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Private Musikinstitute in Gefahr

Untertitel
Ein Gespräch zur Reform der Umsatzsteuer mit Rechtsanwalt Hans-Jürgen Werner
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Hans-Jürgen Werner berät den DTKV seit vielen Jahren als Justiziar in juristischen Fragen. Mit besonderem Engagement setzt er sich für die Umsatzsteuerbefreiung von Musikunterricht ein. Gegen die „Umsatzsteuerfalle“ im Gesetzentwurf der Bundesregierung des Jahressteuergesetzes 2013 hat er eine Petition initiiert, an der sich auch der DTKV beteiligt hat und die höchst erfolgreich mit über 50.000 Unterschriften das Quorum erfüllt hat. Franzpeter Messmer sprach mit Hans-Jürgen Werner über die Vor- und Nachteile der Reform.

nmz: Herr Werner, wie verhält es sich jetzt mit der Umsatzsteuerbefreiung?

Hans-Jürgen Werner: Im Zusammenhang mit der Umsatzsteuerbefreiung von Musikunterricht sprechen Sie in der aktuellen Rechtslage von der Anwendung des § 4 Nr. 21 UStG, in der aktuellen Fassung des § 4 Nr. 21 a) bb) UStG. Gemäß § 4 Nr. 21 Buchstabe b UStG 1993 (ab 1. April 1999 § 4 Nr. 21 Buchstabe a bb UStG 1999) sind die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen steuerfrei, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten.
Sie können sich sicher vorstellen, dass diese Anhäufung unbestimmter Rechtsbegriffe in der Rechtspraxis Schwierigkeiten und Probleme bereitete, die zu vielen Rechtsstreitigkeiten führte, bis in die Gegenwart hinein. Dabei ging es nicht nur um die Motive und die Interpretation des deutschen Gesetzgebers, sondern in den letzten Jahren auch immer mehr um die Auslegung im Sinne der EG-rechtlichen Vorgaben, die seit 1. Dezember 1977 in Deutschland umzusetzen waren und bis heute nicht beziehungsweise nicht vollständig umgesetzt wurden; der § 4 Nr. 21 UStG ist ein Beispiel dafür.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nach der aktuellen Rechtslage der § 4 Nr. 21 UStG die weitest gehende Auslegung erfahren hat, die er jemals hatte:
Reine Freizeitangebote, zum Beispiel Tanz, der Unterricht an Seniorinnen oder der Unterricht an Mütter, die während des Unterrichts ihrer Kinder etwas für sich tun wollen, sind umsatzsteuerpflichtig!
Freizeitangebote, die vertieft gelernt auch als Schul- beziehungsweise Hochschulunterricht beziehungsweise als Leistungen zum Zwecke der Fortbildung oder der Umschulung anzuerkennen sind, sind mehr als „reine Freizeitangebote“. Die Erlöse daraus müssen umsatzsteuerfrei behandelt werden mit dem einhergehenden Verbot zum Vorsteuerabzug, das heißt hier konkret: Qualifiziert erteilter Musikunterricht an Kinder im Alter ab circa drei Jahren gilt vertieft gelernt als Schulunterricht im Sinne des Unionsrechts, der zur Steuerfreiheit führt.
Sie erkennen, dass die konsequente Umsetzung dieser Rechtslage auch in der Aktualität die Frage aufwirft, wie die Leistungen an Kinder im Elementarbereich im Alter unter 3 Jahren (Mutter-Kind-Kurse) oder an Seniorinnen/Senioren umsatzsteuerrechtlich zu behandeln sind.
In verwaltungsgerichtlichen Verfahren habe ich in drei Einzelfällen Urteile erstritten, in einem davon gegen den Widerstand der Finanzverwaltung, nach denen der Unterricht an Kinder im Alter ab sechs Monaten, achtzehn Monaten beziehungsweise drei Jahren zu begünstigen waren.
Soweit ersichtlich ist die Frage der Besteuerung des „Seniorenmusizierens“ bei den Finanzämtern noch nicht angekommen. Es ist aber unabhängig von der inhaltlich weiten Reform des § 4 Nr. 21 UStG anzunehmen, dass die Finanzverwaltung im Interesse des Steueraufkommens insbesondere auch nach Leistungen suchen wird, die nicht als Bildungsleistungen (Schul-, Hochschulunterricht, Fortbildungsmaßnahmen, Umschulung) zu definieren sind.
Keine Umsatzsteuer für freiberuflich Tätige

nmz: Ist ein freiberuflicher Musikpädagoge umsatzsteuerpflichtig?

Werner: Bis 31.12.2013 gilt: Wenn er als Privatlehrer tätig ist, gilt er als „andere allgemeinbildende Einrichtung“. Wenn er über die Bescheinigung der Landesbehörde im unterrichteten Fach verfügt, sind die Erlöse umsatzsteuerfrei. Das Recht zum Vorsteuerabzug besteht nicht.
Wenn er als selbständige Lehrkraft im Auftrag einer Einrichtung mit Schulcharakter Musikunterricht erteilt, hängt die Umsatzsteuerfreiheit seiner Honorare nach § 4 Nr. 21 b) UStG davon ab, dass die Einrichtung nach § 4 Nr. 21 UStG steuerfrei ist und der Unterricht des selbständigen Lehrers zum begünstigten Bereich der Steuerbefreiung gehört.
Also nochmals: Das private Musikinstitut beziehungsweise die private Musikschule muss über eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 UStG verfügen. Der Unterricht der selbständigen Lehrkraft muss zum begünstigten Bereich der Bescheinigung der Landesbehörde gehören.

nmz: Ist ein privates Musikinstitut oder eine private Musikschule umsatzsteuerpflichtig?

Werner: Wenn diese Einrichtungen über eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 a) bb) UStG verfügen, aus der sich auch ergibt, für welche Unterichtsfächer sie gelten soll, in manchen Ländern inzwischen sogar mit namentlicher Nennung der unterrichtenden Lehrkräfte, sind die Erlöse aus den explizit aufgeführten Leistungen steuerfrei, mit dem einhergehenden Verbot zum Vorsteuerabzug. Wie bereits erwähnt, besteht die aufgezeigte Problematik beim Unterricht an Kinder unter drei Jahren beziehungsweise an Senioren!

nmz: Was wird sich durch die Reform ändern? Für freiberufliche Musiklehrer ist sie doch erfreulich?
 
Werner: Ab 1. Januar 2013 soll gelten: Der Schul- und Hochschulunterricht des Privatlehrers ist umsatzsteuerfrei. Soweit Musikunterricht auch als Schul- und Hochschulunterricht zu qualifizieren ist (Bildungsleistung an Kinder im Alter ab drei Jahre), sind die Erlöse steuerfrei. Das ist sehr erfreulich! Es bleibt allerdings die oben angedeutete Problematik des Unterrichts an jüngere Kinder und des Unterrichts an Senioren. Wenn der Privatlehrer im Auftrag einer anderen Einrichtung tätig ist, gilt er allerdings juristisch nicht als Privatlehrer, sondern als selbständige Lehrkraft. Die Steuerfreiheit der Honorare hängt davon ab, ob die unterrichtende Einrichtung als steuerfreie behandelt wird oder nicht. Bei einer VdM-Schule darf davon ausgegangen werden, dass Steuerfreiheit besteht. Bei einer privaten Einrichtung hängt sie davon ab, wie diese von der Finanzverwaltung umsatzsteuerlich behandelt wird. Nach der gegenwärtigen Begründung der Bundesregierung handelt es sich bei dem Unterricht einer privaten Musikschule um Leistungen, die auch der Freizeitgestaltung dienen können. Deshalb soll die grundsätzliche Steuerfreiheit für private Unternehmer nur mit der Einschränkung gelten, dass sie keine systematische Gewinnerzielungsabsicht haben (also gemeinnützig sind) beziehungsweise wenn diese Absicht besteht, die Gewinne nicht entnommen, sondern ausschließlich für die Erhaltung und/oder die Verbesserung der Leistungen verwendet werden.
 
nmz: Müssen freiberufliche Musikpädagogen also keinen Nachweis mehr erbringen, dass sie auf eine berufliche Laufbahn vorbereiten?
 
Werner: Hier ist klarzustellen, dass die Steuerfreiheit nicht voraussetzt, Schüler/innen tatsächlich auf eine staatliche Prüfung beziehungsweise berufliche Laufbahn vorbereitet zu haben. Entscheidend war die prinzipielle Geeignetheit der Leistung, auf eine staatliche Prüfung beziehungsweise einen Beruf vorbereiten zu können. Im Wesentlichen hing die Befreiung der Musikpädagogen von der fachlichen und pädagogischen Eignung ab und nach einer älteren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts von den inhaltlichen Anforderungen an den vermittelten Lehrstoff.
Entscheidend für die Erteilung einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 a) bb) UStG ist daher beim Musikunterricht einer privaten Einrichtung der Nachweis der Eignung der Lehrkraft. In erster Linie wird diese mittels Vorlage eines Diploms im unterrichteten Fach geführt. Kann dieser Nachweis nicht erbracht werden, muss der Unternehmer Tatsachen vortragen und belegen, aus denen die Landesbehörde schließen kann, dass ordnungsgemäßer Unterricht erteilt wird.
In diesem Zusammenhang spielte es dann zum Beispiel eine Rolle, dass der Nachweis der Eignung durch Bestätigungen ehemaliger Schüler/-innen geführt werden konnte, die von der Lehrkraft tatsächlich auf eine staatliche Prüfung beziehungsweise auf die Aufnahmeprüfung der Hochschule für Musik vorbereitet wurden. „Erfinder“ dieser Möglichkeit ist übrigens Dr. Hewig, der Präsident des DTKV e. V., damals (1993) als Ministerialrat des 
Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Bildung, Kunst und Kultur.
 
nmz: Die „Umsatzsteuerfalle“ betrifft die privaten Musikinstitute und privaten Musikschulen. Was ändert sich hier?
 
Werner: Hier ist leider unvermeidlich, den Satz 4 des geplanten § 4 Nr. 21 UStG einschließlich seiner Begründung zu zitieren: „Erbringt eine andere Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung Leistungen im Sinne des Satzes 1, die auch der Freizeitgestaltung dienen können, sind diese nur dann befreit, wenn die Einrichtung keine systematische Gewinnerzielung anstrebt und etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, nicht entnommen, sondern zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden;“
In der Begründung des Regierungsentwurfs heißt es wörtlich: „§ 4 Nummer 21 Satz 4 UStG erfasst zum Beispiel den Unterricht in einer Ballett- oder Tanzschule, wenn die Betreiber dieser Schulen, sofern es sich dabei um andere Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung i. S. des § 4 Nummer 21 Satz 1 und 2 UStG handelt, Gewinne erzielen möchten. Gleiches gilt zum Beispiel für den Unterricht in einer Musik- oder Schwimmschule.“
Für die privaten Einrichtungen, die in der Natur der Sache liegend systematisches Gewinnstreben haben, bedeutet es die Umkehrung der am 02.04.2012 förmlich veröffentlichten Rechtslage:
Freizeitveranstaltungen, die auch der Berufsausbildung und so weiter dienen können, sind steuerfrei, unabhängig davon, ob ein Unternehmer systematische Gewinnerzielungsabsicht hat oder nicht. Er hat kein Recht auf Vorsteuerabzug.
 
nmz: Wenn die Petition keinen Erfolg hat: Was bedeutet das für private Musikinstitute?
 
Werner: Sie müssen die vereinnahmten Erlöse aus dem Unterricht mit Umsatzsteuer belasten. Faktisch kommt es zu Umsatzeinbrüchen, weil sich am Markt die zusätzliche Belastung des Unterrichtsentgelts mit Umsatzsteuer nicht durchsetzen lässt. Regelmäßig orientieren sich die Gebühren an denen der VdM-Schulen, die umsatzsteuerfrei sind und staatliche Fördergelder erhalten.
 
nmz: Wie können private Musikinstitute diese Regelung umgehen?
 
Werner: Die Umgehung soll nach unionsrechtlichen Vorgaben eigentlich ausgeschlossen sein. Am Markt befinden sich bereits jetzt Kooperationen von Privatlehrern, gemeinnützige Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder gemeinnützige Vereine als Träger der privaten Einrichtungen. Es lässt sich nur aufgrund einer Einzelfallanalyse feststellen, welche der Möglichkeiten zu einem privaten Unternehmer passt. Es müssen auch die Folgen bedacht werden, die eine rechtliche Umgestaltung mit sich bringt. Festhalten lässt sich aber: Rechtsgestaltungen werden möglich sein, welche das Umsatzsteuerproblem lösen helfen.
 
nmz: Was bedeutet Gewinnerzielungsabsicht?
 
Werner: Wenn Sie sich vergegenwärtigen, dass es einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshof bedurfte, um zu definieren, was unter „Einrichtung ohne Gewinnstreben“ zu verstehen ist, werden sie ahnen können, wie viel Problematik hier besteht. An dieser Stelle soll der Hinweis genügen, dass jeder Unternehmer, jeder private Musikschulinhaber die Absicht hat, von den Umsätzen zu leben. Er hat damit die Absicht der systematischen Gewinnerzielung, unabhängig davon, ob er schwarze oder rote Zahlen schreibt.
 
nmz: Ist es sinnvoll, private Musikschulen über einen eingetragenen Verein als Träger zu führen?
 
Werner: Wie gesagt existiert diese Konstruktion bereits am Markt. Persönlich gefällt sie mir nicht, weil ich als Unternehmer ja gezwungen bin, mich in „fremde Hände“ zu begeben und letztlich in die Entscheidungsgewalt einer Mitgliederversammlung, deren Zusammensetzung sich ja ändern kann.
 
nmz: Ihr Schlusswort?
 
Werner: Ich wünsche mir zunächst, dass die Petition im Interesse der betroffenen Unternehmen der Politik verdeutlicht, dass die unterschiedliche Besteuerung der staatlichen Einrichtungen, der privaten Musikinstitute und der Privatlehrer in Deutschland verfassungsrechtlich bedenklich ist.
Die 2. und 3. Lesung des Jahressteuergesetzes 2013 findet am 26. Oktober 2012 statt. Sollte das Gesetz den Bundestag in der vorgesehenen Weise verlassen, wird es immer noch möglich sein, über die Länder Druck zu erzeugen. Das Gesetz muss ja auch noch vom Bundesrat abgesegnet werden; hier ist die 2. Beratung für den 23. November 2012 anberaumt.
 
nmz: Vielen Dank für das Gespräch.
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