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Wenn Musik krank macht

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Unter dem Burn-out-Syndrom leiden immer mehr Musiker und Musikpädagogen
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In Hochleistungsberufen klagen immer mehr an „Ausgebrannt-sein“. „Burn-out“ ist symptomatisch für eine Gesellschaft und eine Zeit, in der die Leistungsspirale sich immer schneller und höher dreht. Auch die Musikberufe werden von dieser Entwicklung erfasst. Zwar gibt es keine wissenschaftlichen Statistiken, aber die Orts- und Regionalverbände des Deutschen Tonkünstlerverbandes werden immer häufiger auf dieses Problem hingewiesen. Die Zeitschrift „Musikschule intern“ widmete diesem Thema eine eigene Ausgabe. Der Vorsitzende des Münchner Tonkünstlerverbandes, Edmund Wächter, lud zur Mitgliederversammlung den Psychiater und Psychotherapeuten Dr. Jürgen Brunner ein, der in seinem Vortrag dieses Phänomen aus wissenschaftlicher Sicht erläuterte. Da Burn-out ein wichtiges Thema für Musiker ist, wird dieser Vortrag hier in der nmz einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

In Hochleistungsberufen klagen immer mehr an „Ausgebrannt-sein“. „Burn-out“ ist symptomatisch für eine Gesellschaft und eine Zeit, in der die Leistungsspirale sich immer schneller und höher dreht. Auch die Musikberufe werden von dieser Entwicklung erfasst. Zwar gibt es keine wissenschaftlichen Statistiken, aber die Orts- und Regionalverbände des Deutschen Tonkünstlerverbandes werden immer häufiger auf dieses Problem hingewiesen. Die Zeitschrift „Musikschule intern“ widmete diesem Thema eine eigene Ausgabe. Der Vorsitzende des Münchner Tonkünstlerverbandes, Edmund Wächter, lud zur Mitgliederversammlung den Psychiater und Psychotherapeuten Dr. Jürgen Brunner ein, der in seinem Vortrag dieses Phänomen aus wissenschaftlicher Sicht erläuterte. Da Burn-out ein wichtiges Thema für Musiker ist, wird dieser Vortrag hier in der nmz einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Burn-out aus medizinischer Sicht

Berichte über Burn-out nehmen in der Presse und im Fernsehen breiten Raum ein. Wegen Burn-out erfolgen nicht wenige Krankschreibungen. Burn-out hat nicht nur negative Auswirkungen auf die direkt Betroffenen, sondern auch auf das soziale Umfeld. Ausgebrannte Lehrer sind demotiviert und empfinden ein hohes Maß an Aversion gegenüber ihren Schülern. Ärzte mit Burn-out machen mehr Behandlungsfehler. Umgekehrt steigt das Burn-out-Risiko mit dem Auftreten eines Behandlungsfehlers an. Verlässliche Daten zu ausgebrannten Musikern oder Musikpädagogen liegen derzeit nicht vor.
Trotz der gesundheitsökonomischen Bedeutung des Phänomens existiert bis heute keine einheitliche Definition des Burn-out-Syndroms. Burn-out wurde auch in das 2013 aktualisierte psychiatrische Klassifikationssystem DSM-V der American Psychiatric Association nicht aufgenommen. In der international gültigen Klassifikation (ICD-10) ist Burn-out nur als Zusatzdiagnose unter der Rubrik Z73 (Probleme bei der Lebensbewältigung) aufgeführt. Unter Z73.0 findet man Burn-out, Ausgebranntsein oder Zustand der totalen Erschöpfung. Bei dem derzeitigen Forschungsstand sollte Burn-out nicht als Diagnose zur Begründung von Arbeitsunfähigkeit oder Berentung herangezogen werden. Die wissenschaftliche Psychiatrie hat sich mit Burn-out wenig beschäftigt. Dies liegt an der definitorischen Unschärfe und an der mangelhaften Validierung des Burn-out-Konzepts. Außerdem gibt es Überschneidungen mit etablierten und besser erforschten psychiatrischen Diagnosen wie Depressionen.
Burn-out gilt als Vorstufe oder als Risikofaktor für eine Depression. Einige Psychiater sehen in Burn-out eine unscharfe Modediagnose und ein unfertiges Konzept. Es besteht die Gefahr der Bagatellisierung, wenn Burn-out diagnostiziert wird, obwohl bereits eine Depression vorliegt. Burn-out ist weniger stigmatisierend als die Diagnose Depression. Burn-out wird als Erkrankung des Überengagements mit Idealismus und anfänglichem Enthusiasmus in Verbindung gebracht. Schließlich muss man für etwas gebrannt haben, um auszubrennen. Im Unterschied zu Burn-out liegen für Depressionen gut evaluierte und evidenzbasierte Behandlungskonzepte und eine Behandlungsleitlinie vor. Während leichte und mittelschwere Depressionen allein durch Psychotherapie (insbesondere durch Verhaltenstherapie) gut und nachhaltig behandelt werden können, wird bei einer schweren Depression eine Kombination von Psychotherapie mit Antidepressiva empfohlen. Wenn Depressionen übersehen und als Burn-out abgetan werden, kann dies zu falschen Therapieentscheidungen führen. Dadurch entsteht die Gefahr einer Chronifizierung, was die Prognose verschlechtert.

Symptome von Burn-out

Burn-out wird von Befürwortern des Konzepts als arbeitsbezogenes Syndrom verstanden, das durch drei Kernsymptome gekennzeichnet ist: (1) emotionale Erschöpfung, (2) eine gefühllose, gleichgültige oder zynische Einstellung gegenüber Klienten, Kunden oder Kollegen und (3) eine negative Einschätzung der persönlichen Leistungsfähigkeit. Außerdem treten Schlafstörungen und sogenannte psychosomatische Symptome auf wie diffuse Schmerzen ohne organischen Befund, funktionelle Herz-Kreislauf- und Magen-Darm-Beschwerden sowie ein verändertes Essverhalten. Am Ende kommt es zu Niedergeschlagenheit, Hilflosigkeit, Verzweiflung sowie zu Gefühlen von Sinn- und Ausweglosigkeit.
Die Entwicklung von Burn-out lässt sich als phasenhafter Prozess beschreiben: Anfangs ist ein übertriebener Ehrgeiz vorhanden. Betroffene zeigen vermehrtes Engagement für Ziele. Es besteht der Zwang, sich zu beweisen. Dies führt zu emotionaler und körperlicher Erschöpfung wegen der anhaltenden beruflichen Belastung. In der Folge werden eigene Bedürfnisse vernachlässigt. Die Betroffenen nehmen sich kaum noch Zeit für nicht-berufliche Bedürfnisse. Hobbies und soziale Aktivitäten werden vernachlässigt mit dem Ziel, die noch vorhandenen Ressourcen zu schonen für berufliche Belange. Das Gefühl für die eigene Person geht verloren (Depersonalisation). Es kommt zu einer Verflachung des emotionalen, sozialen und geistigen Lebens. Motivation, Kreativität und Leistungsfähigkeit nehmen ab. Folgen sind reduziertes Engagement für andere und für die Arbeit. Es entwickelt sich eine distanzierte Haltung gegenüber Mitmenschen. Die teilnahmslose Einstellung kann sich steigern zu einer entwertenden bis zynischen Haltung gegenüber Schülern, Studenten, Kunden, Mitarbeitern, Kollegen, Angehörigen und Freunden. Die Gefühle gegenüber Mitmenschen sind abgeflacht. In zwischenmenschlichen Kontakten geht die emotionale Beteiligung verloren. Freizeit und soziale Aktivitäten werden als sinn- und nutzlos eingeschätzt. Die Funktion des sozialen Rückzugs und der zynischen Haltung besteht darin, Distanz gegenüber anderen Menschen aufzubauen, um die emotionale Überforderung zu verringern.
Durch die berufliche Dauerbelas-tung und die damit einhergehende emotionale Erschöpfung geht das Vertrauen in die eigene berufliche Leistungsfähigkeit verloren. Die Betroffenen sind unzufrieden mit ihrer eigenen Leistungskompetenz. Da der Beruf der eigentliche Lebensinhalt und die zentrale Selbstwertquelle ist, wird versucht, die mangelnde Leistungsfähigkeit zu kompensieren durch exzessive Arbeit. Alkohol oder Medikamente können eingesetzt werden, um die eigene Leistungsfähigkeit zu steigern oder um sich abzulenken und zur Ruhe zu kommen. Dadurch besteht die Gefahr des Substanzmissbrauchs. Eine Suchtentwicklung ist möglich. Am Ende führen sozialer Rückzug, Vernachlässigung von eigenen Bedürfnissen und der Mangel an positiven Erfahrungen zu einem zunehmenden Verstärkerverlust. Es kommt zu ausgeprägten Gefühlen innerer Leere und Desinteresse. Das Leben wird zunehmend als sinnlos empfunden. Dies kann sich steigern zu sogenannten psychosomatischen Reaktionen und Verzweiflung.

Ursachen von Burn-out

Der Begriff Burn-out wurde erstmals 1974 von dem Psychoanalytiker Herbert J. Freudenberger verwendet. Er bezog sich auf das „Ausbrennen“ von Mitarbeitern in psychosozialen Berufen. In den letzten Jahrzehnten ist ein bemerkenswerter Gestaltwandel festzustellen: Die klassischen Ausbrenner der 1970er- und 1980er-Jahre waren Idealisten in psychosozialen Helferberufen (Psychologen, Ärzte, Krankenpflegekräfte, Sozialarbeiter), die an unrealistisch hohen altruistischen Zielsetzungen gescheitert sind. Das Burn-out von heute wird auf unmenschliche Arbeitsbedingungen und Belastungen in einer globalisierten kapitalistischen Gesellschaft zurückgeführt. Als Ursachen des heutigen Burn-outs werden meist starker Arbeitsdruck sowie starke Konkurrenz und mangelnde Erfolgserlebnisse angesehen. Heute sind nicht nur psychosoziale Helferberufe betroffen, sondern viele verschiedene Berufsgruppen und auch pflegende Familienangehörige.
Voraussetzung für die Entwicklung von Burn-out ist das Zusammenspiel von persönlichkeitsimmanenten und umweltbedingten Faktoren. Die Extreme eines Kontinuums repräsentieren aktives und passives Burn-out. Auf der einen Seite gibt es die „Selbstverbrenner“, die an ihren überhöhten idealistischen Erwartungen an sich selbst scheitern (aktives Burn-out). Das andere Extrem sind die „Opfer der Umstände“, die durch äußere Überforderung zermürbt werden (passives Burn-out).
Zu den prädisponierenden persönlichkeitsbedingten Faktoren zählen hohe idealistische Erwartungen an sich selbst, übertriebener Ehrgeiz, Perfektionismus und ein starkes Bedürfnis nach Anerkennung. Gefährdet sind Personen, die es anderen immer recht machen wollen und dabei eigene Bedürfnisse unterdrücken.
Anfällig für Burn-out sind Personen, die nicht delegieren können oder wollen, weil sie sich für unersetzbar halten. Solche Menschen neigen zu Einsatz und Engagement bis hin zur Selbstüberschätzung und Überforderung. Für sie ist die Arbeit die einzig sinngebende Beschäftigung und Ersatz für soziales Leben. Ein weiterer Risikofaktor ist ein geringes Selbstwertgefühl. Personen ohne starke soziale Bindungen weisen ein erhöhtes Risiko auf, an Burn-out zu erkranken.
Typische äußere Bedingungsfaktoren sind berufliche Situationen, die durch hohe Anforderungen und geringe Einflussmöglichkeiten gekennzeichnet sind. Auf der einen Seite spielen hohe Arbeitsanforderungen, Zeitdruck, wachsende Verantwortung und Arbeitsüberlastung eine Rolle. Gleichzeitig bestehen wenig Autonomie und geringe Partizipationsmöglichkeiten.
Durch mangelnde Erfolgserlebnisse, unzureichende Be- und Entlohnung und durch fehlende soziale Unterstützung kommt es zu einer Gratifikationskrise. Besonders toxisch ist ein schlechtes Arbeitsklima bis hin zu Mobbing.
Schlechte Kommunikation untereinander, schlechte Teamarbeit und Konflikte zwischen Einzelkämpfern, problematische institutionelle Vorgaben und Strukturen, administrative Zwänge und ein Mangel an Fairness sowie Wertekonflikte sind wichtige Entstehungsbedingungen.

Wichtige Differentialdiagnose: Depression

Burn-out gilt als Risikofaktor oder Vorstufe einer Depression. Es ist wichtig zu erkennen, ob bereits eine Depression vorliegt. Keinesfalls sollte eine Depression als Burn-out bagatellisiert werden, da dies zu falschen Therapieentscheidungen führen kann, was die Prognose einschränkt. Depressionen können chronifizieren. Hauptsymptome einer Depression sind depressive Stimmung, Interessen- oder Freudverlust sowie verminderter Antrieb oder gesteigerte Ermüdbarkeit. Mindestens zwei dieser Hauptsymptome müssen erfüllt sein.
Die Diagnosekriterien für eine depressive Episode sind erfüllt, wenn zusätzlich mindestens zwei weitere der folgenden Zusatzsymptome vorliegen: Verlust des Selbstvertrauens oder des Selbstwertgefühls, unbegründete Selbstvorwürfe oder ausgeprägte, unangemessene Schuldgefühle, wiederkehrende Gedanken an den Tod oder an Suizid beziehungsweise suizidales Verhalten, Klagen über oder Nachweis eines verminderten Denk- oder Konzentrationsvermögens, Unschlüssigkeit oder Unentschlossenheit, psychomotorische Agitiertheit oder Hemmung, Schlafstörungen, Appetitverlust oder gesteigerter Appetit mit entsprechender Gewichtsveränderung.
Die Dauer der Symptome muss mindestens 14 Tage betragen. Je nach Anzahl der Symptome unterscheidet man einen leichten, mittelschweren oder schweren Ausprägungsgrad.

Behandlung und Prävention

Die Therapie zielt auf Veränderungen der kognitiv-emotionalen Schemata der Person und auf die Schaffung günstigerer Arbeitsbedingungen. Die Behandlung orientiert sich am Schweregrad. Bei leichterer Ausprägung werden Maßnahmen zur Veränderung von Lebensgewohnheiten und zur Optimierung der Work-Life-Balance empfohlen. Wichtig sind hierzu drei Faktoren: Entlastung von Stressoren, Erholung durch Entspannung und Sport und Ernüchterung im Sinne einer Verabschiedung von perfektionistischen Vorstellungen. Ist das Burn-out-Syndrom stärker ausgeprägt oder liegt bereits eine Depression vor, kommen psychotherapeutische Interventionen und auch Antidepressiva (optimalerweise kombiniert mit Psychotherapie) in Betracht.
Bei stärkerer Ausprägung ist die Konsultation eines approbierten psychologischen oder eines ärztlichen Psychotherapeuten (vorzugsweise eines integrativ arbeitenden Verhaltenstherapeuten) oder eines Psychiaters dringend anzuraten.
Die Behandlungskosten werden bei entsprechender Indikation von gesetzlichen und privaten Krankenkassen und der Beihilfe in der Regel vollständig übernommen. Bei einem Psychotherapeuten sind unverbindliche probatorische Sitzungen möglich, die von der Kasse bezahlt werden. Hierfür bedarf es keiner ärztlichen Überweisung.
Bei den psychotherapeutischen Interventionen wird meist ein schulenübergreifender Ansatz angeraten, wobei der Schwerpunkt auf kognitiv-verhaltenstherapeutischen Verfahren liegen sollte. Ziel der Psychotherapie ist die Umstrukturierung dysfunktionaler Schemata wie Perfektionismus oder einer verzerrten Bedeutsamkeit der Arbeit. Wichtig sind der Aufbau eines von der Arbeit unabhängigen Selbstwertgefühls und die Förderung positiver Erfahrungen.
Entspannungsverfahren dienen dem Abbau innerer Anspannung. Regelmäßige körperliche Aktivitäten dienen der Stressreduktion und der Verbesserung des Schlafes. Wichtig ist der Aufbau tragfähiger und befriedigender Sozialkontakte.
Von Bedeutung ist auch die Verbesserung ungünstiger Bewältigungsstrategien, zu denen Substanzmissbrauch, sozialer Rückzug, Vermeidung, Flucht, Selbstmitleid, Resignation und Gedankenkreisen gehören.
Als erste Wahl zur Prävention des Burn-out-Syndroms werden Supervisionsgruppen angesehen, die von einem externen Psychotherapeuten moderiert sein sollten. Reine Kollegengruppen ohne externe Supervision haben hingegen keinen präventiven und prophylaktischen Effekt.
 

Dr. med. Jürgen Brunner ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Supervisor und Lehrtherapeut (Bayerische Landesärztekammer).
Mehr unter www.brunner-psychotherapie.de

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