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Musizieren als Prozess mit offenem Ausgang

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Community Music: Eine Werkschau im Gasteig
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Ein raumgreifendes Gebilde aus Plastik-Installationsrohren dominiert die – noch leere – Bühne. Eingerahmt wird es von Perkussionsinstrumenten. Zu sehen sind außerdem Steckbund-Monochorde, Glockenspiele, Heulschläuche, weitere Plastikrohre, ein Kontrabass, ein Violoncello. Darüber die Leinwand füllende Projektion eines Kinderbilds: die Sonne, umgeben von bunten Planeten, einem hell leuchtenden Außerirdischen, einer interstellaren Tomate und weiteren geheimnisvollen Objekten. Kurze Zeit später betreten etwa 20 Kinder und einige Erwachsene die Bühne der Black Box im Münchener Kulturzentrum am Gasteig – und bringen ein faszinierendes Stück selbst konzipierter Musik zur Aufführung. Farben- und ideenreiche „Soundscapes“ wechseln sich in der gut fünf Minuten dauernden Komposition ab. Gestaltet sind sie mit feinem Gespür für die klanglichen Möglichkeiten des verwendeten Instrumentariums, musikalische Logik, Spannungsbögen, Proportionen und nicht zuletzt Humor. Kinder wie Erwachsene sind ganz bei der Sache, diszipliniert und fokussiert auf ihre musikalische Performance – ein im positiven Sinne „professioneller“ Habitus.

Angeleitet von Christian Mattick und weiteren Mitgliedern des Münchener Vereins „Musik zum Anfassen“ befasste sich die Klasse 4a der Grundschule an der Flurstraße zwei Monate lang mit dem Thema „360°“. Am Beginn des Arbeitsprozesses malten die Kinder das wandfüllende Bild „Rund um die Sonne“, anschließend ging es an dessen Vertonung. Ausgangspunkt der musikalischen Arbeit war eine Sensibilisierung der Kinder für Stille, aus der heraus dann Möglichkeiten des Umgangs mit Klängen erprobt wurden. Verschiedene elementar spielbare Instrumente wurden auf ihre Möglichkeiten hin untersucht, die Kinder entwickelten Ideen für eine „Übersetzung“ der Stationen ihrer Fantasiereise in Musik. Unterstützt wurden sie dabei unter anderem von vier Musikern der Münchener Philharmoniker: Sie halfen den Kindern bei der Umsetzung ihrer Ideen in musikalische Abläufe. So wuchsen beispielsweise Kontrabass und perkussiv gespielte große Plastikrohre zu einem klanglich hoch interessanten Bass-Ostinato zusammen, das einen musikalischen „Rahmen“ um die einzelnen Episoden der Reise bildete.

Ähnlich eindrucksvoll die nach demselben Verfahren entstandene, aber ganz eigenständige Performance der Parallelklasse 4b. Sie hatte das Thema „Einmal um mich selbst herum“ vertont. Beide Aufführungen zeigten auf eindrucksvolle Weise, wie sich der Anspruch weitgehend voraussetzungslosen Musizierens mit der Zielperspektive „Musik lernen mit Niveau“ vereinbaren lässt.

Die Performances waren Ergebnis der „Community Music“-Initiative von „Spielfeld Klassik“, dem Education-Programm der Münchener Philharmoniker. Orchestermusiker kooperieren dabei mit Münchener Schulen sowie außerschulischen Bildungsträgern, Musikgruppen, Künstlerinnen und Künstlern. Anliegen der Initiatorin Alicia de Banffy-Hall ist einerseits die Konzeption partizipativer, leicht zugänglicher und inklusiver musikalischer Angebote, andererseits eine tiefere Verwurzelung der Orchestermitglieder im musikalischen Leben der Stadt.

Am 14. November traten vier Ensembles der Initiative mit einer Werkschau an die Öffentlichkeit. Präsentiert wurde dabei eine große Bandbreite an Aktivitäten und Möglichkeiten. „Ein Lied für den Rattenfänger“ der Klasse 3b der Grundschule Bazeillesstraße ist eher dem Bereich des traditionellen Schultheaters zuzuordnen – mit dem Unterschied, dass die Kinder sowohl den Text als auch die Musik ihres kurzen Theaterstücks unter professioneller Anleitung selbst entwickelten. Kooperationspartner waren in diesem Fall Yoshihisa Kinoshita und Andreas Wölfl vom Freien Musikzentrum sowie der Cellist Manuel von der Nahmer (Münchener Philharmoniker). Letzterer beschrieb die Herausforderung, die ein solchermaßen ergebnisoffenes, auf mehrere Monate Laufzeit angelegtes musikalisch-szenisches Projekt auch für einen Spitzenmusiker bedeutet – hat er doch normalerweise bei der musikalischen Arbeit im Orchester mit sehr viel klarer umrissenen musikalischen Zielsetzungen und recht kurzen Projektdauern zu tun.

Methodisch genau entgegengesetzt angelegt war die Zusammenarbeit zwischen der Violinistin Traudel Reich und den Jugendlichen des Ensembles „Tutti Frutti“ aus dem TheaterSpielhaus: Am Beginn der gemeinsamen Arbeit stand Musik, die die Geigerin in die Gruppe einbrachte. Auf Grundlage der musikalischen Eindrücke der jungen Schauspieler entstand die szenische Collage „In-BETWEEN“ über das Erwachsenwerden – temporeich gespielt, gekonnt zwischen Witz und Ernsthaftigkeit changierend und stets in überzeugendem Zusammenspiel mit Reichs Violin- und Sansula-Musik.

Den Schlusspunkt des Nachmittags bildete ein Auftritt des bereits seit einigen Jahren existierenden „Community Music Orchesters“ unter der Leitung von Wolfi Schlick. Dabei handelt es sich um ein offenes, inklusives, generationenübergreifendes Stadtteilprojekt: Menschen jeder Herkunft sind eingeladen, unabhängig von ihrer musikalischen Vorbildung gemeinsam zu singen, Instrumente auszuprobieren, Musikstücke zu erfinden, zu arrangieren und miteinander einzustudieren. Professionelle Musiker wie der Bratschist Wolfgang Berg (Münchener Philharmoniker) und die Mitglieder der Express Brass Band musizieren gemeinsam mit musikalischen Laien. Die Präsentation machte deutlich, dass diese musikalische Arbeit weniger auf öffentliche Aufführungen hin ausgerichtet ist. Ihre Stärke liegt im Bereich von Prozessqualitäten – eine Rückbesinnung auf die Tatsache, dass gemeinsames Musizieren mit seinen Interaktionsmechanismen eines der stärksten sozialen Bindemittel menschlicher Kultur ist.

Letztendlich machte die Werkschau deutlich, dass alle Beteiligten von den so verschieden angelegten Projekten profitieren können: Die Mitglieder der Ensembles bekommen Möglichkeiten musikalischer und musikbezogener Erfahrung, die ihnen sonst wohl verwehrt geblieben wären. Hier tun sich insbesondere für den Bereich der Grund- und Mittelschulen mit ihrem hohen Anteil fachfremd erteilten Musikunterrichts interessante Perspektiven auf. Auch den Orchestermusikern eröffnen sich neue musikalische Horizonte, die von den Beteiligten durchwegs als bereichernd beschrieben werden. Die Münchener Philharmoniker erreichen Menschen, zu denen auf anderem Wege wohl kein Kontakt hergestellt werden könnte. Die beteiligten freien Bildungs- und Kulturträger bekommen mit „Spielfeld Klassik“ einen neuen, institutionell gut verankerten Kooperationspartner.

Obwohl sie den Schlusspunkt der internationalen Tagung „Community Music in Theorie und Praxis“ bildete, verstand sich die Werkschau ausdrücklich nicht als „Abschlusskonzert“, sondern als Zwischenbilanz und Teil eines Prozesses, der noch am Anfang steht. Allen Beteiligten sei weiterhin gutes Gelingen gewünscht!

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