Hauptrubrik
Banner Full-Size

Schule der Zukunft durch Bewusstseinswandel

Untertitel
Leserbrief zu Theo Geißlers Leitartikel „Hauptsache Musik“, VDS-Beilage nmz 11/07, Seite 1
Publikationsdatum
Body

Ich lese/höre seit langer Zeit – meist mit größter Empathie – Ihre kritisch-engagierten Kommentare zum Kultur-, Musikstandort Deutschland. Bezüglich Ihrer Kolumne (Hauptfach Musik) in oben genannter nmz-Ausgabe möchte ich mir aber doch ein paar kritische Anmerkungen erlauben. In meiner Tätigkeit als Musiklehrer/Seminarleiter an einem Regensburger Gymnasium, als Dozent an der Uni Regensburg im Mupäd-Bereich und schließlich auch noch als aktiver Musiker und Komponist beschäftige ich mich zwangsläufig fortwährend mit genau den von Ihnen angesprochenen Aspekten.

„ ... im Stich gelassen von Hochschulen und Unis, deren Curricula noch fest im Zeitgeist des vergangenen Jahrhunderts ... sinnlos gehetzt, ausgebrannt.“ Für mich steckt hierin ein Widerspruch in sich: Welchen – hinsichtlich musikpädagogischer Belange relevanten – Zeitgeist hätten denn die acht Jahre des neuen Jahrhunderts hervorgebracht, für den es sich lohnen würde, das Ausbildungsprofil einer Fakultät oder auch die eigene pädagogische Position als ästhetisch offener und neugierig gebliebener Schulmusiker grundlegend zu ändern? Man möge sich das „Curriculum“ der Schulmusikerausbildung beispielsweise an der Uni Regensburg anschauen, um zu sehen, dass nicht primär die Ausbildungsplattform mit Ihrem Angebot das Problem darstellt. Vielmehr sind es die späteren Arbeitsbedingungen in Kombination mit den gesellschaftlichen Erwartungen oder besser Nicht-Erwartungen an das Schulfach Musik.

Dieses Fach wird immer weniger mit der von Ihnen angesprochenen Herzensbildung und immer mehr mit dem Zwangskorsett der leistungs- und input-orientierten Lernfabrik verknüpft. Seit G8 akkumuliert diese Situation. Trotz der strangulierenden Wirkung gibt es an vielen Schulen immer noch/immer neue engagierte und im musikalischen Jetzt lebende Schulmusikerinnen, die genau den von Ihnen formulierten Prämissen entsprechen könnten, wenn sie nur dürften.

Stundenkürzungen im Wahlbereich und Verweigerung von Schülern/Eltern, über das Pflichtmaß hinaus an der Schule zu „leben“ sind hier zwei Gesichter derselben Sache. Letzteres ist auch bedingt durch den Überlebenskampf der Musikschulen, die zumindest teilweise ihr Heil in der Abwertung des Musiklebens an allgemeinbildenden Schulen suchen ... und eigene Angebote qualitativ darüber ansiedeln, zum Teil mit dem banalen Argument: „Was nix kostet, taugt auch nix.“

„ ... gesundes Selbstbewusstsein, fußend auf solider eigener Bildung ...“ Sie haben ja so recht! Das Problem ist nur, dass auch die heutigen Lehramtsanwärter schon mit ganz anderen Erwartungen, Ansprüchen an sich selbst und oft auch geringerem Neugierdepotential die Ausbildung beginnen und beenden. Unser Schulsystem (was muss ich, was kann ich lassen ...) leistet hier ganze Arbeit. Als Dozent kommt man sich manchmal endlos hilflos vor, wenn Orfeo, Beethovens Erste, Don Giovanni, Wozzeck, So what, Steely Dan und Lachenmanns „Mädchen ...“ gleichermaßen ratlose Mienen hervorrufen und vor allem die Frage aufwerfen: Brauchen wir das alles in der Schule... Dieses Problem hängt nicht primär mit dem Ausbildungsangebot zusammen... leider, denn dann könnte man es ändern!

Und zu guter Letzt noch eine Anmerkung zum Projekt mit Markus Hechtle: Es ist verständlich, dass Sie sich von den Ergebnissen begeistern lassen, enttäuschend aber, dass Sie in derartigen Projekten die Schule der Zukunft vermuten wollen. Diese ließe sich nur verwirklichen, wenn auf Hechtle Henze, Widmann, Eggert, Riessler, Brönner, Rattle ... folgen. Dies ist, wie wir wissen, eine Utopie, vor allem deshalb, weil die Situation ja auch auf andere Fächer übertragen werden müsste...

Lassen Sie aber Sting ein Schuljahr lang 29 Stunden Klassenunterricht machen, wird er bald nicht mehr Resonanz als jeder andere charismatische und kompetente Schulmusiker erzeugen ... vorausgesetzt, er kann noch aufrecht gehen ... vom vermuteten Verschleiß vieler anderer Workshopstars mal ganz abgesehen. Die Methoden und Inhalte dieser „Stars“ sind bekannt und könnten durch kompetente und engagierte Lehrer Alltag werden, vorausgesetzt, die Zeiträume dafür würden auch zum Alltag. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie unterschiedlich man als Fortbildungsreferent und als Klassenlehrer wahrgenommen wird, es genügt oft gar schon die Vertretungsstunde in einer unbekannten Klasse ...

Die Schule der Zukunft kann meiner Meinung nach nur durch grundlegenden Bewusstseinswandel in Sachen Kultur entstehen. Davon aber sind wir weit entfernt.

Komponist Markus Hechtle in der Schule auf www.nmzmedia.de

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!