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Neuer Aufsichtsratsvorsitzender:  Jörg Evers. Foto: GEMA
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Uns kontrolliert kein Google und kein Bertelsmann

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Jörg Evers, Aufsichtsratsvorsitzender der GEMA, im Gespräch mit der neuen musikzeitung
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In den 70er-Jahren tourte Jörg Evers mit zahlreichen Bands wie Amon Düül II, Embryo, Peter-Maffay-Band, Pack und anderen. Danach war er vorwiegend als Komponist, Musikbearbeiter, Musikproduzent in unterschiedlichsten Genres sowie als Komponist vieler Kino-, Fernseh-, Werbefilm- und Hörspielmusiken tätig. Evers engagierte sich früh in Ehrenämtern beim Deutschen Komponistenverband, beim Composers Club und seit 2000 als Aufsichtsrat bei der GEMA. Anfang dieses Jahres wurde Jörg Evers in Nachfolge des in Ruhestand verabschiedeten Christian Bruhn zum Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt. Anlass für Barbara Haack und Andreas Kolb sich mit Jörg Evers zum Gespräch zu treffen.

neue musikzeitung: Die GEMA steht vor neuen Aufgaben und veränderten Rahmenbedingungen. Was sind die größten Herausforderungen auf europäischer Ebene?

Jörg Evers: Bezüglich der Verwertungsgesellschaften muss dringend eine gesamteuropäische Richtlinie her. Im Moment herrscht hier absolutes Chaos bei den Generaldirektionen. So haben und hatten die verschiedenen Generaldirektionen Binnenmarkt, Wettbewerb, Informationsgesellschaft und Medien oft völlig unterschiedliche, sich widersprechende Meinungen zur Zukunft der europäischen Verwertungsgesellschaften. Die Generaldirektion Wettbewerb unter der Führung der Kommissarin Neelie Kroes brachte sogar das Kunststück fertig, sich innerhalb ihrer eigenen Kommission völlig widersprüchlich zu verhalten. So hetzte sie einerseits die europäischen Verwertungsgesellschaften mittels der CISAC-Entscheidung aus angeblich kartellrechtlichen Gründen in einen gesteigerten Wettbewerb untereinander, was zu einer zusätzlichen Fragmentierung des Marktes führt; andererseits wird von ihr – wohl auf Druck der IT-Industrie hin – ein monopolartiger europäischer One-Stop-Shop, bei dem es vorzugsweise möglichst alle Rechte aus einer Hand geben soll, als Zukunftsmodell gepriesen. Wie diese verwirrende Quadratur des Kreises wettbewerbsrechtlich vermittelbar und durchführbar sein soll, wird sicherlich noch zu vielen Diskussionen Anlass geben

nmz: Welche Politik verfolgt die GEMA diesbezüglich?

Evers: Wir versuchen, das Bewusstsein bei den Politikern und Kommissaren voranzutreiben, dass die Verwertungsgesellschaften keine rein kommerziellen Dienstleistungs- und Industrieunternehmen sind, sondern aufgrund ihres Doppelcharakters sowohl als wirtschaftliche als auch als kulturell und sozial verantwortlich prägende Institutionen eine privilegierte Stellung einnehmen sollten.

nmz: Die Vorschläge der Kommission bezogen sich auf die Bereiche Online, Kabel und Satellit, wo die Erträge im Verhältnis relativ gering sind.

Evers: Ja, weil hier noch größtenteils Schiedsverfahren hinsichtlich der anwendbaren Tarife anhängig sind. Da mussten wir große Rückstellungen bilden, die erst nach Abschluss der Verfahren ausgeschüttet werden können.

nmz: Welche sind die größten Herausforderungen auf nationaler Ebene?

Evers: Konkret ist es das Problem bezüglich der gesetzlichen Vergütungsansprüche der Urheber auf Leermedien und Geräte für den Bereich der privaten Vervielfältigung. Nach dem II. Korb soll nun mit den betroffenen I Industrieverbänden vereinbart werden, dass die Höhe der Vergütungsansprüche durch empirische Untersuchungen des Nutzerverhaltens festgestellt wird. Aufgrund dessen soll dann die jeweilige Vergütung bezahlt werden. Bis dieses Verfahren in Gang kommt, sollten die alten Tarife weiter gelten. Nachdem Korb II die Legislative passiert hatte, geschah etwas, wovor die Verwertungsgesellschaften das Bundesjustizministerium schon vorher gewarnt hatten. Viele Verbände sagten, jetzt gäbe es für sie keine Geschäftsgrundlage mehr und zahlten deutlich weniger oder sogar gar nichts mehr. Die Folge: Die Erträge aus der gesetzlichen Vergütung für private Vervielfältigung sind auf ein Drittel zusammengeschrumpft. Das beweist um so mehr, dass hinsichtlich der Vergütungsansprüche eine Hinterlegungspflicht unbedingt gesetzlich verankert werden muss, um nicht die Urheber auszubluten.

nmz: Wie die Mexiko-Grippe, so der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Frank Dostal, habe sich das Thema GEMA-Petition im Internet verbreitet und eine Eigendynamik entwickelt, die zu Beginn der Initiative niemand erwartet hatte. Welche Lehren zieht die GEMA aus der Petition?

Evers: Ich bin gelassen, was die angebliche Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz, Vereinsrecht und Urheberrecht angeht. Wir haben nicht gegen Gesetze verstoßen.

Wir stehen sogar bei jeder unserer Aufsichtsratssitzungen aufgrund des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes unter ständiger Aufsicht durch eine/n Abgesandte/n des Deutschen Patent- und Markenamtes, um die Vereinbarkeit unserer Entscheidungen mit der Gesetzeslage zu überprüfen.

Was uns jedoch wirklich zum Nachdenken bringt, ist, dass so viele Leute unzufrieden sind oder offensichtlich so einen schlechten Eindruck von der GEMA haben. Man muss hinterfragen, wer sind diese Leute, die diese Petition unterschrieben haben? Wie groß ist dabei der Anteil von GEMA-Mitgliedern, von unzufriedenen Interpreten, Musikern oder anderen Interessengruppen, und von jenen, die aus welchen Gründen auch immer, der GEMA mal so richtig eins auswischen wollen Durch den Deckmantel der Anonymität wird speziell bei solchen Internet-Aktionen, die epidemische Ausmaße annehmen können, leider verhindert, dass man konkrete Rückschlüsse ziehen kann.

nmz: Ist es heute schwerer, ein ordentliches Mitglied zu werden, als früher?

Evers: Ich kann nur steigende Mitgliedschaften konstatieren. Und der Verteilungsplan gilt für alle gleich, egal ob er ein langjähriges oder ein neues Mitglied ist.

nmz: Es gibt aber Kritiker am Verteilungsverfahren?

Evers: Richtig. Viele Unterzeichner der Petition haben sich mit diesem Thema „drangehängt“. Das hat mit der Petition eigentlich nichts zu tun.

nmz: Eine zentrale Herausforderung steckt im Thema Digitalisierung. Eine schlechtere Positionierung der Urheber ist zu befürchten. Was tut die GEMA?

Evers: Die GEMA führt und führte viele Prozesse gegen illegale Anbieter und war darin auch extrem erfolgreich, wie etwa gegen Rapidshare und andere. In Punkto erfolgreiches Vorgehen etwa gegen illegale Share-Hoster sind wir im Vergleich mit anderen europäischen Verwertungsgesellschaften führend.

nmz: Ist es nicht auch eine zentrale Aufgabe der Verwertungsgesellschaften, angesichts der Zahl von illegalen Downloads ein Bewusstsein fürs Urheberrecht zu schaffen?

Evers: Ja, das ist richtig. Wir hoffen aber auch darauf, dass die neue Bundesregierung ein größeres Bewusstsein für den Wert des geistigen Eigentums entwickeln wird. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in letzter Zeit ganz deutlich gemacht, dass es für die Kultur und die Weiterentwicklung des geistigen Eigentums unablässig ist, einen entsprechenden Schutz zu garantieren.

nmz: Wie stehen Sie zur Kulturflatrate?

Evers: Meiner Meinung nach ist „Flatrate“ ein Begriff, der differenziert werden muss. Wir haben ja bereits Flatrates, zum Beispiel proprietäre Systeme wie „Nokia Comes With Music“. Was sich die meisten von einer so genannten „Kultur-Flatrate“ erhoffen: Man zahlt einmal und erhält den kompletten Zugriff auf sämtlichee geistige Inhalte, die digitalisierbar sind. Das wäre allerdings ein Dammbruch, was das exklusive Selbstbestimmungsrecht des Urhebers über sein Werk beziehungsweise über die ausschließlichen Nutzungsrechte an seinem Werk angeht – eine totale Entmündigung und Enteignung des Urhebers und Künstlers.

nmz: Welchen Stellenwert hat der Kulturauftrag der GEMA?

Evers: Das ist in der Satzung ganz deutlich bezeichnet. Der Zweck der GEMA ist der Schutz des Urhebers und die Wahrnehmung seiner Rechte. Das ist ihre primäre Aufgabe. Im Urheberrechtswahrnehmungsgesetz ist dann zusätzlich verankert, dass sie als Verwertungsgesellschaft außerdem auf soziale und kulturelle Belange Rücksicht nehmen muss. Das ist im Regelwerk der GEMA unter anderem durch den zehnprozentigen Abzug beim Aufführungsrecht gewährleistet. Diese Gelder werden für die kulturellen und sozialen Verpflichtungen verwendet.

nmz: Wobei Kritiker sagen, dass noch mehr passieren sollte.

Evers: Es passiert auch mehr: Wir haben noch die GEMA-Stiftung und die entsprechenden Kulturtarife für Jugendmusikclubs und so weiter.
Was allerdings Wunschvorstellungen bezüglich Erhöhungen des Abzugs für kulturelle und soziale Zwecke angeht, so muss man wissen, dass dieser Komplex besonders von den angloamerikanischen Schwestergesellschaften ständig äußerst kritisch hinterfragt wird und somit großes internationales Konfliktpotenzial in sich birgt.

nmz: Bezüglich der geplanten Zusammenlegung von Bezirksdirektionen unterscheiden sich die Aussagen von Aufsichtsrat und Geschäftsführung. Wie kommt es zu diesen widersprüchlichen Meldungen?

Evers: Die erste Meldung der Geschäftsführung hat nie behauptet, dass die Bezirksdirektionen geschlossen werden, sondern dass die Prüfungs- und Planungsphase begonnen hat und im Dezember die endgültige Entscheidung fallen wird. Dieser letzte Satz wurde von vielen Medien verdreht beziehungsweise in seiner Konsequenz nicht gebührend gewichtet. Das hat der Aufsichtsrat noch einmal klargestellt.

nmz: Die Bezirksdirektionen sind für den Bereich des Inkassos für Live-Veranstaltungen zuständig, der im Moment boomt. Was ist die Veranlassung, die Strukturen gerade in diesem Bereich zu verändern?

Evers: Die GEMA als wirtschaftlich verantwortliche Treuhänderin ihrer Mitglieder muss immer sehen, welche Möglichkeiten der Kosteneinsparung es gibt, ohne die Ertragseffizienz zu gefährden. Es gibt bei manchen Bezirksdirektionen einerseits oft Generalverträge mit großen Kunden, die ein großes Inkasso generieren, welches naturgemäß ohne großen administrativen Aufwand verhältnismäßig leicht zu realisieren ist. Andererseits wird eine andere Bezirksdirektion ohne substanzielle Großkunden mit einem daraus resultierenden niedrigeren Gesamtinkasso   ihre Tätigkeit wesentlich arbeits- und kostenintensiver erledigen müssen. Dafür Bewertungsmaßstäbe zu finden, ist natürlich schwierig. Es wird unsere Aufgabe sein, das einzuschätzen, wenn wir die gesamten aussagekräftigen Zahlen haben.

nmz: Es gibt also keinen Konflikt, sondern Einvernehmen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat?

Evers: Ich vermag keinen Anlass für einen eventuell schwelenden Konflikt zu erkennen, denn  auch der Vorstand  hat es ausdrücklich  begrüßt und unterstützt, dass der Aufsichtsrat sich hinsichtlich der Fehlinterpretation der ersten Meldung noch einmal klarstellend zu Wort gemeldet hat. Es liegt also völlig fern, einen Keil zwischen Aufsichtsrat und Vorstand zu vermuten.

nmz: Wie ist der aktuelle Stand der Dinge bei den Bezirksdirektoren? Wird die Entscheidung mit den Mitarbeitervertretern besprochen?

Evers: So, wie es das Betriebsverfassungsgesetz vorsieht.

nmz: Sind Sie –  einmal abgesehen von dem Amt, das Sie innehaben – als Komponist zufrieden mit Ihrer Verwertungsgesellschaft?

Evers: Ich will nicht einfach alles so lassen und konservieren, wie es ist, denn die Anforderungen an die GEMA sind gerade im Zeitalter der Digitalisierung fortwährend im Fluss, da ist ständig „work in progress“. Ebenso muss mit Umsicht das nach jahrzehntelangen Kämpfen zum Wohle der Mitglieder erstrittene Bewährte und nachhaltig Sinnvolle sorgfältig vor vorschnellen Destruktionen beschützt und bewahrt werden.  Das betrifft besonders die außerordentliche Bedeutung der GEMA für die Musikkultur.

Allgemein bin ich  durchwegs zufrieden mit der GEMA. Denn die GEMA ist ein basisdemokratischer Verein, der von den Komponisten, Textdichtern, Bearbeitern und Musikverlegern gegründet wurde und von seinen  Mitgliedern selbst auch eigenverantwortlich durch seine Gremien kontrolliert wird. Uns kontrolliert keine fremde Macht, kein Google oder Bertelsmann, sondern wir kontrollieren uns selbst, natürlich innerhalb des dafür vorgesehenen Gesetzesrahmens.

Insofern kann ich mir überhaupt keine bessere Alternative vorstellen. Deshalb bin ich schon sehr glücklich darüber, dass unsere Mitglieder einen Verein haben, von dem die meisten  – trotz allem nötigen ständigen Veränderungsdruck – selbstbewusst ihrer Kollegialität Ausdruck verleihen und  sagen können: „Wir sind die GEMA!“

Das Gespräch führten Barbara Haack und Andreas Kolb

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