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Athinai, Stockholm, München, Brüssel. London, Hilversum, Hörby: das Radio als Global Player. Foto: Martin Hufner
Athinai, Stockholm, München, Brüssel. London, Hilversum, Hörby: das Radio als Global Player. Foto: Martin Hufner
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Zwischen Rundfunkfreiheit und Quote

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Zu Vergangenheit und Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
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Erstmals wird in diesem Jahr die sommerliche „Festspielzeit“ im deutschsprachigen Radio zeitgleich und zentralisiert ohne regionale Eigen- wie Besonderheiten ausgestrahlt. Sind solche Neuerungen bereits der Abgesang des föderal organisierten Rundfunk in Deutschland? Wolf Loeckle, ehemaliger Musik- redakteur bei Bayern2Radio, geht in seinem Essay dieser und anderen aktuellen Fragen nach, die das Medium Radio betreffen.

Wer ARD sagt muss auch BRD sagen“, kalauerten die „Graffitis“, lange bevor es die Achtzigmillionenbundesrepublikdeutschland gab. Und sie ahnten dabei kaum, wie Recht sie hatten. Denn anders als beim Zwang zum „Made in Germany“, das die Briten den Teutonen aufgezwungen hatten, um sie auf dem Weltmarkt zu schädigen, erwies sich das von den Alliierten verordnete öffentlich-rechtliche System in Westdeutschland als Segen für Bildung/Information/Unterhaltung – wie es in den Landesrundfunkgesetzen festgeschrieben wurde.

Neben wenigen privatwirtschaftlich organisierten Printorganen war es vor allem dieses Radio- (und das später ums Fernsehen erweiterte) System, das Fragen stellte, das den Blick zurück voller Zorn riskierte, das Aufklärung wagte, das föderale Kulturstrukturen hegte und pflegte, Innovationen wie Orchestergründungen, Förderung von Volksmusik der authentischen Ausprägung (im Bayerischen Rundfunk zumal) anschob. Das wurde zu einem kreativen System, das die „musica viva“ in München etwa als Speerspitze von musikalischer Aufklärung etablierte oder intellektuelle „Nachtprogramme“ in den Äther schickte. Oder Bildung durch alle Kategorien deklinierte. Aufklärung jedenfalls im weitesten Sinn voranbrachte. So entwickelte sich eine Institution der Zukunftsperspektive mit Mutmachermotorik inklusive Klardenkposition und ohne Gefühlsduselei.

Das prägte auch die Eigendynamik dessen, was als „Neue Musik“ (und in dieser Schreibweise) sowohl in ideologischen Grabenkämpfen samt ästhetischen Kriegsspielen als auch in des Geistes höherer Klarheit der Fortschrittsgläubigkeit jener Stunden Ton und Provokation gab. Das gelang in Segmenten, das entwickelte sich in Serien. Der sozialen Komponente von Marktwirtschaft kam freilich mehr und mehr die quotenrelevante Konstante des freien Marktgeschehens in die Quere. Auch die Politik erkannte die ihrer Selbstdarstellung günstigen „Bühnenbilder“. Als „Schwarzfunk“ titulierten (damals noch echte) Linke den Bayerischen Rundfunk. Aus dem wilden Süden tönte es zurück in Richtung WDR: „Rotfunk“. Das konnte nicht ohne Folgen bleiben für die Inhalte. Doch regte sich auch Widerstand – auch und gerade in Bayern, wo die Mehrheitspartei putschartig gleichsam den Bayerischen Rundfunk  zum eigenhändig manipulierbaren Eintrichterungsinstrument umdefinieren wollte, auf dem Weg einer sogenannten Novellierung des Rundfunkgesetzes.

Das ging gründlich daneben. Denn via „Volksbegehren Rundfunkfreiheit“ zeigten die Bayern, dass sie damals zwar mehrheitlich CSU wählten, von den Christsozialen sich aber noch lange nicht alles gefallen ließen. Auf dem Papier gab’s als Quittung das progressivste Rundfunkgesetz der Republik. Und dessen Paragraphen ermöglichen auch heute noch gehobenen Inhalten mehrmedial den Weg zum Konsumenten. Als solcher wird der Zwangsgebührenzahler behandelt. In Telefonumfragen, die penetrant das heraushören wollen, was sie später als Erkenntnis verkaufen müssen, werden die Leute gequält, im Quotendruck auch bei den so genannten Minderheitenprogrammen, beim heiteren Monitoring des WDR, inmitten des fortefortissimo der republikweiten Streichkonzerte.

Da macht sich nicht nur zuweilen Skepsis breit, wie es mit Qualitätsjournalismus, zumal in Zeiten globaler Krisenszenarien, weitergehen kann und soll. Udo Reiter, Intendant des MDR, rechtfertigt Finanztransaktionen seines Senders im Angesicht von wahrhaft glanzvollen Insignien der (MDR-)Baukunst und des darin technisch Möglichen für die Abwicklung von Sendebetrieb im digitalen Zeitalter.

Ernst Elitz, bis Ende März Deutschlandradio-Intendant, meint, dass gerade in Krisenzeiten die Verlässlichkeit und Lebenshilfe von gehobener journalistischer Qualität Konjunktur hat. Wer sonst stellt Zusammenhänge dar, listet Lösungen für Probleme auf, überprüft nachhaltig die Versprechen von Politik samt ihrer Einlösung? Das tun (neben wenigen privatwirtschaftlich organisierten Medienbetrieben) schon noch die öffentlich-rechtlichen Anstalten im Auftrag ihrer Rundfunkgesetze („Körperschaften“ also und „Anstalten“, die sich neuerdings, McKinsey-gestählt, durchaus auch als „Unternehmen“ bezeichnen, mit „Unternehmenssprecher“ und „Unternehmensleitlinien“ und Vielem, was sonst noch aktuell-BWL-tauglich so dazu gehört). Das alles wiederum ist fein säuberlich kontrolliert von den Rundfunk-Räten, die ihrerseits „die gesellschaftlich relevanten Gruppierungen“ repräsentieren.

Nachdem es ja mit der Räte-Republik im Spätwinter und Frühsommer 1919 nichts geworden ist über ein paar Tage hinaus im ersten und einzigartigen „Freistaat Bayern“, sollten „Die Rundfunk-Räte der Republik“ wenigstens am Beginn des dritten Jahrtausends darüber nachdenken, ob sie wirklich den Trend stärken wollen, der da, zunehmend zentralistisch gepolt, bundesweites Radioprogramm aus der „Bundesstadt Bonn“ und aus der „Bundeshauptstadt Berlin“ in gravierender Ausweitung für sinnvoll und akzeptabel halten. Denn was da aus der – jener „Bundesstadt Bonn“ benachbarten – rheinischen Metropole Köln demnächst zusätzlich kommen soll, schön digital, wunderbar „high-culture-like“, zauberhaft im Fünfzehnminutentakt daherkommend, mit ein- und ausblendfreundlicher Musik garniert, die kulturell hochstehenden Eros haben soll und ganz im Gusto von „Radio-Wissen“ konzipiert, dem Schoß der DLF-Schaumkrone entsprungen und der reinen Online-Lehre folgend erstmal nur als Internetradio locken soll, das zielt in Richtung Zentralismus, könnte in letzter Konsequenz einer Verhauptstädterisierung der gesamten Bundesrepublik Deutschland radiophone Vorstufe und gewöhnende Einübung sein. Und so gedacht durchaus Sinn machen. Aus Sicht einer Zentrale.

Dass erstmals in diesem Jahr die sommerliche „Festspielzeit“ im deutschsprachigen Radio von Greifswald bis Garmisch, von Dresden bis Düsseldorf zeitgleich und zentralisiert ohne regionale Eigen- wie Besonderheiten ausgestrahlt wird, muss noch nicht als Vorstufe zur „Bundesrundfunkkammer“ gewertet werden. Vielleicht ist das nur ein rein rechnerisches, der Liebe zur Betriebswirtschaftslehre geschuldetes Detailchen. Aber: Wer kein „Bundesmusikfeature“ will, keine stromlinienförmige Gleichschalterei im Land (in dem es schon genug ALDIs gibt, die sich einzig durch das Beiwort Nord oder Süd unterscheiden), wer die Lebendigkeit, Kreativität, Intelligenz in einem Radio reflektiert wissen will, das nah dran ist an der eigenen Region, ein Radio, mit dem wir zuhörend uns identifizieren können, der muss wachsam sein. Und handeln.

Die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Bundesrepublik zusammengefassten Sender bieten immer noch – nicht nur im Vergleich mit privatwirtschaftlich organisierten Anbietern, deren Geschäftsmodell ja letztlich einzig auf Profitmaximierung hinausläuft, während die Öffentlich-Rechtlichen bekanntlich gesetzlich festgeschriebene Aufgaben erfüllen müssen – zu Recht erwartete höchste Qualität. Doch die Quotenverlockungen sind groß. Und wir können nicht darauf bauen, dass einzig die Priols und die Schramms etwa mit ihrer ZDF-live-Sendung „Neues aus der Anstalt“ direkt (was nicht nur in diesen Zeiten Mut erforderlich macht) aus den ARRI-Studios in München dortselbst die Kastanien aus dem Feuer holen. Da müssen wir schon selber ran. Und bevor wir in Aktionismus verfallen, muss klar sein, was gewollt wird: republikweite Einheitsprogrammatik mit kleinen lokalen „Fenstern“ oder selbstbewusste, selbstbestimmte, selbstintelligente regionale Sicht der Welt mit dem Gastrecht für die Sichtweisen derer aus Berlin, aus Washington, Dubai, Shanghai, Tokyo.

Wer BRD sagt, sollte über dieses wichtige deutsche (Ge)Denkjahr 2009 hinaus schon auch ARD sagen, als Bekenntnis zur föderalen Struktur dieser Republik. Auch vor dem riesigen Szenario möglicherweise werdender „Vereinigter Staaten von Europa“. Klar muss dieses System sich immer wieder erneuern, eigene Positionen definieren im sich ständig Ändernden der weltweiten Gemengelage. Nicht Anpassen, nicht Einschleifenlassen, nicht Unterwerfen. Selbstbewusst die Ideale weiterdenken. So besehen Bert Brecht folgend und der Formel: „Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war.“ Was freilich nichts mit ARD gemein hat. Und auch nichts mit BRD. Das ist ein typisch Brecht’scher (An)Satz, der als Appell ans dialektische Denken, an geistige Wachheit, an permanentes In-Frage-Stellen und ewiges Immer-Wieder-Neu-Anfangen Gültigkeit beanspruchen kann. Vielleicht lassen sich vor diesem Hintergrund Szenarien entwickeln, die gerechte und sinnvolle Terrains im Medienmarkt initiieren. Ende also von viel Gier signalisieren, Anfang von viel echter Vielfalt, im Print-, im Audio-, im Online-, im Video- und Computer-Bereich. Nicht jeder kann alles haben. Die Hoffnung bleibt, dass neue Bescheidenheit Anfänge einer seit Ewigkeiten ersehnten Gerechtigkeitsentfaltung definiert. Es gibt nur diesen einen Kuchen. Und der ist weder rein öffentlich-rechtlich noch privatwirtschaftlich allein, egal, ob im Realen oder in der Virtualität. Es sei denn, die Naturwissenschaft würde demnächst Anderes erkennen und lehren und dergestalt dem, was uns als Utopie Motivation war, neue Leitlinien definieren.

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