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Sich Sporen verdienen mit Spohr

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Gedanken zum Weimarer Wettbewerb für junge Geiger
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Europa sucht den Geigenstar. So das gemeinsame Motto für jene fünf Wettbewerbe junger Geiger, die mit ähnlichem Profil bei der Europäischen Union der Jugendmusikwettbewerbe registriert sind: einer im polnischen Lublin, alle drei Jahre an Lipinski-Wieniawski, einer in Moskau an David Oistrakh erinnernd, oder alle zwei Jahre im Kloster Schöntal, der nächste 2011, und schließlich jener in Memoriam Menuhin an wechselndem Ort, für 2012 erstmals nach China vergeben, und eben der jetzt gerade zu Ende gegangene, dem Thüringer Virtuosen Louis Spohr gewidmete Wettbewerb, wie er alle drei Jahre von der Franz-Liszt-Musikhochschule Weimar liebevoll ausgerichtet wird.

Mit einem Alterslimit meist bei 21, teils bei 22 oder gar bei 25 Jahren bündeln diese Wettbewerbe ihre Wertung unter pädagogisch-psychologischem Aspekt in jeweils drei bis vier zusammengefassten Altersjahrgängen. Eine Konkurrenz unter diesen Wettbewerben? Allenfalls im Hinblick auf die Höhe der verfügbaren Preisträger-Fördermittel, in Weimar mehr als 16.000 Euro. Geigenspiel jedenfalls scheint wieder „In“ zu sein. Geiger-Nachwuchs trifft in Legionen aufeinander, geigt sich im Wettbewerb, weshalb sich der künstlerische Level immer höher schraubt, Geigenkinder deshalb immer früher beginnen … Wie sich nun die Bilder gleichen: Auch diesmal in Weimar in der jüngsten Altersgruppe, bei den Kindern bis zu 14 Jahren, vorwiegend Mädchen, begegnete man den interessantesten hochsensiblen Begabungen, die in ihrer Selbstsicherheit, Innigkeit und in der Intensität des musikalischen Ausdrucks so sehr beeindruckten, dass selbst einigen Juroren vor Ergriffenheit die Tränen in den Augen standen. Für die Jüngste, die neunjährige Noa Wildschut aus den Niederlanden, wohl fast eine Jahrhunderterscheinung, und für die Künstlerfigur des 14-jährigen aus Kalifornien stammenden Stephen Waarts war die spontane Verdopplung des 1. Preises eine einsichtige Lösung. Auffällig, wie sich in den Biographien fast aller Finalisten die Formeln wiederholen: started the violin studies at age three (or four or five). Selbstverständlich, dass all die Preisträger ein Leporello von Erfolgen bei vorangegangenen nationalen und internationalen Wettbewerben, Masterclasses und solistischen Auftritten nachweisen. Vergleicht man die weiter wachsende Wettbewerbsszene speziell für den geigerischen Nachwuchs, wird man den Eindruck nicht los: Wer nicht schon in Milchzahnjugend Wieniawskis oder Paganinis Capricen makellos hinlegt, hat als Geiger kaum noch Chancen.

Wie steht es um Teilnehmer aus deutschen Landen, die ein Drittel der rund 90 Kandidaten in Weimar ausmachten und die ja immerhin eine mehrstufige „Jugend musiziert“-Erfahrung hinter sich haben und oft schon neben der Schulbank als Gast-Studierende von der Hochbegabtenförderung unserer Musikhochschulen profitieren? Doch keiner von diesen kam diesmal in Weimar über die zweite Wettbewerbsrunde. Europas Ehre rettete mit ihrer musikalisch-künstlerisch reifen Leistung in der Seniorenkategorie die 18-jährige Salzburger Hochschulstudentin Marie-Christine Klettner, die sich nach den Erfolgen beim österreichischen Bundeswettbewerb „Prima la Musica“ und „Gradus ad Parnassum“, bei Young Artist an der Juilliard School und bei Eurovision Young Musician den 1. Preis mit Glanz und Gloria verdiente. Auf Europa-Konto geht auch der mit dem 2. Preis ausgezeichnete, in Jerusalem gebürtige Milan Al-Ashhab (17), aufgewachsen und ausgebildet im böhmischen Teplice.

Von den zehn Weimarer Preisen ging – ganz ähnlich wie kürzlich beim Menuhin-Wettbewerb – die Hälfte des Preissegens an Teilnehmer aus dem Fernen Osten, die ein weiteres Drittel aller Bewerber ausmachten: Korea, Japan, China, Taiwan. Diese jungen Asiaten, je jünger, desto verführerischer brillieren sie mit einem wunderbaren Geigenton, treten in ihren Solis und Konzerten selbstsicher auf, perfettissimo einstudiert, nachgehört, nachgespielt, aber in ihrem Vortrag verweigern sie jede persönliche Gefühlsäußerung. Der Zugang zur kammermusikalischen Empfindsamkeit bei Beethoven, Schubert oder Brahms scheint ihnen verwehrt. Und das, obwohl sie ganz bewusst nach Europa kommen, um hier die Klassik zu erfahren. Immerhin hatten die Finalisten das Glück, ihr Konzert nicht von einem Korrepetitor, sondern vom Kammerorchester der Musikhochschule unter Nicolás Pasquet, im Schlusskonzert (leider nur für die vier ersten Preisträger) von der Staatskapelle Weimar unter Martin Hoff begleitet zu bekommen. Und für manchen Kandidaten war das Auswertungsgespräch mit einer hochkarätigen internationalen Zehner-Jury, Vorsitz Friedemann Eichhorn, das Wichtigste, was sie mit nach Hause nehmen konnten. Von den wohlgemeinten Schlussansprachen, Würdigungen und Gratulationen haben die zwei Drittel nicht Deutsch sprechenden Teilnehmer freilich nur den Wohlklang mitbekommen.

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