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Noten im Kopf, nicht Kopf in Noten

Untertitel
Ein Dirigiermeisterkurs mit Anders Eby
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Der Arbeitskreis Musik in der Jugend engagiert sich seit vielen Jahren in der Ausbildung von Chorleiterinnen und Chorleitern. In Hannover fand im Oktober ein Dirigiermeisterkurs unter der Leitung von Anders Eby (Stockholm) statt. Ihre Eindrücke schildert eine Teilnehmerin so:

Für viele Teilnehmer des Meisterkurses fing das lange Wochenende nicht vielversprechend an, einen Tag vor dem Feiertag tummelte sich gefühlt die halbe Menschheit auf den Straßen, Staus ohne Ende, auch die Bundesbahn „lahmte“, manch einer wird sich gedacht haben: Na, das fängt ja gut an! Besonders brisant, da die Teilnehmer aus allen Ecken der Republik angereist kamen, ein vielversprechendes Zeichen? So einen „Sog“ vermochte der Ruf von Anders Eby zu erzeugen. Nach einer kurzen Organisationsrunde ging es dann los, abends kam der Chor, die Camerata Vocale Hannover … ja, der kam … man sah ihn … und siegte auf ganzer Linie! Es war eine Freude, diesem Chor zuzuhören, mit ihm zu arbeiten, ihn zu beobachten. Die Sängerinnen und Sänger stellten sich vier Tage unermüdlich als Versuchskaninchen zur Verfügung, sangen Stunde um Stunde, und größten Respekt zolle ich der stets zu spürenden hohen Konzentration und Motivation! Die sehr anspruchsvolle Literatur war hervorragend vorbereitet, um die Richtigkeit der Töne brauchte sich keiner der Dirigenten ernsthafte Sorgen zu machen.

Anders Eby erwies sich als ausnehmend freundlicher und charmanter Mensch, unprätentiös, authentisch und doch sehr charismatisch, es war eine Wonne zuzuschauen, wie er mit kleinsten Bewegungen den Chor genau zu dem Klang motivieren konnte, den die jeweilige Komposition brauchte. Und man fragte sich, nachdem man heimlich versucht hatte, das nachzumachen, wie Eby das nun gemacht hatte! Hexenmeister! Und es war geschickt von ihm, nicht, wie erbeten, viel selber zu dirigieren. Zum einen ließ das Raum für die Individualität aller Aktiven, zum anderen machte es aber auch richtig Lust auf „mehr Eby!“.

Der erste Abend war ausgefüllt mit der Auswahl der „Aktiven“, 14 DirigentInnen wollten das gerne tun, also durfte jeder vordirigieren und der Chor „durfte“ 14 Mal Brahms Nachtwache I singen, dazu ein Abschnitt aus Poulenc Exultate Deo … grandios: Auch beim 14. Mal hat der Chor Musik gemacht, Respekt! Spannend für die Zuhörer war die Tatsache, dass der Chor 14 Mal anders klang. Die darauffolgenden Tage waren prall gefüllt, morgens zwei Stunden „Trockentraining“ (wie schlage ich diese, jene Fermate ab? Wie verhindere ich knackige Glottis-Anfänge? Wie „sauge“ ich den Chor ins Stück?). Sehr positiv war, dass auch die Passiven in dieser Phase aktiv sein und mitdirigieren durften. Ab mittags war die Camerata wieder da und die ausgewählten Aktiven bekamen pro Probeneinheit 10 oder 15 Minuten Zeit, um an Stücken zu arbeiten.
Ich habe das, was Anders Eby den Aktiven riet, als sehr hilfreich erlebt, seine Korrekturen waren immer sachbezogen, seine Anregungen zu Haltung und persönlicher Präsenz angemessen, taktvoll und hilfreich.

Beeindruckt hat mich seine Art, die Dirigenten so zu lassen, wie sie sind und Anregungen seinerseits nicht als Befehl oder „Muss“ verstanden zu wissen, er wusste seine Anmerkungen stets sicher auf das Gegenüber zu transponieren mit einem sicheren Gespür für das Mögliche, aber auch das Unmögliche. Die Arbeitssprache Englisch ging allen mehr oder weniger locker von den Lippen, die Grundstimmung war konstruktiv und freundlich, Ebys Einstreuungen in Deutsch mit schwedischem Akzent erheiterten und machten doch auch, wie alle Ansagen, nachdenklich. Sätze wie „you are a melody-conductor“ oder, wenn ein Dirigent sich im Pult verkroch, „Noten im Kopf, nicht Kopf in Noten“ haben neben dem spontanen Unterhaltungswert eine zweite Dimension.

Eby ist es gelungen, die Grundstimmung im Kurs positiv zu prägen, bei aller Nervosität war ein zweiter Versuch kein Makel nach dem Motto „Üben macht den Meister“. Bei allem Respekt vor der guten Leistung der Aktiven war doch immer ganz klar, wer der Meister ist … Eby verstand es zu verdeutlichen, worauf es ankommt … er erwies sich als großer Kenner der Kompositionen, wußte das ein oder andere Werk durch eine Zusatzinformation oder eine Geschichte zu bereichern, er ist ein „Vordenker“ und agiert, er reagiert nicht, wenn das z.B. intonatorische Kind in den Brunnen gefallen ist.

Die organisatorischen Rahmenbedingen waren nahezu optimal. Viele Teilnehmer waren direkt vor Ort untergebracht, ein Kurs der kurzen Wege. Die Lage des Hans-Lilje-Hauses mitten in der Altstadt Hannovers tat das Ihrige dazu, dass es nach Pausen pünktlich weiterging, Restaurants gab es im nahen Umfeld zu Genüge. Und auch diese Pünktlichkeit aller Teilnehmer, besonders auch des Chores, sind Zeichen für einen guten und spannenden Kurs.

Das Abschlußkonzert am Sonntagvormittag in der St. Johannis vor erfreulich vielen Zuhörern bildete den Höhepunkt der gemeinsamen Zeit. Und es war ein würdiger Höhepunkt! Jeder aktive Teilnehmer dirigierte ein oder zwei Stücke, der Chor war knackig präsent und schön anzusehen, üppiger Applaus und ein schönes Gruppenphoto vom Meister, seinen Schützlingen und der Camerata Vocale rundeten das Konzert, ja, und auch den Kurs ab. Wen wundert es, dass Anders Eby anschließend mehrfach gefragt wurde, ob er denn bald wieder einen Meisterkurs anböte … möge der AMJ diese Botschaft hören!

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