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Widersprüchliche Botschaft

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Erfurts Theaterneubau eröffnet mit Peter Aderholds Oper „Luther“
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Lucas Cranach feiert anspielungsreich eine Immendorf-Orgie. Zwischen zwei römischen Säulen wird Laientheater gespielt. Zum Wagner-Zitat ruft der ratlose Künstler nach Gott. Im Atelier fließt reichlich Bier, verwandeln sich entflohene Nonnen in Huren, wird aus Porträtmalerei Schmiererei. In Peter Aderholds Oper „Luther“ herrscht im dritten Bild Untergangsstimmung. Während die Titelfigur die Heilige Schrift übersetzt und die bewaffneten Bauern ein lebbares Dasein einfordern, degeneriert Schauspiel zur erotischen Show, zieht die Kunst sich auf private Exzesse zurück.

Die Simultanszene ist präzise gebaut und steht zum Anlass ihrer Entstehung denkbar konträr. „Luther“ resultiert immerhin aus einem Kompositionsauftrag, den Erfurts Generalintendant Guy Montavon vergab, um im verschuldeten Freistaat Thüringen medienwirksam ein neues Theaterhaus zu eröffnen. Selbiges, ein eleganter Klotz aus Glas und Stahl, steht gegenüber dem Dom, birgt zwei geschmackvolle Säle, ist mit moderner Technik bestückt und könnte eine Bühne für alles Mögliche sein. Zunächst ersetzt das 60 Millionen Euro teure Objekt das vor Jahren baupolizeilich gesperrte Erfurter Opernhaus aus wilhelminischer Zeit. Zudem will es von Thüringens Wirtschaftskraft künden und vom Engagement der Landespolitik für die Theaterkultur. Drei Viertel der Kosten übernahmen Kultus- und Wirtschaftsministerien, den Rest gab die Kommune. Letztere, so Oberbürgermeister Manfred O. Ruge bei der Eröffnung Mitte September, verspricht sich von der Investition weitaus mehr als eine Nabelschau elitären Theaters, das seine Besucher vergisst. Möglichst rasch in die „Oberliga des Musiktheaters“ zu wechseln, das liegt ganz im Sinne des ehemaligen Gießener Intendanten Guy Montavon. Er führt in Erfurt ein Einspartentheater.

Als Gegenleistung für das spektakuläre Gebäude musste die Landeshauptstadt Ballett und Schauspiel auflösen und das B-Orchester auf 59 Stellen verkleinern. Wagners „Ring“ ist somit blanke Fiktion. Offiziell wird der Einschnitt in das Ensemble positiv interpretiert. Das Rumpforchester und die Konzentration allein auf die Oper wären eine Bestandsgarantie und sorgten für finanzielle Flexibilität.

In der fusions- und spargeprüften, aber immer noch dichten Theaterlandschaft des Freistaats hat dieses Rezept Alarm ausgelöst. Die Rolle, die Erfurts neues Haus hier künftig spielen soll, ist leicht erahnbar, aber noch nicht gänzlich erklärt. Die Konkurrenz der alten Ensembletheater ist zudem noch sehr stark. Im beneideten Weimar ließ sich die drohende Schließung des Opernbetriebs und somit die politisch gewünschte Fusion mit Erfurt einstweilen verhindern.

Meiningen, das einzige Staatstheater im Land, hat sich zum Saisonstart mit einer jungen, ambitionierten Führungsmannschaft unangreifbar gemacht. Doch in Eisenach, Saalfeld, Rudolstadt und Nordhausen wird schon im nächsten Jahr erneut kräftig umsortiert. Ob Erfurt in diesem Prozess zur kulturpolitischen Speerspitze wird, wird sich noch zeigen. Im dortigen Opernbetrieb muss zunächst auf-gebaut werden, worüber alle anderen Häuser im Lande verfügen: Publikumsresonanz, ein motiviertes Ensemble, solides Repertoire. Guy Montavon favorisiert in seiner ersten Saison Operette, heitere Oper, Belcanto in Koproduktion mit Monte-Carlo und Prag.

Neu im Programm sind neue Werke. Das erste wurde soeben uraufgeführt und hinterlässt wie der „Ersatzneubau“ des Theaters Eindrücke voller Ambivalenz. Peter Aderhold, Jahrgang 1966, hat für seine Auftragsgeber geschrieben. Musikgeschichte von Wagner bis Berg hat dabei reichlich Pate gestanden, das Opus klingt reichlich tonal, die eigene ästhetische Handschrift fehlt. In Caroline Grubers karger Regie betreten Zweifler die Bühne, deren Tun ungeahnte Wirkung erlangt: Cranachs Kunst pervertiert, Luthers Bibel für alle mündet in Zerstörung und Krieg. Hermann Feuchters Bühnenbild ist als Metapher gewiss über-trieben, zeigt aber Wirkung: Ein altgedientes Glaubensgebäude ist darauf nurmehr Ruine, der Klangkörper Orgel ist in Trümmer gelegt. Orgelpfeifen gleichen Geschossprojektilen und zielen auf Darsteller, Kunst, ganz zuletzt in den Zuschauerraum.

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