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Hoch bezahlte Kreative

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Zu den auffälligsten Veränderungen, die sich auf dem Feld der Neuen Musik in den letzten Jahren vollzogen haben, gehört, neben dem Vormarsch der Elektronik in Komposition und Interpretation, die immer aufwändigere Werbung. Massendruck und Versand von bunten Flyern und ganzen Festivalzeitungen, grafisch auffällige Programmbücher und multimediale Internetauftritte gehören inzwischen zur Tagesordnung bei einem Neue-Musik-Festival, das etwas auf sich hält.

Das hat zweifellos seine Richtigkeit. Wenn mit der Losung „Neue Musik raus aus der Nische!“ ernst gemacht werden soll, muss die Nachricht von ihrer Existenz erst einmal verbreitet und das Interesse der potenziellen Hörer geweckt werden. Und die Scharen von Hochschulabsolventinnen und -absolventen, die mit einem Bachelor in Kulturmanagement, Kommunikationswissenschaft oder Musikjournalismus jährlich auf den Arbeitsmarkt gespült werden, wollen ja auch irgendwie beschäftigt werden.

Der Markt der Neuen Musik expandiert. Er ist zwar extrem kapitalschwach, doch kräftige Subventionen halten die großen und barmherzigen Gaben die kleinen Veranstalter am Leben. Das hat den Nebeneffekt, dass die Geldgeber ihr Logo angemessen, das heißt in öffentlichwirksamer Weise präsentiert sehen wollen. Irgendein Zettel, hergestellt mit Word im Format A4, tut es da nicht. Da müssen schon Quark Express und Vierfarbendruck her. Zudem steigt mit wachsender Konkurrenz die Notwendigkeit, sich in der Öffentlichkeit von anderen, ähnlichen Unternehmungen zu unterscheiden. Die Veranstaltung muss, wie es in der Werbesprache heißt, ein klares Erscheinungsbild besitzen, wiedererkennbar sein und ihr Alleinstellungsmerkmal optimal kommunizieren. Ein klarer Fall für die Werbeagentur.

In den Veranstalterbudgets hat damit eine tief greifende Umschichtung stattgefunden, bedingt durch die Marktmechanismen, denen sich die aus der Nische befreite Neue Musik ausgesetzt sieht. Von den Konten der künstlerischen Leistungen fließen die Mittel ab auf die Werbekonten. Ein Fünftel des Budgets für die PR-Arbeit dürfte heutzutage schon ein Minimum darstellen. Früher wurde an den Kulturinstitutionen zu Recht kritisiert, dass ihr interner Verwaltungsaufwand im Vergleich zu den unmittelbaren künstlerischen Produktionskosten zu hoch sei. Die Verwaltungen wurden inzwischen verschlankt, das heißt Personal entlassen. Was mit den frei werdenden Mitteln passiert ist, wenn sie nicht einfach gestrichen wurden, wäre eine Untersuchung wert. Vermutlich sind sie nicht in die Projektarbeit geflossen, womit sich aus künstlerischer Sicht unter dem Strich nicht viel geändert hätte. Was früher die Bürokratie verschlang, schluckt heute die freie Werbewirtschaft – das ganze Heer der Agenturen, Öffentlichkeitsarbeiter und Vermittler. Die künstlerisch unproduktiven Ausgaben sind einfach outgesourct worden. Doch „Werbung“ klingt besser als „feste Personalkosten“, erzeugt Mehrwert und ist fortschrittlich. Der Markt hat die Bürokratie abgelöst.

Natürlich wird auch in den neuen Verhältnissen eifrig Kapital vernichtet. Nicht durch unproduktiv herumsitzende Verwaltungsangestellte, sondern durch die vielen ebenso teuren wie überflüssigen Informationen, deren Hauptzweck es ist, das Werbehonorar zu rechtfertigen, indem für die „repräsentativen Informationsträger“ eine möglichst große Reichweite ausgewiesen wird. Doch dabei dürfte es sich um Wunschvorstellungen wie bei der Fernsehwerbung handeln. Die meisten dieser Werbematerialien werden vom Empfänger einfach in den Papierkorb geworfen oder in den Trash geklickt.

An den Honoraren der Künstler hat sich derweil nicht viel geändert. Dass sie es sind, die den ganzen Betrieb überhaupt erst ermöglichen, wird finanziell nicht honoriert. Die paar tausend Euro Auftragshonorar, für die ein Komponist meist monatelang arbeitet, verdient ein PR-Fachmann im Handumdrehen. Die groteske Umkehrung der Werte zeigt sich auch in der anmaßenden Bezeichnung „Kreative“, die die Werbebranche, beim genauen Hinsehen ein Parasitengewerbe, sich selbst öffentlichkeitswirksam zugelegt hat.

Dass sich Werbung gerne selbst feiert, ist bekannt, doch ungewöhnlich ist, dass sie diesen eigennützigen Metadiskurs nun auch auf dem Buckel der Neuen Musik führt. In der Werbemail eines Festivals war neulich die stolze Rede von einem Preis, den es erhalten habe. Es war aber kein Preis für ein besonders intelligentes Programm oder eine außerordentliche Aufführung, sondern ein Preis für die beste Festivalwerbung.

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