helfer eine ganze Woche täglich weit mehr als acht Stunden zur Verfügung stehen. Burghausen und der Jazz: Das ist ein ganz eigenes Phänomen.

Bei ihrer fünfzigsten Ausgabe ist die Internationale Jazzwoche Burghausen jetzt angelangt. Das ist eine sehr beachtliche Zahl – sie zeigt: Man hat Durchhaltevermögen in dem oberbayerischen Grenzort. Besonders erstaunlich: Der Programmgestalter Joe Viera, Jazzmusiker und -pädagoge aus München, ist seit der ersten Ausgabe dabei, nacheinander flankiert von den Organisations-Chefs Helmut Viertl, Herbert Hebertinger und Herbert Rißel. Vieras fünfzig Jahre sind ein Rekord. Denn nur wenige große Festivalmacher kamen auf eine solche Dauer. George Gruntz, der die erfolgreichste Phase des Berliner Jazzfests gestaltete, der größten und weltweit bekanntesten Jazzveranstaltung Deutschlands, brachte es auf 23 Jahre. Walter Schätzlein, der in Nürnberg die Programm-Strippen für das wunderschöne Festival „Jazz Ost-West“ zog, kam auf 36 Jahre – allerdings fand „Jazz Ost-West“ nur alle zwei Jahre statt und existierte nach der Ausgabe von 2002 nicht mehr weiter. Burkhard Hennen, der einstige Leiter des New Jazz Festivals im niederrheinischen Moers, lange Zeit das Trendsetter-Festival schlechthin, übte diese Funktion 34 Jahre lang aus. In Montreux stellte Claude Nobs von 1967 bis zu seinem plötzlichen Tod, infolge eines Unfalls im Jahr 2012, die Weichen – also 45 Jahre lang. Nur im amerikanischen Newport erreichte der Impresario George Wein eine Spanne von 62 Jahren, bis er das Festival endgültig abgab; allerdings gab es in Newport eine Unterbrechung in einer Krisenphase der Sechziger Jahre.

Kontinuität gehört also zum Erfolgsrezept in Burghausen. Joe Viera, auch mit inzwischen 86 Jahren noch ein Neugieriger, der möglichst kein Konzert versäumt, ist für viele Besucher ein Garant für Qualität und Vielfalt. In den 1980er Jahren sagte er über das Konzept des Festivals: „Die Geschichte des Jazz beginnt nicht um 1940, sondern um 1900. Das versuchen wir abzubilden.“ Deshalb gibt es in Burghausen stets einen Blues-Nachmittag, und die stilistische Spanne reicht vom DixieLand bis hin zum Free Jazz und zu den aktuellen Stilmischungen von Bands wie derjenigen der jungen Songschreiberin und Big-Band-Chefin Monika Roscher oder des Berliner Andromeda Mega Express Orchestra. Die Vielfalt hat dem Festival immer wieder auch Kritik eingebracht, vor allem von Medienvertretern aus den Großstädten, die einen „Gemischtwarenladen“ bemäkelten, aber sie garantierte der Internationalen Jazzwoche Burghausen auch stets ein großes Publikums-Interesse. Gerade in den letzten Jahren wurden bei dem Festival jeweils meist mehr als 7.000 Karten verkauft, im Jahr 2017 sogar fast 9.000. In den bisherigen 49 Jahren kam das Festival auf insgesamt über 300.000 Besucher bei über 500 Konzerten an den Hauptspielorten.

Die Internationale Jazzwoche Burghausen hat eine eigene Atmosphäre. Ob man so weit gehen muss wie Joe Viera, der sagt: „Viele Musiker spielen hier in Burghausen besser als anderswo“, da sie hier entspannter seien, muss jeder Besucher für sich selbst entscheiden. Doch die Stadt mit idyllischen Gassen und nicht zuletzt dem schönen Jazzkeller im Mautnerschloss, einer ehemaligen Mautstelle in einem Gebäude, das aus dem 16. Jahrhundert stammt und einen Innenhof mit heute in leuchtendem Orange bemalten Arkaden umgibt, hat eine Aura, die offenbar nicht nur Touristen becircen kann, sondern auch Musiker immer wieder begeistert. Berühmt wurde eine der Zugaben des Pianisten und Sängers Jamie Cullum, der im Jahr 2014 auf der Bühne der Wackerhalle nach 100 Minuten eines mitreißenden und entsprechend bejubelten Konzerts eine Hymne auf den Veranstaltungsort improvisierte: „Burghausen“, sang er da, mit nachdrücklich schwelgenden Tönen zu einer lyrisch wippenden Klavierbegleitung und unter ständiger Wiederholung des Ortsnamens: „Burghausen, you know how to show a musician a really great time“. Und das war offenbar kein Lippenbekenntnis, denn er hatte die Zeit seines Aufenthalts auch genutzt, sich die Stadt anzuschauen und ihre Stimmung in sich aufzunehmen. Nach fast zwei Stunden ging er von der Bühne und hätte gern noch weitergemacht, wenn es nicht bereits Mitternacht gewesen wäre.

Fünf Jahrzehnte eines Festivals kann man nicht in allen Details abbilden. Aber mit Hilfe von Schlaglichtern und Momentaufnahmen versuchen wir in diesem Buch ein bisschen von der speziellen Burghauser Jazz-Stimmung aufzufangen. Wir werfen zusammen mit Joe Viera und Helmut Viertl einen Blick auf die Anfänge – die nach einer allerersten, beinahe krachend schiefgegangenen Begegnung des Pädagogen mit dem Ort wundersamer Weise doch zustande kamen, reflektieren mit Viera und unabhängig von ihm – einige erlebte Momente in den unterschiedlichen Jahrzehnten des Festivals, stellen einige der wichtigen Personen im Hintergrund vor und lassen ausgewählte Musiker über ihre Burghausen-Eindrücke sprechen. Einige von ihnen fanden für diesen swingenden Ort auch Worte, die swingen.

Anlässlich des Jubiläums erscheint im März das Buch von Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer namens „It Has Lines In Its Face“, Herausgeber ist die Stadt Burghausen, es ist bei der Burghauser Touristik & IG Jazz erhältlich, www.visit-burghausen.com

  • Die 50. Internationale Jazzwoche Burghausen findet vom 26. bis 31. März 2019 statt, Infos unter www.b-jazz.com

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!