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Nicht unbedingt Country-Outlaws, aber doch große Außenseiter, die schon seit Mitte der 80er-Jahre unbestrittene Kritikerlieblinge und Musician’s Musicians sind – und immer auch zäh und flexibel genug waren, sich ihr Nischen-Segment auf dem unübersichtlicher werdenden Musikmarkt zu sichern: Smog, das war und ist (bei sonst wechselndem „Personal“) Bill Callahan. Begonnen hat er im Low-Fi-Kontext, gewissermaßen als Home-Recorder, mit reduziertesten Mitteln, die bei ihm aber immer auch ästhetisches Konzept waren: Steigerung der Intensität und „Authentizität“ durch Beseitigung alles Ornamentalen. Für den frühen Bill Callahan war Arrangement Verbrechen, die Song-Architektur musste funktional sein: reiner, durch nichts gestörter und verfälschter Ausdruck. Das hat sich geändert: Das letzte, grandiose Album, das zu den späten Highlights der 90er-Jahre gehörte, wurde von Jim O’Rourke produziert. Das war nicht opulent, schon gar kein „fetter“, pathetischer „wall of sound“ aus dem Geiste Phil Spectors, aber doch voller kleiner, vertrackter Beiwerk-Raffinesse.

Eine Popmusik-Kolumne von Helmut HeinNicht unbedingt Country-Outlaws, aber doch große Außenseiter, die schon seit Mitte der 80er-Jahre unbestrittene Kritikerlieblinge und Musician’s Musicians sind – und immer auch zäh und flexibel genug waren, sich ihr Nischen-Segment auf dem unübersichtlicher werdenden Musikmarkt zu sichern: Smog, das war und ist (bei sonst wechselndem „Personal“) Bill Callahan. Begonnen hat er im Low-Fi-Kontext, gewissermaßen als Home-Recorder, mit reduziertesten Mitteln, die bei ihm aber immer auch ästhetisches Konzept waren: Steigerung der Intensität und „Authentizität“ durch Beseitigung alles Ornamentalen. Für den frühen Bill Callahan war Arrangement Verbrechen, die Song-Architektur musste funktional sein: reiner, durch nichts gestörter und verfälschter Ausdruck. Das hat sich geändert: Das letzte, grandiose Album, das zu den späten Highlights der 90er-Jahre gehörte, wurde von Jim O’Rourke produziert. Das war nicht opulent, schon gar kein „fetter“, pathetischer „wall of sound“ aus dem Geiste Phil Spectors, aber doch voller kleiner, vertrackter Beiwerk-Raffinesse. Auf dem neuen, „Dongs of Sevotion“ (Domino/Zomba), geht Callahan, ohne O’Rourke, dessen eigene Gitarren-Instrumentals paradoxerweise jetzt so reduziert-minimalistisch daherkommen wie die frühen Smog, ohne dessen schamlose „Süße“, dafür insistenter und repetitiver, ein wenig back to the roots: zwar sind das weiterhin Lieder der Hingabe, aber (wie der Buchstaben-Tausch des kryptischen Titels anzeigt) verschämter, „more sophisticated“. Bill Callahan bekennt sich in seinen Songs zu einem existenziellen Außenseitertum, einer Post-Bohème quer zu den Normen: „justice aversion“ reimt sich da auf „animal nature“; das Ganze ist aber kein terroristisches politisches Projekt, nicht einmal mehr ein Outlaw-Dasein, das mit dem Gesetz in Konflikt gerät, sondern gewitzte private Subversion, die Konventionen auf den Kopf stellt: Zieh dich auf meiner Beerdigung sexy an, fordert er von seiner Frau, „zum ersten Mal“, fügt er kokett hinzu – und er geht so sehr in die Details, dass die Pietät auf der Strecke bleiben muss.

Michael Halls Weg ist noch länger und gebrochener als der Callahans. Er gehört zur legendären Austin-Szene, veröffentlichte seit 1985 mit den nicht minder mythischen Wild Seeds drei Alben und war dann, nach deren Split, teils solo, teils in wechselnden All-Star-Besetzungen unterwegs. Am bekanntesten dürfte sein 93er-Projekt „Setters“ mit Walter Salas-Humara und Alejandro Escovedo gewesen sein. 1995 zog Michael Hall nach Chicago, wo er auf dem bizarren „Frank Slade’s 29th Dream“-Album den Titelsong auf paranoid-zersplitternde 38 Minuten dehnte. Das anschließende 96er-Album „Day“ hatte einen sicheren Platz in den Kritiker-Charts des Jahres und diversen Album-des-Monats-Listen. „Dead by Dinner“ (Blue Rose/Zomba) ist eine weitere Facette und Steigerung des Michael-Hall-Macho-Universums, das freilich weniger von Männer-Selbstgewissheit als von verfehltem Begehren und einer nie so recht an ihr Ziel gelangenden Sehnsucht zeugt. Die „western music“ war immer misogyn und melancholisch, aber nie, wenn man das so sagen kann, auf einem solchen Qualitäts-Level wie bei Michael Hall. Eine kleine Episode veranschaulicht vielleicht die Heftigkeit der Obsession: im vergangenen Juli spielte er mit seinen zähen neuen „Woodpeckers“ 24 Stunden nonstop Van Morrisons „Gloria“. Die dreizehn Songs auf dem neuen Michael Hall & the Woodpeckers-Album führen dieses Sentiment bis zur letzten fatalen Konsequenz, die unbegriffenen Leidenschaften eigen sind: einmal kann der Held der Songs nicht begreifen, dass sie den Anderen „angerührt“ hat, dann verfolgt er seine Liebe bis ins Grab und ist sich ganz sicher, dass sie und sonst keine die Einzige ist. Unentbehrliches Album, mit nicht ermüdendem Gitarren-Flow und einem ganzen Mikrokosmos pop-mythologischer Geschichten.

Helmut Hein

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