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Zwischen ernster Musik und Clubbereich

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Die Aktivitäten der berliner gesellschaft für neue musik e.V.
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Nach der Gründungsversammlung der „berliner gesellschaft für neue musik“ (bgnm) im November 1990 wandte sich der erste Vorsitzende, Matthias Osterwold, in einem Rundbrief an die Mitglieder. Er forderte dazu auf, jetzt die Inhalte und Ziele der bgnm konkreter zu formulieren, wobei diese Diskussionen „vor dem Hintergrund eines grundlegenden kulturpolitischen Wandels in Berlin und einer zumindest für dieses Jahr noch ungeklärten und offensichtlich sehr schwierigen finanzpolitischen Situation der öffentlichen Hand“ zu führen seien.

Schon damals also war es nicht einfach, im Bereich der zeitgenössischen Musik neue Initiativen zu ergreifen und durchzusetzen, zumal bei der (nach wie vor) engen Bemessung der Berliner Förderung der freien Szene. Doch lag die Gründung einer Berliner Gesellschaft für neue Musik nach dem Wegfall der Mauer nahe. Hier sollte ein Rahmen geschaffen werden, um Kontakte zwischen Musikschaffenden aus Ost und West zu ermöglichen und zugleich gemeinsam in die Zukunft zu planen.

Die Gesellschaft verstand sich laut Satzung von Anfang an als eine von ihren Mitgliedern aktiv gestaltete Organisation, die sich in Form von Arbeits- und Projektgruppen und Publikationen unter anderem um die Förderung junger Komponisten und Interpreten, um Konzeption und Durchführung thematisch profilierter Veranstaltungen sowie um die Präsentation aktueller musikalischer Strömungen in Berlin bemüht. Seit April 1991 traf man sich regelmäßig, zumeist an wechselnden Orten, um zeitgenössische Komponisten zu präsentieren und ihre Arbeit zur Diskussion zu stellen. Daneben wurden gemeinsam mit anderen Veranstaltern oder Ensembles Gesprächskonzerte und Festivals organisiert.

Gleich als Auftakt gab es 1991 das Musikfestival „Musik zur Zeit – in Berlin“, das in der Akademie der Künste, im Centre Culturel Francais und im Haus der Ungarischen Kultur stattfand. 1992 organisiert die Arbeitsgruppe „Sprache und Musik“ das Festival „SprachTonArt“ im Podewil in Kooperation mit dem Literarischen Colloquium Berlin. 1994 gab es „Irrton“, ein „Festival virtueller Irritationen“ zum Thema Wahrnehmung und Täuschungen in Musik, Kunst und Wissenschaft. Beim Festival „Musik und Licht“ 1996 wurden Installationen im Podewil, in der Parochialkirche sowie eine Schaufensterinstallation im Kunst- und Auktionshaus Sanssouci präsentiert. Das Festival „minimalisms“ 1998 bot ebenfalls Konzerte und Installationen, darüber hinaus ein Symposium sowie eine eigene Filmreihe. Beim Sommerfest im Juli dieses Jahres wurden in Kooperation mit der Medienhochschule Köln neue Konzepte der Klangvisualisierung präsentiert.

Kommunikationsplattform

Auch mit Vortragszyklen wie „Musik im Dialog“ in der Akademie der Künste (1997-99), mit Veranstaltungen zu aktuellen Tendenzen in der Kompositionstheorie, zur Klangkunst, zum Musiktheater, zum Gesamtkunstwerk im medialen Zeitalter (2000/2001) bis hin zur vierteiligen Reihe „musik/politik“ in der staatsbank berlin im vergangenen Jahr stieß die bgnm auf breite Resonanz und bildete damit einen intellektuellen Fokus im Berliner Musikleben.

Die bgnm hat sich so zur wichtigsten öffentlichen Kommunikationsplattform für Produzenten und Interessenten neuer Musik in Berlin entwickelt. Institutionell unabhängig bietet die Gesellschaft ein Präsentations- und Gesprächsforum für aktuelle Strömungen und kontroverse Positionen der zeitgenössischen Musik. Dabei werden kunst- und medientheoretische Aspekte ebenso integriert wie neue Fragestellungen der Musik- und Kommunikationswissenschaft.

Inzwischen sieht sich die Gesellschaft zunehmend als Schnittstelle zwischen den Generationen und Genres. Die geladenen Gäste kommen aus dem Berliner wie auch aus dem internationalen Musik-, Kunst- und Medienbereich. So wird nicht nur ein spartenübergreifender Austausch ermöglicht, sondern auch ein junges Publikum erreicht, das sich zwischen den vielfältigen Musikszenen von ernster Musik bis hin zum Club- und Elektronikbereich bewegt.

Das derzeitige Engagement der bgnm umfasst zudem das Angebot eines monatlichen Jour Fixe, bei dem Künstler ihre aktuellen Projekte, Kuratoren und Veranstalter ihre Konzepte und Wissenschaftler neue theoretische Ansätze präsentieren. Seit 2002 findet dieses regelmäßige Treffen in einer Ladengalerie mit dem sprechenden Namen „file sharing“ am Prenzlauer Berg statt, die von einer Gruppe freier Kommunikationsdesigner geführt wird. Der Jour Fixe erweist sich in seiner ungezwungenen Form als ausgezeichneter Kontaktpunkt und Anlaufstelle, insbesondere für Künstler, die sich als Gäste in Berlin aufhalten, und für neu hinzugezogene Komponisten und Musiker, Musikologen und Interessenten.

„Musik im Dialog“

Darüber hinaus veranstaltet die bgnm jährlich ein bis zwei kulturpolitische Diskussionsrunden, wie 2001 zur internen Lage der Berliner Neuen-Musik-Szene und 2002 zur (desolaten) Situation des Berliner Kulturhaushalts mit Kultursenator Thomas Flierl und der Initiative Neue Musik Berlin.

Seit fünf Jahren gibt die bgnm ein Jahrbuch „Musik im Dialog“ heraus, das im Pfau-Verlag (Saarbrücken) erscheint. Darin werden sowohl die thematischen Diskussionsreihen als auch kulturpolitische Veranstaltungen zusammengefasst und dokumentiert und für eine über Berlin hinausgehende Diskussion zugänglich gemacht. Im ersten Band sind Positionen zeitgenössischer Theoretiker aus Philosophie, Kunst und Musik (unter anderen Albrecht Wellmer, Heinz-Klaus Metzger, Diedrich Diederichsen) zusammengefasst. Der zweite Band ist den Themen Notation, Experiment, Melodie und Geräusche im Kontext neuer Musik gewidmet. Im dritten Band geht es um aktuelle Positionen in Klangkunst und Musiktheater. Der vierte mit dem Titel „institutionell & andernorts“ umfasst die Jahre 2000/2001 und dokumentiert Gespräche zum Thema „Neue Musik – Randerscheinung des Kulturbetriebs?“ sowie die Veranstaltungsreihe „Übergänge. Entgrenzter Hörsinn – Perspektiven neuer Musik“ (zu den Themen Konzertsaal und Location, Gesamtkunstwerk, Netzmusik und Remix).

„musik/politik“

Der fünfte Band wird demnächst erscheinen und fasst die Diskussionsreihe musik/politik im Jahre 2002 zusammen. Ein nach wie vor – oder wieder – virulentes Thema, wie sich gezeigt hat, da die politische Dimension von Musik heute kaum mehr nach ihrer politischen Wirksamkeit beurteilt werden kann. Denn nach der agitatorischen Phase der 68er bringt auch die sinnlich-reflexive Qualität der Kunst als subtile Gesellschaftskritik inzwischen oft nur noch ein müde-lächelndes Einverständnis hervor. Wo steht die Musik also heute, wenn sie sich deswegen nicht ästhetizistisch zurückziehen, sondern ernsthaft eingreifen will, ob provokant, ironisch oder gewaltsam? Welche Formen künstlerischer Produktion in der neuen Musik zeigen politisches Bewusstsein jenseits der alten Modelle und Dogmen?

Die Fragen wurden in vier Themenfeldern behandelt: „Jenseits von Agitation und kritischer Reflexion? Was ist politische Musik heute?“, „Klangkunst und Öffentlichkeit – Ästhetisierung als Politisierung?“, „Musiktheater als Metapher der Wirklichkeit – Politisch-inhaltliche Referenzen im neuen Musiktheater“ und „Politisierung im Club – Über neue, politische Tendenzen im Club, DJ-, VJ-Bereich“.

Die aktuelle, insgesamt fünfteilige Diskussionsreihe unter dem Motto „reflexzonen“ ist dem Verhältnis von kompositorischen und musikalischen Praktiken und ihrer Reflexion in Wort und Schrift gewidmet. Gefragt wird beispielsweise nach der Beziehung zwischen Sinnlichkeit und Reflexion oder nach dem Stellenwert von Körperlichkeit in der aktuellen Musik. „Politisches“ oder „Ideologisches“ spielt auch hier eine Rolle, etwa im Bereich journalistischer Urteilsbildung oder im Blick auf verschiedene Rezeptionshaltungen.

Wird der Prozess des Ein- und Auftauchens in Musik als Regression verstanden und weshalb? Wie beurteilt man heute Möglichkeiten und Grenzen der Partizipation des Zuhörers, zum Beispiel in interaktiven Konstellationen? Welche neuen Möglichkeiten der Musikvermittlung sind daher zu überdenken?

Weitere Informationen: www.bgnm.de
E-Mail: info [at] bgnm.de (info[at]bgnm[dot]de)
Zu den bgnm-Jahrbüchern: www.pfau-verlag.de

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