Banner Full-Size

Von einer gefährlichen Faszination

Untertitel
Nationalsozialismus: Reaktionen von Anton Webern, Ludwig Zenk und Karl Amadeus Hartmann
Publikationsdatum
Body

Anton Weberns Einstellung zum Nationalsozialismus war zwiespältig. Einerseits warnte er im März 1933 in einem Vortrag vor der neuen Kunstpolitik in Deutschland, die das geistige Leben zerstöre, andererseits sah er wenig später in Adolf Hitler und dem „Neuen Reich“ die Verwirklichung eines von Stefan George schon lange gehegten Traumes. Es verwundert deshalb nicht, dass der bekennende Antifaschist Karl Amadeus Hartmann, der Ende 1942 einige Stunden bei Webern nahm, über dessen politische Haltung schockiert war. Während auch andere Mitglieder der Zweiten Wiener Schule damals den Kopf schüttelten über die merkwürdige Naivität des Komponisten, äußerte sich dessen Lieblingsschüler Ludwig Zenk (1900–1949) zustimmend.

Marie-Therese Hommes hat die konfliktträchtige Konstellation Webern–Zenk–Hartmann zum Gegenstand ihrer musikwissenschaftlichen Doktorarbeit gemacht. Ihr Ziel war es dabei, „die politischen Implikationen kompositorischen Handelns“ zu untersuchen. Wieweit schlug sich die unterschiedliche politische Haltung von Hartmann und Zenk in ihren Werken nieder? Eine Vergleichsebene gibt es dabei im Bereich der Bühnenmusik, wurde doch Zenk ab September 1938 Leiter der Schauspielmusik am gleichgeschalteten Theater an der Josefstadt. Hartmann, der sonst in der NS-Zeit öffentliche Aufführungen seiner Werke verweigerte, durchbrach 1942 mit seiner für das Münchner Staatsschauspiel geschaffenen Bühnenmusik zu „Macbeth“ überraschend die konsequente Haltung der inneren Emigration. Der ihm von Werner Egk vermittelte Auftrag rettete ihn damals vor der drohenden Einziehung zum Militärdienst. Erst 2004 wurde diese Bühnenmusik an unvermuteter Stelle entdeckt. Wie die Autorin nachweist, unterschied sich Hartmanns „Macbeth“-Deutung erheblich von der seiner Umgebung.

Er nutzte das Stück nicht zu anti-englischer Propaganda, sondern im Sinne der Shakespeare-Rezeption des bayrischen Revolutionärs Gustav Landauer. Der Komponist akzentuierte neben dem Dämonischen deshalb die Befreiungsthematik, was chiffrierte Botschaften wie Zitate aus seiner Kammeroper „Simplicius Simplicissimus“ belegen.

Während Karl Amadeus Hartmann demnach auch in der 1942 aufgeführten „Macbeth“-Musik seinen ästhetischen und politischen Idealen treu blieb, kann dies von Ludwig Zenk nicht behauptet werden. Dieser hochbegabte Webern-Schüler, mit dem der Lehrer 1934 einen „Bruderbund“ geschlossen hatte, kehrte 1938 von der strengen Zwölftönigkeit zu einer konventionellen Tonalität zurück. Wie Webern hatte Zenk zuvor eine Trennungslinie gezogen zwischen Politik und Musik. Die gemeinsame Bewunderung für Stefan George brachte die zuvor linkspolitisch engagierten Komponisten aber in die Nähe des Nationalsozialismus. Mit Beklemmung erfährt man, dass Zenk direkt neben Weberns SATOR-Palindrom das Hakenkreuz zeichnete, das er offenbar ebenfalls als Symbol geistiger Konzentration begriff. Schon im September 1937 trat er als illegales Mitglied der in Österreich damals noch verbotenen NSDAP bei. Tagebuch-Aufzeichnungen sowie Dokumente aus dem Paul-Sacher-Archiv Basel belegen Zenks Fremdenfeindschaft, seine Kriegs- und Hitlerbegeisterung, mit der er wohl auch Webern beeinflusste. Dies führte zu dem Wunsch, nicht mehr nur für die Schublade zu komponieren. Mit musikalischen Analysen und zahlreichen Notenbeispielen demonstriert der vorliegende Band Zenks Rückzug von der Avantgarde, der allerdings nicht zum völligen Verzicht auf künstlerischen Anspruch führte und die Freundschaft mit Webern nicht beeinträchtigte.

Ludwig Zenk, der sich auch nach Weberns Tod auf den Lehrer berief, verwandelte sich nach Kriegsende zum katholischen Messenkomponisten. Obwohl er auch in seinen neuen Werken, darunter eine (verschollene) Bühnenmusik zu Brechts „Gutem Mensch von Sezuan“, nicht mehr zur Zwölftontechnik zurückkehrte, distanzierte er sich zum Zweck der Entnazifizierung (im Buch stets als „Deregistrierung“ bezeichnet) von seiner Vergangenheit. Verblüffenderweise wurde er 1948 – kurz vor seinem frühen Tod – mit dem Argument entnazifiziert, er habe dem Kreis um Schönberg und Webern angehört, „womit eine Verbundenheit mit der NS-Idee in keiner Weise glaubhaft erscheinen konnte“.

Hartmann musste nach 1945 weder politisch noch ästhetisch eine solche Kehrtwendung vollziehen. An seinen Mentor Hermann Scherchen schrieb er damals, im konservativen München blühe immer noch der Nazigeist. Aus seiner „Macbeth“-Musik erstellte er nun eine Hörspielfassung. Allerdings lernte er, dass offene Kritik an den politischen Verhältnissen unerwünscht war. Die Musik des von allen Kontexten „gereinigten“ Webern avancierte damals zum neuen Ideal. Mit dem von ihm zuvor noch kritisierten Carl Orff schloss Hartmann 1948 eine kollegiale Allianz, die beiden Seiten nützte.

Eine gestelzte Sprache mit Ausdrücken wie „Verortung“, „Befundung“ oder „Oppositionierung“ erschwert leider oft die Lektüre dieses materialreichen und in den Brief- und Tagebuchzitaten sogar spannenden Buches, das auch schwierige Sachverhalte differenziert und kontextbezogen darstellt und erstmals ein umfassendes Bild des Komponisten Ludwig Zenk vermittelt. Mehrere Druckfehler (so ein Minister namens Hermann Goebbels) stehen im Gegensatz zur bibliophilen Ausstattung des voluminösen Bandes.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!