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Karlsruhe unter dem Dirigat Wolfgang Rihms. Foto: ONUK Fotografie Bernhard Schmitt
Karlsruhe unter dem Dirigat Wolfgang Rihms. Foto: ONUK Fotografie Bernhard Schmitt
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Wie die Fächerstadt mit Rihm-Musik Europa baut

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Zu seinem 60. Geburtstag widmete Karlsruhe seine Europäischen Kulturtagen ganz dem Komponisten
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Wolfgang Rihm wird von Journalisten zurzeit gerne gefragt, warum er in Karlsruhe lebe. Weil er dort geboren und aufgewachsen sei, erwidert er dann prompt. Karlsruhe sei eine gelassen nüchterne Stadt, den Künsten zwar zugeneigt, ihnen aber nicht verfallen. Das schätze Rihm an seiner Heimatstadt, der er bis heute die Treue hält. Die attraktive Geliebte Berlin – seit 20 Jahren unterhält er dort eine Zweitwohnung – hat ihn daher nie zu einem Standortwechsel verführen können. Grund genug, dass ihm die Stadt und das Badische Staatstheater gemeinsam mit zahlreichen lokalen Einrichtungen zum 60. Geburtstag ein eigenes Festival vor die Haustüre stellten. „Musik baut Europa – Wolfgang Rihm“ lautete der Titel der diesjährigen 21. Europäischen Kulturtage, die in den drei Wochen ein hochkarätiges Fest für Rihm und die Neue Musik enthüllten.

Die Beziehung Rihms zur Fächerstadt ist seit jeher innig. In den Sonntagskonzerten der Badischen Staatskapelle traf er als Junge auf Musik, die ihn inspirierte. In den Räumen der Badischen Landesbibliothek saß er oft und komponierte – sein Stuhl am hiesigen Bismarck-Gymnasium blieb dann leer. An der Hochschule für Musik studierte er bei Eugen Werner Velte bereits mit 16 Musiktheorie und Komposition, heute ist er dort selbst Kompositionsprofessor. Schier endlos scheinen die innerstädtischen Vernetzungen Rihms. Entsprechend lang war daher auch die Liste der Beteiligten, die sich mit Programmbeiträgen den Europäischen Kulturtagen anschlossen. Das spartenübergreifende Festival war dementsprechend ein außerordentlich vielfältiges Spektakel: Um die 50 Werke Rihms und weitere vor allem zeitgenössische Kompositionen wurden aufgeführt, manche erlebten in Karlsruhe ihre Uraufführung. 

Darauf mussten die Ohren der Region vorbereitet werden: Das breit angelegte Vermittlungsprogramm „Baustelle Musik“ richtete sich im Voraus vor allem an Kinder und Jugendliche. Des Weiteren waren es Ausstellungen, die sich mit anregenden Konzepten dem Rihm’schen Kosmos näherten. Über die Konzerte hinaus wurde man so förmlich hineingesogen in das umfassende (Musik-)Denken des Komponisten. Die Schauen widmeten sich dem Liedschaffen Rihms (Museum für Literatur am Oberrhein) oder stellten seine Manuskripte alten Notenschriften gegenüber (Badische Landesbibliothek). Andernorts wurden Werke von Bildenden Künstlern gezeigt, die für Rihm eine herausragende Rolle spielen (Städtische Galerie) – wie Markus Lüpertz, Georg Baselitz oder Per Kirkeby. 

Etwas verstörend blieb man allein nach einem Besuch der Ausstellung „Erzerzerzmusik de Large“ zurück, eine Hommage der kindlich-aggressiven Farbschleuder Jonathan Meese (Galerie Karlheinz Meyer), die 2010 das Bühnenbild zur „Dionysos“-Oper in Salzburg entwarf. „Wolf Rihmmm“ steht mit großen Lettern auf einer der dicht gehängten Leinwände in der Ausstellung. Darunter: ein düster anmutendes, insektenhaftes Wesen, dem die Worte „Basta Meese“ auf die Stirn geschmiert sind. Da half auch nicht, dass der international gefragte Künstler höchstpersönlich bei der Eröffnung im kleinen Karlsruher Vorort Rintheim vorbeischaute. Meeses Hommage galt wohl eher sich selbst und entpuppte sich daher als leere Worthülse.

Rückblickend stach aus dem dichten Programmdschungel vor allem das von Achim Heidenreich kuratierte Eröffnungswochenende an der Hochschule für Gestaltung hervor. Rebecca Saunders, Olga Neuwirth, Markus Hechtle, Pascal Dusapin und Peter Ruzicka würdigten Rihm mit je einer Komposition, die speziell in die Lichthöfe der ehemaligen Munitionsfabrik hineinkomponiert war. Ein persönlicheres Geschenk hätten sie ihrem Mentor, Weggefährten und Freund kaum machen können. 

Rihms Klangplastik „Tutuguri VI (Kreuze)“, am Eröffnugnsabend grandios aufgeführt vom Isao Nakamura Percussion Ensemble, war mit ihrer ebenso naturgewaltig wie gebrochen anmutenden Monumentalität das Referenzwerk für das kommende Festival. 

Auf andere Weise setzte die SWR2 Kulturnacht am nächsten Tag Akzente. Podiumsgespräche, unter anderem mit dem Jubilar selbst, rahmten das vom SWR Sinfonieorchester Baden-Baden/Freiburg unter der Leitung von Lothar Zagrosek großartig dargebotene Konzert, unter anderem mit Rihms expressivem Frühwerk „Magma“ oder dem „Doppelgesang“ für Viola und Klarinette. Daneben waren es aber nicht unbedingt nur die großen Namen, die nachhaltigen Eindruck hinterließen. Carsten Wiebusch, Kantor der Evangelischen Christuskirche, brachte an der Klais-Orgel eine Examens-Fuge von Rihm zur Uraufführung, die dieser 40 Jahre lang in der Schublade lagerte. Für den Anlass hatte Rihm sie herausgeholt und zum Kern seines Werkes „Toccata, Fuge und Postludium“ gemacht. Wiebuschs ungemein farbreiche Orgelfassung der Fuge hörte auch der Komponist an diesem Tag zum ersten Mal. Ebenso faszinierte gleichenorts das bizarr anmutende Orgelstück seines Schülers Nico Sauer „the snow of italy“ nach einem Gedicht von Charles Bukowski. Klänge eines Wahnsinnigen, plötzlich dringt das diabolische Lachen des Organisten vom Spieltisch herab, „it is a child’s laugh, an idiot’s laugh, laughing at nothing“, heißt es dazu in den Zeilen Bukowskis – inspirierend frisch wirkte Sauers Umgang mit der Königin der Instrumente.

Als eher schwach entpuppte sich dagegen ausgerechnet der Hauptbeitrag des Badischen Staatstheaters: das spartenübergreifende Wolfgang-Rihm-Projekt „Auf Kolonos“ des französischen Regisseurs und Choreografen Laurent Chétouane, der einzelne Werke Rihms in Texte des Schauspiels „Ödipus auf Kolonos“ von Sophokles einbettete. Die Übersetzungen des Schriftstellers Peter Handke waren in der vorgetragenen Form allerdings kaum verständlicher als das altgriechische Original: dreieinhalb Stunden schwer nachzuverfolgende Rezitationen („Ungeboren bleiben sticht jeden/sonstigen Sinn!“), spannungslos wiedergegeben von marionettenhaft agierenden Darstellern. Nach der Pause wollte rund die Hälfte des Publikums offensichtlich nicht mehr. Ihre Stühle blieben leer. Wer komplett ausharrte, den entlohnten die im Verhältnis kurzen Rihm’schen Klanginseln, wie „Kolonos“, die „Hölderlin-Fragmente“, „Umsungen“ oder „Stilles Stück“, bewegend dargeboten von Hubertus Wild (Countertenor), Gabriel Urrutia Benet (Bariton) sowie Mitgliedern der Badischen Staatskapelle unter der Leitung von Wolfgang Wichert.

Rihm war während der drei Wochen stets mitten im Geschehen. Nicht nur, dass er – von einer krankheitsbedingten Pause abgesehen – ständig präsent war, er ließ sich auch gern zu spontanen Aktionen hinreißen. Besonders kurios war, dass er als Zuhörer am dreitägigen musikwissenschaftlichen Symposium „Klangbeschreibungen“ (Hochschule für Musik) teilnahm, das ihn und seine Musik zum Gegenstand hatte. Unter anderem Hermann Danuser, Siegfried Mauser, Hans-Peter Jahn und Dörthe Schmidt waren eingeladen, um mit ihren Beiträgen das Symposium zu füllen – allerdings nicht, ohne dass der Komponist stets per Wortmeldung Stellung bezog. Rihm war vielleicht der aktivste Teilnehmer eines Symposiums über ihn selbst. Wenngleich manche Situationen skurril anmuteten, seine erhellenden Gedanken zur eigenen Musik waren ohne Frage ein besonderes Privileg dieser Veranstaltung. 

Wie ehrt man einen lebenden Komponisten? Schwierig zu beantworten, vor allem, wenn dieser einer der international gefragtesten ist. Den Machern der Europäischen Kulturtage ist es mit ihrem schillernden Veranstaltungsangebot jedenfalls gelungen, den Kosmos Rihm in seiner unüberschaubaren Weite vielerorts hell zu erleuchten. Eine derart große Anzahl an Werken des Komponisten in kurzer Zeit an einem Ort leibhaftig erleben zu können, war ein besonderer Gewinn des Festivals. Es war, als würde Rihm von seiner Heimatstadt endlich entdeckt. Zum 50. herrschte in dieser Hinsicht noch Windstille. Intendantin und Leiterin des Kulturamts Susanne Asche verriet resümierend, dass es mit rund 25.000 Besuchern so viel Publikumszulauf wie noch nie bei den bereits 30 Jahre bestehenden Europäischen Kulturtagen gegeben hat. Bleibt inständig zu hoffen, dass dem Versprechen des Kulturamts, den momentanen Aufwind der Neuen Musik in Karlsruhe zu nutzen, auch schnell Taten folgen werden. 

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