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Täter in Frack und gar nicht weißer Weste

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Warum das Fotokopieren von Noten kein Kavaliersdelikt ist · Von Thomas Tietze
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Umsatzrückgänge bei vielen Musikverlagen, starke Einbußen bei Komponisten und Bearbeitern, Rückgang und gleichzeitige deutliche Verteuerung der Neuerscheinungen, Existenzbedrohung zumindest der spezialisierten kleineren Verlage und der Autoren. Am Ende einschneidende Veränderungen in der Musikszene. Das sind die beinahe zwangsläufigen Konsequenzen des schlichtweg illegalen Notenkopierunwesens, ausgeführt von unzähligen Musikern, Chorleitern, Pädagogen, Studenten und so weiter. Ein Grund für diese Situation ist auch in der mangelnden Aufklärung der Musiker zu sehen. Im folgenden gibt daher Thomas Tietze, Rechtsanwalt und Urheberrechtler, einen Überblick über die Rechtslage.

Die Vervielfältigung graphischerAusgaben von Werken der Musik [...] ist, soweit sie nicht durch durch Abschreiben vorgenommen wird, stets nur mit Einwilligung des Berechtigten zulässig...“ So das Gesetz, nämlich der § 53 Absatz 4b des Urheberrechtsgesetzes (UrhG). Eine deutliche Sprache! Und mit anderen, noch verständlicheren Worten: Das Vervielfältigen, also auch das Kopieren von urheberrechtlich geschützten Noten ist verboten! Damit sind zunächst alle diejenigen Werke gemeint, deren Urheber (Komponisten, Bearbeiter, Arrangeure und andere) noch leben oder noch keine 70 Jahre tot sind. Und diese Voraussetzung erfüllen sehr viele der immer wieder kopierten Werke. Studenten etwa kopieren besonders gerne – nicht nur zeitgenössische Werke, die in der Regel wegen der kleinen Auflagen recht teuer sind – mit der Folge, daß die Noten noch teurer werden! Nicht nur kleinere Laienorchester kopieren auch schon mal das gemietete Orchestermaterial.

Und bei den Laienchören (Gesangvereine) werden ja nahezu ausschließlich Werke zeitgenössischer Urheber oder jedenfalls in entsprechenden Bearbeitungen gesungen. Aber auch in Kirchenchören ist der Anteil zeitgenössischer Musik sehr hoch. Man denke nur an den Anteil noch geschützter Lieder in den Gesangbüchern. Auch Bearbeitungen und Arrangements (etwa Klavierbearbeitungen alter Werke oder Chor- und Orgelsätze) gelten als geschützte Werke und dürfen nicht kopiert werden. Übrigens, sogar Volkslieder wie „Im Frühtau zu Berge“ oder „Im Märzen der Bauer“ sind noch viele Jahre urheberrechtlich geschützt. In Zweifelsfällen geben hier immer die GEMA oder die jeweiligen Musikverlage nähere Auskunft. Aber auch bei Kompositionen, deren Urheber länger als 70 Jahre tot sind, kann ein Urheberrechtsschutz, richtiger: „Leistungsschutz“ gegeben sein. Dann nämlich, wenn es sich bei den verwendeten Noten um eine wissenschaftlich-kritische Ausgabe handelt (§ 70 UrhG), die sich obendrein noch wesentlich von bereits bestehenden Ausgaben unterscheidet. Gerade bei den für ernsthafte Musiker unverzichtbaren Urtextausgaben, die noch nicht länger als 25 Jahre auf dem Markt sind, ist hier immer mit einem Schutz zu rechnen. Oder die benutzte Ausgabe ist eine sogenannte Editio Princeps, die Erstausgabe eines bisher noch nicht erschienenen Werkes (§ 71 UrhG, Schutzdauer ebenfalls 25 Jahre nach Erscheinen oder erster Aufführung).

Auch bei solchen Werken, oft handelt es sich um Werke weniger bekannter Komponisten, kann also ein Schutz vorliegen, das Kopieren und Vervielfältigen demnach verboten sein. Aber auch große Werke, wie etwa die vor einigen Jahren entdeckte „Messe solennelle“ von Berlioz, kleinere Kompositionen großer Meister (recht häufig passiert das noch bei kleinen Instrumentalstücken) oder Werke von wiederentdeckten Komponisten können eine Editio Princeps sein. Nicht immer machen die Verlage auf diesen Umstand aufmerksam, was aber nichts am bestehenden Urheberrechtsschutz ändert. Um hier nicht unliebsame Überraschungen zu erleben, empfiehlt sich eine Nachfrage bei der Verwertungsgesellschaft VG-Musikedition in Kassel oder beim Verlag. Nebenbei übrigens: Bei diesen beiden zuletzt genannten Gruppen sind auch für Aufführungen oder Plattenaufnahmen Tantiemen – im Regelfall an die VG-Musikedition – zu zahlen! Man sollte daher nicht vergessen, die entsprechenden Werknutzungen auch anzumelden. Außerdem ist es, entgegen einer weitverbreiteten Annahme, für die Rechtswidrigkeit des Kopierens vollkommen unerheblich, ob die Kopien für den rein privaten Gebrauch hergestellt werden, oder ob die Kopien für Konzerte, Plattenaufnahmen oder sonstige sozusagen öffentliche Zwecke dienen sollen. Dies war früher zwar der Fall, mit der Änderung des UrhG im Jahre 1985 wurde diese Einschränkung des Kopierverbots durch den Gesetzgeber jedoch aufgehoben.

Also auch das Kopieren zum Üben oder schlicht zum Mitlesen oder Werkstudium ist verboten. Aber kein Gesetz ohne Ausnahme. Diese Ausnahmen bestehen darin, daß entweder die Kopie zur Aufnahme in ein Archiv vorgenommen wird. Dann aber muß die Kopie von einem eigenen Exemplar hergestellt werden (Kopien von entliehenen Exemplaren sind nicht zulässig!) und – das ist das entscheidende – die Aufnahme in ein Archiv geboten sein. Das ist sie aber so gut wie nie, da ja immer auch die originale Kopiervorlage in das Archiv eingestellt werden kann. Außerdem dürfte es für Musiker keine Gründe geben, von einem Werk gerade eine Kopie und nicht das Originalexemplar ins Archiv zu stellen. Oder Originalausgaben des zu kopierenden Werkes sind seit mindestens zwei Jahren vergriffen. Auch dieser Fall dürfte in der Praxis so schnell nicht relevant werden, da Werke, die wenigstens noch antiquarisch erhältlich sind, in der Regel nicht als „vergriffen“ angesehen werden.

Wer trotzdem meint, genau diese Ausnahmen träfen auf ihn zu und er könne ohne Furcht vor dem Staatsanwalt zum Kopierer laufen, muß sich sehr schnell eines besseren belehren lassen. Denn all diese Ausnahmen sind im Grunde keine, da die so – ausnahmsweise – legal hergestellten Kopien niemals verbreitet oder gar zu öffentlichen Wiedergaben (Konzert, Plattenaufnahme, Gemeindegesang und so fort) benutzt werden dürfen. Aufführungsmaterial darf deshalb natürlich auch niemals kopiert werden. Vor Illusionen wird also gewarnt. Fazit: Jedenfalls hinsichtlich urheber- oder leistungsschutzrechtlich geschützter Werke ist das Kopierverbot für Noten de facto absolut. Aber damit nicht genug. Auch bei Werken, auf denen kein, wie auch immer begründeter Urheber- oder Leistungsrechtsschutz mehr liegt – in der Regel den Werken des traditionellen Repertoires also, kann das Vervielfältigen von Noten, jedenfalls zu einem anderen als dem rein privaten Gebrauch (etwa Hausmusik), verboten sein. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) gibt hier die entsprechende Rechtsgrundlage. Wenn nämlich das Kopieren und Vervielfältigen in kommerzieller Absicht geschieht, die Noten etwa weiterverkauft oder im kommerziellen Konzert verwendet werden sollen, kann dieses Handeln unter Umständen als Verstoß gegen § 1 UWG angesehen werden. Immerhin bedient sich der Raubkopierer ja eines fremden Arbeitsergebnisses zwecks Förderung des eigenen Erwerbs. Wenn Musiker Noten kopieren und beispielsweise an die Mitglieder ihres Chores, zu welchem Preis auch immer, verkaufen, dürfte schon von wettbewerbswidrigem Verhalten gesprochen werden. Man muß dazu kein professioneller Notenverlag sein. Auch das Kopieren von gemietetem Orchestermaterial fällt natürlich in diese Kategorie, denn immerhin hat sich das Orchester ja die entsprechenden Materialgebühren gespart. Allerdings gilt das Gesagte nicht bei gemeinfreien Noten, deren Stich oder Satz länger als 50 Jahre zurückliegt – was aber nicht oft der Fall sein dürfte.

Was heißt eigentlich „Kopieren“? Ist damit nur der Gang in den Copy-Shop gemeint? Darf man also seinen, ja fast auf jedem Schreibtisch vorhandenen, PC nebst entsprechendem Notenschreibprogramm benutzen, das Werk eingeben, ausdrucken und dann kopieren – und so das Gesetz umgehen? Darf man sich die Noten von einer CD-Rom, Midi-File oder online aus dem Internet besorgen und dann einfach, bearbeitet oder unbearbeitet ausdrucken? Oder darf man – im kirchlichen Bereich – eine Folie mit geschützten Werken herstellen und diese dann etwa zum Gemeindegesang auf eine Leinwand projizieren? Nein. Alle genannten Tatbestände fallen eindeutig unter das Kopierverbot des § 53 Abs. 4b UrhG. Insbesondere das heute weit verbreitete Eingeben in den PC ist nur dann ohne Genehmigung durch den Rechtsinhaber erlaubt, wenn es bei dem Eintippen (dem „Abschreiben“ im Sinne des Gesetzes) bleibt und nicht etwa die einmal (!) ausgedruckten Noten ihrerseits wieder kopiert werden oder einfach 20-fach ausgedruckt werden. Das Kopieren wie auch der mehrfache Ausdruck von selbst, auch handschriftlich („Abschreiben“) erstelltem Notenmaterial auf der Basis eines geschützten Werkes ist eine verbotene Vervielfältigung.

Dasselbe gilt natürlich auch für den Ausdruck auf der Basis einer Datei eines Offline- oder Online-Datenträgers. Auch das ist, wie übrigens bereits das bloße downloading von geschützten Werken, verbotene Vervielfältigung! Das gerade in Kirchengemeinden verbreitete Herstellen von Folien mit geschützten Werken, die dann zum gemeinsamen Singen – ob im Rahmen eines Gottesdienstes oder nicht, ist unerheblich – auf eine Leinwand projiziert werden, ist ebenfalls ohne Genehmigung der Rechteinhaber nicht erlaubt. Wer kann nach alledem legal Vervielfältigungen von Noten herstellen? Ganz einfach: Abgesehen von den oben vorgestellten, praktisch irrelevanten Ausnahmen zunächst einmal jeder, der eine Genehmigung des Inhabers der graphischen Vervielfältigungsrechte an dem Werk besitzt. Und das ist im Regelfall der Musikverlag, aus dem die Noten stammen oder die schon erwähnte VG-Musikedition in Kassel. Die Verlage können auch autorisierte Kopien herstellen. Allerdings ist dies für die Verlage verhältnismäßig aufwendig und kann recht teuer sein. Die VG-Musikedition (die GEMA hat damit nichts zu tun) hat darüberhinaus sogenannte Gesamtverträge mit den beiden großen Kirchen, Freikirchen, sowie – für den Schulbereich – der Kultusministerkonferenz abgeschlossen. Diese Institutionen zahlen jährlich an die VG-Musikedition einen bestimmten Betrag. Dafür erlauben die Verträge es bestimmten, eng umgrenzten Personengruppen, Kopien ebenfalls bestimmter Art herzustellen. Sie geben also die erforderliche Genehmigung zum Kopieren im voraus. Im einzelnen sieht das so aus: Pfarrer dürfen ausschließlich für den Gemeindegesang im Gottesdienst oder in gottesdienstähnlichen Veranstaltungen (wie Trauungen oder Taufen) einzelne Lieder und Texte aus den amtlichen Gesangbüchern sowie sonstige zum Gemeindegesang bestimmte Lieder und Texte kopieren und in die Kirchenbänke legen. Außerhalb des Gottesdienstes jedoch (Aufführungen, sonstige öffentliche Wiedergaben) ist die Verwendung von Kopien – mit Ausnahme von kurzen Wendestellen zur Erleichterung beim Blättern – nicht gestattet. Alle anderen Werke fallen grundsätzlich nicht unter den entsprechenden Gesamtvertrag.

Ebensowenig dürfen Lieder, auch wenn sie im Gesangbuch stehen, für Instrumentalmusik im oder außerhalb des Gottesdienstes (zum Beispiel Posaunenchor oder Blockflötengruppen) kopiert werden. Dasselbe gilt für Ausdrucke auf der Basis elektronischer Dateien. Ganze Notenbände dürfen ohnehin nicht kopiert werden, sondern lediglich kleine Teile. Lehrer dürfen nur dann ohne ausdrückliche Genehmigung kopieren, wenn sie an einer staatlichen Schule (nicht Musikschule, Konservatorium oder Hochschule) tätig sind und die Kopien ausschließlich für den Unterrichtsgebrauch maximal in Klassenstärke herstellen. Andere Gruppen, die nicht einer der eben genannten zugehörig sind, können sich keinesfalls auf die Gesamtverträge berufen. Also gerade Chorleiter, insbesondere von Kirchenchören, dürfen nicht einfach unter Berufung auf diese Verträge Noten kopieren, auch nicht für den Gesang im Gottesdienst zur Gemeindebegleitung und auch nicht, wenn es sich etwa um Lieder aus dem Gesangbuch handelt.

„Sonstige“ Musiker, Professoren, Studenten, Privatlehrer – auch an Musikschulen – oder Chorleiter können sich niemals auf die Verträge berufen. Mit welchen Konsequenzen muß nun der „Notenpirat“ rechnen, wenn er unerlaubte Vervielfältigungen hergestellt hat? Das Gesetz ist auch hier wieder eindeutig. Kopieren oder Vervielfältigung von geschützten Noten ohne Genehmigung des Rechtsinhabers ist rechtswidrig und somit illegal. Nochmals ein Gesetzeszitat (§ 106 UrhG): „Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung [...] vervielfältigt [...] wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. [Bereits] der Versuch ist strafbar.“ Auch wenn es sich im streng juristischen Sinne „nur“ um ein Vergehen handelt, sind die Strafen drakonisch. Dies hat seinen Grund: Man muß sich vor Augen halten, daß das unerlaubte Kopieren nichts anderes ist als Diebstahl. Der Urheber hat eine Arbeitsleistung erbracht und geistiges Eigentum geschaffen. Dieses Eigentum kann gestohlen, der Urheber und die sonstigen Rechtsinhaberso um ihren gesetzlich zugesicherten Lohn gebracht werden. Und dieser Lohn ist die notwendige Grundlage für weitere Arbeit, also die Kompositionen und deren Publikation. Um zu verhindern, daß dieser Kreislauf weiterhin empfindlich gestört wird, sollte sich bei allen Musikern ein Unrechtsbewußtsein einstellen, nämlich das Bewußtsein, daß man mit dem illegalen Kopieren dem gesamten Musikleben nachhaltig schadet.

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