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Bachs rekonstruierte Markuspassion wird uraufgeführt

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Der Cembalist Alexander Ferdinand Grychtolik hat sich an eine Rekonstruktion der verschollenen Markuspassion von Johann Sebastian Bach gewagt. Das Werk soll am Sonntag in der Weimarer Herderkirche uraufgeführt werden.


Weimar (ddp-lth). Die Johannespassion und die Matthäuspassion sind bekannt. Doch Johann Sebastian Bach (1685-1750) hat mehr als diese zwei Passionen komponiert. Musikwissenschaftlern sind zumindest fünf Passionswerke von Bach bekannt. Und unter diesen ist die berühmteste wiederum die Markuspassion. Doch Bachs Passionsmusik zum Evangelisten Markus existiert nicht mehr. Zugänglich allein ist heute nur noch das Textbuch der Leipziger Uraufführung in der Thomaskirche vom Karfreitag 1731. Der Cembalist Alexander Ferdinand Grychtolik hat sich jetzt an eine Rekonstruktion der Markuspassion gewagt. Und dieses Werk soll am Sonntag in der Weimarer Herderkirche uraufgeführt werden.

Solche Rekonstruktionen hat es in der Musikgeschichte schon öfter gegeben. Die bekannteste ist wohl Wolfgang Amadeus Mozarts «Requiem», das erst nach dem Tode des Komponisten von Schülern vervollständigt wurde. Doch zumeist existiert zumindest ein musikalischer Torso. Nicht so bei der Markuspassion. Die letzte bekannte Abschrift verbrannte 1945. Aber aus dem noch vorhandenen Text lässt sich der formale Aufbau der Komposition gut ablesen, sagen Musikwissenschaftler.

Denn Bach habe seine großen Werke zumeist im damals üblichen Parodie-Verfahren komponiert, erläutert Grychtolik. Darunter verstehe man, neue Kompositionen aus bereits geschriebenen Werken durch Umarbeitung, Zerlegung und Neutextierung zu schaffen. Einige der Vorlagen der Markuspassion sind deshalb bekannt. Dazu gehört die Trauerode, aus der Eingangs- und Schlusschor und einige Arien stammen. Die Choräle der Passion sind durch Schriften seinen Sohnes Carl Philipp Emanuel erhalten geblieben. Doch der Evangelientext des Tenors und die Chöre der Volksmenge, die Bach für die Passion neu schuf, sind wohl endgültig verloren.

Für den 26-jährigen Komponisten Grychtolik hieß das, sich unter Berücksichtigung aller »bekannten« Teile der Fassung der Passion von 1731 so nah wie möglich anzunähern und eine größtmögliche, stilistisch-ästhetische Einheit herzustellen. Etwa ein Dutzend Rekonstruktionsversuche kennt Grychtolik. Das Neue bei ihm sei, dass er die letzte, bisher fehlende Passions-Arie »Angenehmes Mordgeschrei« aus der Arie »Wer Sünde tut, der ist vom Teufel« aus der Kantate »Widerstehe doch der Sünde« als mögliche Parodievorlage erstmalig einfügte.

»Die Markuspassion hat mich angeschrieen, vervollständigt zu werden«, sagt Grychtolik und bezeichnet das selbst als eine irrationale Neigung, die er rational nicht erklären könne. Der Absolvent der Weimarer Musikhochschule hat jedoch nicht Komposition, sondern Cembalo studiert. »Komponisten lernen heute zeitgenössisch zu komponieren, aber das interessiert mich nicht. Ich höre schon immer barocke Musik in mir«, erzählt Grychtolik. Auch wenn ihm klar sei, »nicht der junge Bach« zu sein, reize es ihn, in dieser barocken Tonsprache schöpferisch zu sein.

Dass die Uraufführung in der Weimarer Kirche St. Peter und Paul, die im Volksmund Herderkirche genannt wird, stattfindet, ist für Grychtolik ein Grund zu besonderer Freude. Denn Bach, der acht Jahre in Weimar lebte, betrat diese Kirche zumindest mehrmals zur Taufe seiner Kinder. »Außerdem hatte Bach in Weimar den Höhepunkt seiner Orgelkompositionen erreicht«, erzählt der junge Komponist aus dem Leben Bachs.

Unter der Leitung von Klaus-Jürgen Teutschbein erklingt die «Markuspassion» als Erstaufführung am Sonntag um 19.30 Uhr in der Weimarer Stadtkirche St. Peter und Paul (Herderkirche). Es spielt das Johann-Sebastian-Bach-Ensemble Weimar. Der Rekonstrukteur Grychtolik wird auch dabei sein. Er spielt das Cembalo.


Rekonstruierte musikalische Werke in fünf Daten
- Mozarts letzte Komposition, das Requiem in d-Moll (KV 626) stammt nur zu zwei Dritteln tatsächlich von Mozart. Da er während der Komposition starb, vervollständigten seine Schüler Joseph Eybler und Franz Xaver Süßmayr das Werk.

- Auch Gustav Mahler starb vor Beendigung seiner 10. Symphonie. An ihrer Vervollständigung und Rekonstruktion versuchten sich seither viele Komponisten.

- Giacomo Puccinis letzte Oper Turandot wurde aufgrund von Puccinis Tod erst von seinem Schüler Franco Alfano fertig komponiert.

- Auch Beethovens 10. Symphonie wurde nicht mehr zu Ende komponiert. Da jedoch Skizzen und Notizen über den ersten Satz existieren, gab es auch hier Versuche, die Symphonie zu rekonstruieren.

- Franz Schuberts berühmtestes Werk, die h-Moll-Symphonie «Die Unvollendete» wurde, wie der Name schon sagt, nicht zu Ende komponiert. Auch hier gibt es immer wieder Rekonstruktionsversuche.


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