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Benjamin Schmid (Violine) und Ariane Haering (Klavier) gestalteten das Auftaktkonzert zum diesjährigen Mozartzyklus des Festivals. Foto: A. Köhring
Benjamin Schmid (Violine) und Ariane Haering (Klavier) gestalteten das Auftaktkonzert zum diesjährigen Mozartzyklus des Festivals. Foto: A. Köhring
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Spiel mit Obertönen und Interferenzen

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Ein Bericht zum Klavierfestival Ruhr 2004
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Es gibt Fragen, die besser ungestellt bleiben. Eine davon ist die nach der Meinung des Klavierstimmers zum Konzert von Thomas Larcher und Wolfgang Mitterer, die beim Klavierfestival Ruhr offenbar testen wollten, was ein Flügel so alles hergibt an Lautstärke und Verfremdungseffekten. Wer solche Experimente für einen alten Hut hält, hat die aufregende Performance der beiden Tiroler nicht erlebt, die dem Innenraum des Instruments mit großen Steinen und mit Tischtennisbällen zu Leibe rückten, leere Plastikflaschen knacken ließen, mit Hämmern auf Metallplatten schlugen und die Tastatur brachial mit Armen und Fäusten traktierten. Es war eine lärmende Geräuschkulisse, die das teilweise improvisierte Gemeinschaftswerk „Tastatura“ für zwei präparierte Klaviere und Elektronik entwickelte: Ein Kritiker verglich ihre Maschinenhaftigkeit gar mit George Antheils berühmten „Ballet mécanique“. Diesen durchaus verstörenden Bemühungen um das x-fache Fortissimo folgte das Publikum im Duisburger Wilhelm-Lehnbruck-Museum indes ebenso aufmerksam wie Larchers kurzem Klavierstück „Antennen... Requiem für H.“, Mitterers „Uluru“ für präpariertes Klavier und Tonband und den Klavierstücken op. 11 von Arnold Schönberg.

Auf genau diese Aufgeschlossenheit setzt Franz Xaver Ohnesorg bei seinen Bemühungen, die zeitgenössische Musik beim großen Pianisten-Treffen an der Ruhr nicht außen vor zu lassen. Seit er 1996 die Leitung des Festivals übernahm, finden sich stets ein bis zwei Uraufführungen im Reigen der Konzerte, in denen das gängige Klavierrepertoire von Haydn bis Liszt naturgemäß den Ton angibt. Der sensationelle Auftritt von Jewgenij Kissin in der Essener Philharmonie, den das Klavierfestival im 16. Jahr seines Bestehens erstmals verpflichten konnte, brachte Werke von Chopin, Medtner und Strawinsky, während der Pole Krystian Zimerman sich am gleichen Ort ganz auf Chopin konzentrierte. Auch Arkadi Volodos und Anne-Sophie Mutter nebst Ehemann André Previn setzten auf Bekanntes. Dem Länder-Schwerpunkt Österreich und einem gerade begonnenen Mozart-Zyklus zum Trotz erstarrte das Festival aber nicht in rückwärts gewandter Mentalität: Es brachte auch Raritäten und Crossover-Projekte, die das Konzertgeschehen der Sommermonate lebendig hielten.
Zu den selten aufgeführten Werken gehörte die monumentale Concorde-Sonate von Charles Ives, die Pierre-Laurent Aimard in Duisburg bezwang, das Klavierkonzert von Wilhelm Furtwängler, das Gerhard Oppitz mit den Essener Philharmonikern interpretierte, und das Konzert für die linke Hand von Erich Wolfgang Korngold, dem sich David Lively und die Bochumer Symphoniker widmeten. Bei der literarisch-musikalischen Hommage „Ernst Jandl for ever“ wurden Grenzen zwischen Jazz und Neuer Musik ebenso leichtfüßig überschritten wie durch das Klavierduo Eduard & Johannes Kutrowatz. Die Brüder spielten Musik von Joseph Haydn ebenso vorzüglich wie Stücke von Arvo Pärt und Dave Brubeck.

Vom Pech verfolgt waren die Kompositionsaufträge des Festivals, die in diesem Jahr an drei Österreicher gingen. Die neuen Stücke hätten im Dortmunder Harenberg City-Center uraufgeführt werden sollen. Aber es kam ein wenig anders als geplant. Der Brendel-Eleve Till Fellner, der eigentlich „Polygon II“ von Johannes Maria Staud spielen wollte, musste auf Schuberts Sonate Nr. 14 a-Moll zurückgreifen, weil Staud wegen der Münchner Uraufführung seiner Oper „Berenice“ nicht termingerecht mit der Komposition fertig geworden war. Und Olga Neuwirth konnte wegen eines Motorrad-Unfalls nicht die Feuertaufe ihres Stücks „Marsyas“ erleben, das nach einer Satyr-Gestalt der griechischen Mythologie benannt ist. Immerhin führte Beat Furrer, der sich nach langer Zeit wieder einem Werk für Solo-Klavier zuwandte, das Publikum persönlich in seine drei etüdenhaften Studien ein. Der Pianist Markus Hinterhäuser, der im Vorfeld eng mit Furrer zusammengearbeitet hatte, spielte mit Obertönen und Interferenzen, aber auch mit dem asiatisch anmutenden Klangspektrum des präparierten Instruments, das der Amerikaner John Cage für seine „Sonatas und Interludes“ fordert.

Unter der hohen Zahl der Debütanten – immerhin 21 der 54 Pianisten aus 18 Nationen traten erstmals beim Klavierfestival auf – wagte sich mancher in Richtung Moderne vor. Da wurden Werke von Bartók, Kurtág, Ligeti, Pärt und Schnittke mit großer Selbstverständlichkeit in die Programmgestaltung einbezogen. Das „Nischendasein“ der Neuen Musik, das der Pianist Markus Hinterhäuser einen Tag vor seinem Auftritt beklagte, spiegelte sich in den vergleichsweise kleinen Veranstaltungsorten. Doch es war ebenfalls Hinterhäuser, der sich nach seinem Auftritt im Harenberg City-Center angenehm von der Aufmerksamkeit der Zuhörer überrascht zeigte. Die großen neuen Konzerthäuser in Dortmund und Essen wurden natürlich als Spielorte einbezogen, und es ist wohl ihnen zu verdanken, dass die Besucherzahlen des Festivals nach Angaben der Veranstalter um zehn Prozent höher liegen als im Vorjahr. Wenn Alfred Brendel, der in diesem Jahr mit dem Preis des Klavierfestivals Ruhr ausgezeichnet wird, das Abschlusskonzert in der Mülheimer Stadthalle spielt, haben rund 41.000 Besucher 60 Veranstaltungen in 14 Städten erlebt.

http://www.klavierfestival.de

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