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Unheilige Allianz: Popmusik und Rechtsradikalismus

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Drei Antworten auf Theo Geißlers Leitartikel <a href= "/nmz/2007/09/leiter-geissler.shtml">„Glashaus-Musik“</a> in der September-Ausgabe der neuen musikzeitung
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Auf die Jugend zugehen

Popmusik ist zeitgenössische Musik. Sie formuliert gesellschaftliche Statements in ganzheitlicher Form immer wieder neu. Deshalb wirkt sie in umfassendem Maße identitätsstiftend. Gerade in der jungen Generation ist sie das zentrale kulturelle persönlichkeitsprofilbildende Trägermedium. Dies alles sind sozial-, kommunikations- und musikwissenschaftliche Binsenweisheiten, die in diesem speziellen Kontext eine größere Bedeutung bekommen, weil zum ersten Mal ein bestimmtes Feld von Politik diese Tatsachen einfach professionell und ganz besonders qualitativ für die eigenen politischen Ziele einspannt. Da dies nur schwer zu verhindern ist, bleibt nur der eindringliche Appell an die parteilich-organisierte Demokratie, sich dieser Tatsache bewusst zu werden und somit kommunikativ wie kulturell adäquat auf die junge Generation zuzugehen, die sonst diesen radikalen politischen Strömungen alternativlos ausgesetzt ist.

Dieter Gorny, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender, Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft e.V.

Musik und „rechte Gesinnung“

Dass das „Dissen“, also das diskreditieren des Gegners zu einer der Hauptdisziplinen des HipHop gehört, ist allen Fans durchaus bekannt, auch die Battle ist ein grundlegendes Element der Musik sowohl im Jazz als auch im HipHop oder im indirekten Vergleich der Gitarristen und Drummer im Hard Core. Dass dazu oft auch das Einnehmen einer Gegenposition zum gängigen gesellschaftlichen Mainstream oder gegenüber anderen „Communities“ bis zur Ablehnung der gegebenen Gesellschaftsordnung gehört, ist in der Historie der Popmusik bis zur Gegenwart belegt. Leider hat sich in den letzten Jahren jedoch vor allem am rechten Rand aber auch mittlerweile mitten im Mainstream das Gedankengut verbreiten können, dass vor 70 Jahren in Deutschland zu den bekannten Ergebnissen geführt hat. Diskriminierung von Minderheiten bis zur Gewaltverherrlichung gehören in diesen Zusammenhang.

Dass manches auch in einem Kunst-Kontext seine Daseinsberechtigung sucht, macht die Sache um so perfider. Vor allem durch diejenigen, die ihre nationalsozialistische Gesinnung durch intellektuelle und künstlerische Untermauerung auch einem jungen Publikum schmackhaft zu machen suchen. Bei manchen jungen Menschen in der Pubertät mag dies in Ermangelung von anderen Gegenentwürfen zum Leben ihrer liberalen Eltern der einzig mögliche Aufschrei von Trotz gegen die elterliche „Coolness“ sein. In der Regel jedoch sollten derartige musikalisch-textliche Ergüsse dahin gehören, wo sie keinen Schaden anrichten: Auf den Müllhaufen der Musikgeschichte.

Der Deutsche Musikrat hatte sich in seiner Präsidiumssitzung in Berlin vom 10./11. Februar 2006 auf Antrag des Bundesfachausschusses Populäre Musik in einer einstimmig gefassten Erklärung sehr deutlich gegen rechtsextreme Musik ausgesprochen. Aufklärung in der Schule tut Not, vor allem in den dafür relevanten Unterrichtszusammenhängen (Musik, Deutsch, Gesellschaftskunde).
Der Verbreitung dieser Musik – auch auf den Schulhöfen – sollte durch „Zero Tolerance“ Einhalt geboten werden.

Darüber hinaus muss die Aufklärung über Inhalte, Hintergründe, geschichtliche Bezüge et cetera nicht nur in der Schule, sondern auch durch Musiker, Prominente und Identifikationspersonen beständig erfolgen.

Das Eindämmen dieser braunen Gesinnungspest ist jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die sich nicht auf den rein musikalischen Zusammenhang beschränken darf. Wo derartige Musik entsteht, gehört und gekauft wird, gibt es entsprechende Hintergründe und Zusammenhänge, die einer Antwort bedürfen, die weit über das musikalische Umfeld hinausgehen.

Und das gilt für Mügeln als jüngstes Beispiel wie auch für alle anderen vergleichbaren Vorfälle.

Udo Dahmen, Vizepräsident des Deutschen Musikrats und Künstlerischer Direktor und Geschäftsführer der Pop-akademie Baden-Württemberg

MusikGewalt

„Die stärkste Waffe eines Menschen ist seine Stimme“ (Titel einer BILD-Kampagne vom 18. Januar 2007) – so abartig der hergestellte Zusammenhang ist, so sehr ist dieser Slogan Spiegel unserer Gesellschaft. Ob „Happy Slapping“ – möglichst noch mit der passenden Musik unterlegt – oder Musik mit Gewalt verherrlichenden Texten auf dem Schulhof oder in den virtuellen Welten die Runde macht, Gewalt ist geil … und mehr und mehr gesellschaftsfähig. Ob offen oder versteckt, ob zweckbestimmt oder aus purer Lust um ihrer selbst willen – Gewalt bestimmt in steigendem Maße unseren Alltag.

Die Klagemauer über die zunehmende Verrohung menschlichen Zusammenlebens wird lang und länger und dennoch zieht die Karawane immer neuer und härterer Varianten erfahrbarer Gewalt unverdrossen weiter. In der öffentlichen Wahrnehmung leuchten die Berichte darüber wie Sternschnuppen auf und versinken im Nirwana einer digitalisierten Welt – ebenso wie die diskutierten Lösungsansätze. Die zarten Pflänzchen differenzierter Auseinandersetzungen – wie es sich zum Beispiel bei der Diskussion um die Computerspiele zu entwickeln scheint – sind nicht massenmedientauglich und damit nicht wirklich prägend für die öffentliche Meinungsbildung.

Musik kann den Menschen wie keine andere Kunst prägen – sie ist Gift und Gegengift zugleich. Die janusköpfige Rolle der Musik und die durch sie gegebenen Manipulationsmöglichkeiten fordern einen besonders wachen Umgang mit dem Wirkungsspektrum der Musik.

So klar es ist, dass die Kunstfreiheit ein hohes, zu schützendes Gut ist, die Rahmenbedingungen für die Musikwirtschaft gerade dort wo gesellschaftliche Entwicklungen Kreativpotenziale gefährden (Stichwort: Schutz des geistigen Eigentums), verbessert werden müssen, so klar muss es auch sein, dass die im Grundgesetz verankerte Menschenwürde nicht verletzt werden darf.

Dieser gesellschaftliche Konsens wird dort perforiert, wo Gewaltverherrlichung unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit Raum greift. Wir brauchen keinen Wächterrat, sondern einen breiten, gelebten Konsens, was der gesellschaftlichen Ächtung unterliegt. Gewaltverherrlichung jedweder Art gehört dazu. Angesichts der technologischen Möglichkeiten werden Verbote nur eine (immerhin) symbolische Wirkung entfalten. Entscheidend wird es sein, deutlicher als bisher gegen jede Gewaltverherrlichung Position zu beziehen und Wege aus der Gewaltspirale zu beschreiben und einzufordern.

Dass Musik ein Wert an sich ist und um ihrer selbst Willen in all ihren differenzierten Ausprägungen Entwicklungsräume braucht, wird heute allenfalls als weltferne Romantik vergangener Zeiten belächelt – so es denn überhaupt verstanden wird. So sitzen wir in einer selbstgebauten Verwertungsfalle, die nur nach dem Wofür und nicht mehr nach dem Was fragt. Die Erfahrbarkeit kultureller Vielfalt ein Leben lang ist aber eine zentrale Voraussetzung für das Zusammenleben von Menschen, die die Frage nach der Verwertbarkeit in eine ausgeglichene Balance zu einem humanistischen Gesellschaftsbild rückt.

Der Deutsche Musikrat trägt als Teil der Zivilgesellschaft Mitverantwortung für gesellschaftliche Entwicklungen. Die Stärke seiner musikpolitischen Arbeit gewinnt er aus der Fachkompetenz und der gesellschaftspolitischen Wirksamkeit seiner Mitglieder sowie seiner strategischen Ausrichtung und dem daraus folgenden gesellschaftspolitischen Engagement.

Mit den in den vergangenen Jahren aufgenommenen Schwerpunktthemen unter anderem zum Interkulturellen Dialog, der Musik in Ganztagsschulen, der Musikvermittlung, der Zukunft der Musikberufe und dem demographischen Wandel hat der Deutsche Musikrat neben dem Dauerthema der musikalischen Bildung gesellschaftspolitische Wirksamkeit praktiziert. Dieses Spektrum bedarf der Ergänzung um die Themen „Musik und Gewalt“ und „Musik in der Virtualisierung von Lebenswelten“.

Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats

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