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Das kenn’ ich doch

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In einer Untersuchung über die Zuverlässigkeit von Aussagen, die auf Wiedererkennungseffekten beruhen, zitiert der Psychologie Gerd Gigerenzer den Ratschlag eines Wirtschaftsprofessors: „Wenn du eine Stereoanlage kaufst, wähle eine Marke, die du wiedererkennst, und das zweitbilligste Gerät.“ Da der Professor kein Fachmann für Stereoanlagen ist, verlässt er sich auf seinen gesunden Menschenverstand und denkt sich: Bei einer allgemein bekannten Marke ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ihre Produkte eine gewisse Qualität aufweisen, denn sonst würde ja keiner davon reden; aber das billigste Gerät lasse ich beiseite, denn es könnte ein Lockvogel und tatsächlich minderwertig sein.
Die Argumentation von Gigerenzer läuft darauf hinaus, dass halbinformierte Laien ein Ereignis oft präziser beurteilen und vorhersagen können als die im Detailwissen ertrinkenden Spezialisten, und er meint, dass Staat und Privatwirtschaft Milliarden sparen könnten, wenn sie sich nicht auf hochbezahlte Beratergremien, sondern auf wissenschaftlich aufbereitete Erkenntnisse des Durchschnittsbewusstseins stützen würden. Die diversen Versuche der letzten Jahre, McKinsey & Co. auf kulturelle Institutionen loszulassen, scheinen das zu bestätigen. Wenn bei den sündhaft teuren Expertisen überhaupt etwas herauskam, dann das, was man ohnehin schon wusste.

Die Methode, mithilfe von Wiedererkennungsmechanismen Lösungen für komplexe Probleme zu finden, nennt Gigerenzer Rekognitionsheuristik. Seine auf den ersten Blick provozierende Behauptung, dass aus individueller Unwissenheit eine kollektive Intelligenz erwachsen könne, untermauert er mit Daten und Versuchsreihen, die schwer zu widerlegen sind.

Solche Erkenntnisse lassen sich zweckorientiert anwenden, etwa im Marketing: Ist ein Produkt einmal als Qualitätsprodukt im Markt verankert, kommt der Wiedererkennungseffekt in Gang – der Käufer nimmt es „intuitiv“ als das Bessere wahr. Das gilt auch im Handel mit musikalischen Produkten, im Verlags-, Veranstalter- und Mediengewerbe. Dazu gehört auch die zeitgenössische Musik, seit sie aus ihrer Nische herausgetreten ist und zunehmend große Säle zu füllen vermag. Ihr Publikum entspricht am deutlichsten dem Typus des halb informierten Laien – dies ist ohne Geringschätzung gesagt. Sein Hauptkriterium ist nicht die nur den Spezialisten zugängliche, analytisch begründbare „kompositori-sche Qualität“, sondern die Wiedererkennbarkeit des Künstlernamens: Was allgemein bekannt ist, muss besser sein als das, wovon keiner spricht.

Da spielt es dann keine Rolle, dass von Komponist A die Insider wissen, dass ihm nichts mehr einfällt, dass von Dirigent B die Musiker sagen, man könne bei ihm spielen, was man wolle, weil er eh nichts höre, und dass unter den Händen des weltberühmten Interpreten C alle Stücke gleich klingen. Das interessiert das breite Publikum nicht. In seinen Augen bürgen sie für Qualität, denn irgendwann einmal haben sie sich ja mit außergewöhnlichen Leistungen ihren Marktwert erobert.

Ein erfahrener Veranstalter weiß, dass er an solchen Erwartungen nicht vorbeiprogrammieren darf, und er bemüht sich deshalb um einen ausgewogenen Mix von Bekanntem und Unbekanntem. Es wäre zweifellos verantwortungslos, wenn er sich nur dem Spiel mit der Wiedererkennbarkeit überließe. Doch spricht das nicht gegen die begründete Annahme, dass im heuristischen Urteil des Publikums gleich viel Wahrheit über die Qualität der Werke steckt wie in den kenntnisreichen Analysen von Spezialisten?

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