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Weltkarte der Musik

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Aus dem Berliner Ethnologischen Museum
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Hätten wir eine Weltkarte der Musikkulturen, wären die Proportionen erheblich zugunsten Europas und der USA verzerrt. Im Berliner Ethnologischen Museum werden seit über 100 Jahren Tondokumente gesammelt, die Auskunft über die riesige Vielfalt der Musikphänomene und deren Verteilung auf diesem Globus geben. Sie bilden ein unschätzbares Reservoir zur Korrektur unserer eurolastigen Perspektive. Ohne Scheu vor Selbstkritik sollten daran Interessierte sich jetzt eine Edition zulegen, auf der 100 Aufnahmen von 1897 bis 2000 eine repräsentative Auswahl des zum Ethnologischen Museum gehörenden Phonogramm-Archivs vorstellen.

Hätten wir eine Weltkarte der Musikkulturen, wären die Proportionen erheblich zugunsten Europas und der USA verzerrt. Im Berliner Ethnologischen Museum werden seit über 100 Jahren Tondokumente gesammelt, die Auskunft über die riesige Vielfalt der Musikphänomene und deren Verteilung auf diesem Globus geben. Sie bilden ein unschätzbares Reservoir zur Korrektur unserer eurolastigen Perspektive. Ohne Scheu vor Selbstkritik sollten daran Interessierte sich jetzt eine Edition zulegen, auf der 100 Aufnahmen von 1897 bis 2000 eine repräsentative Auswahl des zum Ethnologischen Museum gehörenden Phonogramm-Archivs vorstellen. Doch „es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein“, war sich der Philosoph Walter Benjamin sicher. In der Tat gibt es auf den vier CDs Aufnahmen von bereits ausgestorbenen Völkern wie den Feuerlandindianern oder vernichteten Traditionen wie den Monumbo-Tänzen im Norden Neu-Guineas, einer ehemaligen deutschen Kolonie. Insofern sind diese Aufnahmen auch traurige Zeugnisse europäischen Forschergeistes: Als Nachzügler trabten die Dokumentaristen, ausgerüstet mit Edison – Phonographen, den Eroberern hinterher, um, in gewisser Hinsicht zynisch, noch nicht zerstörte Reste der Kulturen zu bewahren.

Hätten diese Enthusiasten sich aber nicht auf den Weg gemacht, gäbe es heute keine Tonaufzeichnungen und auch kein Audio-Gedächtnis. Im fast 300 Seiten umfassenden Booklet (Text: englisch!) sind zu jeder Aufnahme entsprechende historische Fotos und Fakten parat – oft von den Forschern selbst erzählt, eine angenehme Begleitung zum allgemein hohen Informationswert der Texte. Sie berichten auch von Schwierigkeiten der Transkriptionen, die erst Vergleiche ermöglichten, und den technischen Entwicklungen ethnologischer Feldforschung. Wachswalzen waren in der ersten, der kolonialen Phase gebräuchlich, deren erhebliche Nebengeräusche beim Transfer auf CD nicht unterdrückt werden konnten (oder sollten).

Mono- und Stereotonbandgeräte kamen ab den 50er-Jahren zum Einsatz, und heute bestimmen DAT-Rekorder den technischen Standard. Konzertmitschnitte aus den letzten beiden Jahrzehnten sind an der einwandfreien Tonqualität erkennbar, so dass man einen historischen Längsschnitt der Tontechnik nachvollziehen kann. Andererseits berücksichtigt jede CD die fünf Kontinente, also ist vier Mal ein globaler Querschnitt da. Auch wenn die Darstellung der puren Fakten manche kritische Frage verdeckt, öffnet „Music! The Berlin Phonogramm-Archiv“ vorzüglich und in geeigneter Weise den Einstieg in die vergleichende Musikbetrachtung und die Ohren für die Welt der Musikkulturen.

Music! 100 Jahre Berliner Phonogramm-Archiv 1900–2000
Wergo SM 1701 2 / 1703 2 (4 CDs), Schott Music & Media

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