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Unruhig, unbequem, unbelehrbar: Neue Aufnahmen Neuer Musik

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Musik von und mit Friedrich Cerha, Boris Yoffe, Robin de Raaff, George Benjamin, Louis Andriessen, Friedrich Gauwerky, Mark Knoop, John Cage auf aktuellen CDs.

Ähnlich wie sein Wiener Kollege Friedrich Cerha entfaltet auch der Schweizer Rudolf Kelterborn mit 80 noch eine stupende Kreativität. „Hommage à FD“ ist ein beunruhigendes, zwischen gläserner Statik und Klangeruption schwankendes Panoptikum Dürrenmatt’scher Figuren, eine Kammersinfonie mit der merkwürdigen Besetzung von zwei Klavieren und drei Instrumentalgruppen tastet sich weit in ungesicherte Regionen vor, Texte von Ernst Jandl führen zu reflexivem Innehalten und emotionalem Ausbruch, ein Bratschenkonzert spaltet das Orchester in funkelnde Klangsplitter auf. Geschliffenes Handwerk steht im Dienst einer opulenten kompositorischen Fantasie. Für packende Umsetzung sorgen Jeannine Hirzel (Sopran), Jessica Rona (Viola), das Nouvel Ensemble Contemporain unter Pierre-Alain Monot und das Sinfonieorches­ter Biel. (Neos 11118)

Es mag unpassend sein, sich in der Kritik einer Komponisten-CD auf das Urteil von dessen Lehrer zu beziehen, doch hier ist es zulässig. Wolfgang Rihm, der Lehrer von Boris Yoffe, sagt nämlich: „Ich konnte ihm eigentlich nie etwas sagen.“ Er sei unbelehrbar gewesen. Warum, versteht man beim Hören der vom Rosamunde Quartett gespielten Stückesammlung „Song of Songs“ (Hohelied). Von mehreren tausend kurzen Kompositionen, die jeweils nur eine Notenseite füllen, ist hier ein Bruchteil versammelt: weltabgewandte, nach innen gekehrte Fragmente, die stets irgendwie verwandt und doch anders klingen. Und wenn das Hilliard Ensemble noch seine leise beschwörenden Vokalklänge hinzugibt, ist das Enigma perfekt. Eine verlorene Musik, deren geheimnisvollen Spuren man gerne folgt. (ECM 476 4426)

Die CD von Friedrich Gauwerky und Mark Knoop mit Kompositionen von John Cage aus den 1950er- und 1970er-Jahren ist selbst kenntnisreich komponiert. Im Zentrum steht das anarchische Stück "10’40.3“ für Cello solo mit Vokalaktionen. Darum herum gruppieren sich symmetrisch vier „Harmonies“ für Cello und Klavier aus „Apartment House“ und, als Hauptstücke, zwei Versionen der eminent schwierigen „Etudes Boreales“ von 1978: einmal als Klavierversion, wobei Mark Knoop dem Instrumentenkorpus die schönsten Farbgeräusche entlockt, und einmal als Duo mit Klängen, die auf Messers Schneide balancieren. (Wergo 6718 2)

Die Werke von ihrer Herbsttournee 2011 hat die Junge Deutsche Philharmonie nun als Live-Mitschnitt aus der Alten Oper Frankfurt veröffentlicht. Messiaens klangsensibel musiziertes Orchesterstück „Un sourire“ und Strawinskys Orchesterknüller „Le sacre du printemps“ rahmen zwei Werke jüngeren Datums ein. „Duet“ von George Benjamin ist ein spannender Dialog von Klavier und Orchester, der durch eine ausgetüftelte Klangdramaturgie beeindruckt. An Benjamins Sorgfalt im Umgang mit den Klanggewichten knüpft auch sein Schüler Robin de Raaff mit der Uraufführung des kammermusikalisch aufgelichteten Orchesterstücks „Untangled Tales“ an. Unter Lothar Zagrosek läuft das junge Orchester zur Bestform auf. (EMCD-018, www.jdph.de)

Mit der Komposition „De Staat“ über Texte aus Platons „Politeia“ schuf Louis Andriessen in den 1970er-Jahren eine originelle Synthese von minimalistischer Struktur und politischer Aussage. Die handfeste, blechlastige Instrumentierung und die strawinskyhaften Brüche haben etwas aufrüttelnd Unbequemes mit leicht plebejischem Anstrich, die sperrigen Chorsätze scheinen archaischen Volksmusiktraditionen abgehorcht. Solche Neoprimitivismen verleihen Andriessens musikalischem Traktat noch heute einige Durchschlagskraft, auch wenn die Botschaft eher akademisch wirkt. Das zweite Stück auf der CD, „Anaïs Nin“, breitet mit Tagebuchauszügen die unersprießlichen Männergeschichten dieser laut Andriessen „vielseitigen Frau“ aus. (Signum Classics, SIGCD 273) 

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