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Die Krise der Kritik
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Die Zeitschrift „Positionen“, die sich sonst eher in der Rolle des orthodoxen Nischenprodukts gefällt, widmet sich in der neuesten Ausgabe überraschend einem hoch aktuellen Thema von allgemeiner Bedeutung: der Krise des Journalismus. Zwar handelt sie es ihrer Ausrichtung entsprechend ausschließlich mit Blick auf die neue Musik ab, doch der Relevanz der Diskussion tut das keinen Abbruch.

In der neuen Musik zeigt sich die Problematik verschärft. Zu der in allen Printmedien zu beobachtenden Reduktion von Personal, Druckseiten und Honoraren, ein Resultat der Verlagerung der Anzeigen ins Internet, kommt hier das selbstverursachte Handicap einer Branche, die ihren Minderheitenstatus immer stolz gepflegt hat und sich dabei der Unterstützung durch zumeist öffentliche Geldgeber sicher sein konnte. Doch heute fließt das Geld nicht mehr automatisch, und so muss nicht nur die neue Musik, sondern auch die Berichterstattung über sie um öffentliche Aufmerksamkeit kämpfen, will sie in der Veränderungsdynamik, die die Medien ergriffen hat, nicht einfach untergehen.

Im erwähnten Themenheft wird die Situation kompetent beschrieben und beklagt, die Akteure sind sich der Lage bewusst. Trotzdem überrascht die subjektive Sicht, die aus vielen Beiträgen spricht. Es ist die Sicht eines Printjournalismus, der sich wie zu Hanslicks Zeiten noch immer als Königsdisziplin der Gattung versteht und nicht wahrhaben will, dass sich die öffentliche Meinungsbildung längst auch über andere Kommunikationskanäle vollzieht.

Ins Internet wandern nicht nur die Inserate ab, sondern mehr und mehr auch die Texte. Der Blogjournalismus, so wichtigtuerisch er manchmal auch noch daherkommt, eignet sich für die schnelle Kommunikation viel besser als die schwerfällige Zeitung, und die Diskussionsforen stellen mit ihren heftigen Debatten jede Leserbriefspalte in den Schatten. Hier bilden sich Meinungen, hier werden Informationen topaktuell ausgetauscht. Die Online-Ausgaben der Zeitungen sind dagegen ein zweischneidiger und vermutlich vorübergehender Notbehelf: Das Printmedium will Präsenz im Internet zeigen und beraubt sich dabei seiner eigenen Käufer.

Was dem Blogjournalismus oft noch fehlt, ist die Qualität der Reflexion, denn auch hier fehlt es am Geld. Welcher Autor denkt gerne für zwanzig Euro einen halben Tag lang nach? Aber das kann sich ändern. Gerade wird gemeldet, dass Anfang nächstes Jahr Steve Jobs und Rupert Murdoch gemeinsam eine neue Publikation herausbringen wollen, die nur noch online zu lesen ist – natürlich bevorzugt auf dem iPad. Im Moment ist das noch ein Experiment, doch auch iTunes und iPhone waren einmal Experimente. Heute sind sie Marktführer. Mit großer Sicherheit werden in den nächsten Jahren auch hierzulande Tablet-Zeitungen erscheinen. Warum sollte die Musikpublizistik damit nichts zu tun haben?

Solche Perspektiven fehlen leider in den „Positionen“-Beiträgen weitgehend. Am klarsten wird die Internet-Problematik noch im Einleitungsartikel benannt, der paradoxerweise von einer klassischen Printjournalistin, der FAZ-Redakteurin Eleonore Büning, stammt. Ansonsten gilt noch immer das Fernsehen als modernste Referenzgröße. An ihm arbeitet man sich mit jener Mischung von Respekt, Misstrauen und Verachtung ab, die der kulturellen Elite eigen ist. Das in einer Zeit, da das Fernsehen den Zenit bereits überschritten hat und wie das Radio seine Zukunft in Medienfusionen mit dem Internet sucht.

Dass der Zug längst abgefahren ist, haben manche Printjournalisten noch nicht begriffen. Das gibt zu denken, umso mehr, als eine der häufigsten Vokabeln in den Texten das Wort „Förderung“ ist. Wie es in der neuen Musik Brauch ist, ruft nun auch deren Kritik nach Unterstützung durch öffentliche Gelder und sieht sich dazu durch ihre wichtige Funktion im Kulturleben berechtigt. Die Argumente dafür formuliert ein „Aufruf zur Stärkung des Journalismus“. Doch zugleich liest man, dass ein entsprechender Vorstoß beim Deutschen Musikrat gescheitert sei. Vielleicht hat dort der Preis der deutschen Schallplattenkritik, der eine ähnliche Dauerförderung des Musikjournalismus anstrebt, mehr Glück, gehören seine Mitglieder doch allen musikalischen Sparten an und nicht nur der neuen Musik.

Ob sich die Musikkritik doch nicht lieber selber helfen sollte, anstatt bei öffentlichen Institutionen betteln zu gehen? Eine staatlich geförderte Kritik – welch eine Horrorvorstellung! – wird keinen einzigen zusätzlichen Hörer ins Konzert bringen. Aber genau darum geht es doch eigentlich. Und das ist, noch vor der Kritik, ein Problem der Musik selbst.

Die Musik muss auf das Publikum zugehen, nicht umgekehrt. Die Kritik kann vielleicht etwas dazu beitragen, indem sie dem potenziellen Hörer hilft, sich in dem, was er hört, wiederzuerkennen. Ins Konzert treiben kann man heute niemanden mehr – die Zeit der Kulturbrigaden ist vorbei, und die heutigen „Vermittlungs“-Mechanismen haben, wie man weiß, ihre Tücken.

Zukunftsideen sind also gefragt und keine Bettlerattitüden, um den Besitzstand zu wahren. Für die neue Musik und ihre Kritik gilt mehr denn je, was Wotan in Wagners „Ring“ dem begriffsstutzigen Alberich rät: „Was anders ist, das lerne nun auch.“ Alberich hat es nicht gelernt und ist untergegangen.

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