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Wunderbarer Erzähler: Josef Tal. Foto: Marianne Fleitmann
Wunderbarer Erzähler: Josef Tal. Foto: Marianne Fleitmann
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Vom Faden, der die Welt zusammenhält

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Zum Tod des Komponisten Josef Tal (1910–2008)
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Seine Hartnäckigkeit war sprichwörtlich. Sich einzulassen auf Josef Tal, den Künstler und seinen Kunstanspruch, verlangte viel. Unerlässliche Eigenschaften, die mitzubringen waren, wenn man auf Josef Tal traf, waren Ausdauer, Kritik-, ja, Leidensbereit­schaft. Interesse, Kunsternst vorausgesetzt. Zugleich war Tal ein wunderbarer Erzähler.

Mühelos wurde man am Kaffeetisch seiner Jerusalemer Wohnung ins Milieu seines Berliner Elternhauses versetzt, dessen Atmosphäre er hingebungsvoll zu schildern wusste, inklusive jenes Zitronenpuddings, der einmal zum Entsetzen der Mutter den zum Sabbath im Hause Grünthal Versammelten nicht wie geplant vorgesetzt werden konnte. Katastrophe! Den Vater, einen orthodoxen Rabbiner, habe dies überhaupt nicht interessiert. Der sei weiter in seine Gespräche und Gedanken vertieft gewesen. Zitronenpudding? Ach so. Überhaupt – der Vater. Immer wieder war er es, den der Sohn des Rabbiners (Titel von Tals Autobiographie erster Auflage) in seinen Erinnerungen auferstehen ließ.

Wie Josef Tal, geboren am 18. September 1910, zur Musik, zum Komponieren gekommen ist? Es gibt auf diese Frage, die zusammenfällt mit jener anderen, was uns die Musik des Josef Tal bedeutet, zwei Antworten. Die eine geht so: Ein allererster Auslöser sind die Klavierstunden der Schwester Grete, die er bald überrundet, um dann so rasche Fortschritte zu machen, dass der Familienrat eines Tages tatsächlich erwägt, etwas eigentlich ganz Unmögliches in Betracht zu ziehen: Josef soll Musik studieren! Bedingung: Eine Kapazität muss das Placet geben. Diese ist schnell gefunden in Julius Prüwer, dem seinerzeit zweiten Dirigenten der Berliner Kroll-Oper.

Die andere Antwort auf die Frage nach Josef Tal und der Musik führt zurück an die Anfänge, wenn der Sohn des Rabbiners an der Hand des Vaters zu den Sabbathgottesdiensten der Ostjuden in einer winzigen Berliner Hinterhofsynagoge mitgenommen wird. Da steht er nun. Inmitten großer Männer, angetan mit Bärten und langen Kaftanen, lauscht Josef den fremdartigen Litaneien einer schwitzenden Betgemeinschaft, die diese zwischen kollektivem Murmeln und ekstatischem Singsang der Leere von Zeit und Raum entgegenwirft.

Wichtige Begebenheit? Träumerei? Beides vielleicht. Denn dass Josef Tal dort einen instruktiven Blick in den Tiefbrunnen seiner jüdischen Herkunft getan hat, liegt auf der Hand. Der Auslöser für eine musikalische Vision. Ein Wachtraum, für den Tal nach seiner Flucht nach Palästina 1935 in gewisser Weise tatsächlich ein ganzes Künstlerleben gebraucht hat, um ihn auszulegen, nicht zuletzt mit Hilfe der elektronischen Musik.

Die Welt, so war Tals Überzeugung, wird zusammengehalten durch das Band der Erzählung, durch den Faden, den wir spinnen. Und die Kunst, seine Kunst? Die hat er verstanden als Fortsetzung des jüdischen Erbes, des humanistischen Geistes mit anderen Mitteln. Zugleich aber – es war das Zentrum seines Ethos‘ als Komponisten: Kein Überliefern ohne Forschen. Den Faden spinnen können wir nur, so Tal, wenn wir uns nicht sträflich darauf verlassen, dass der Vorrat schon reicht. Wir müssen neuen Stoff kreieren. Wie? Durch Weiterforschen. Redender Titel seiner letzten Veröffentlichung: Musica nova im 3. Millenium.

Jetzt, im biblischen Alter von nahezu 98 Jahren, nachdem Josef Tal alle seine Feinde überlebt hat, wie er zu seiner Genugtuung zuweilen erzählte, ist auch für ihn der Faden gerissen. Am 25. August 2008 ist Josef Tal in Jerusalem gestorben.

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