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Zum Artikel „Von Lebensrealität befreite Enklaven“ von Claus-Steffen Mahnkopf

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Claus-Steffen Mahnkopf schickt sich in seinem Aufsatz an, die Ursachen für die Politikferne der musikalischen Avantgarde zu benennen. Gleichzeitig meint er, Wege gefunden zu haben, die zu einer Rückkehr des Einflusses der Neuen Musik auf die Gesellschaft führen könnten. „Es bedürfte nur eines einzigen überschlagenden Funkens“, so der Autor, um die heutigen Komponisten wieder mit in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen.

Was genau diesen Funkenüberschlag verursachen soll, wird nicht deutlich. Mahnkopfs Essay liest sich in erster Linie als eine – inzwischen aus seiner Feder wohlbekannte – Kritik an der „Szene“. Zum Ende seines Aufsatzes jedoch wird klar, wie er sich die Wiedereingliederung der E-Musik-Avantgarde in den Diskurs vorstellt: Neue Musik soll sich beispielsweise das Jüdische Museum in Berlin oder – Unmenschlichkeit ausdrückende – Filme wie „Terminator II“ zum Vorbild nehmen. Herauskommen müsste schlussendlich eine aktuelle Musik mit durch und durch „zerfurchtem“ Charakter. Nur so könne die klingende Kunst endlich den von Adorno postulierten „qualitativen, revolutionären Sprung“ vollziehen.

Tatsächlich haben Mahnkopfs Thesen jedoch kaum etwas mit Adornos Intentionen zu tun. Die vom Autor vorgetragenen Forderungen an die Neue Musik müssen unter anderem aus diesem Grund als inadäquat erscheinen. Mahnkopf irrt, wenn er meint, Neue Musik besäße durch ihren Platz innerhalb der zeitgenössischen Kunstszene a priori eine politische Konnotation. Nicht allein, dass diese Sicht meist aktuell nur noch von Komponisten vertreten wird, die in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts geboren wurden, vielmehr scheint es verfehlt, im Kontext (des von Mahnkopf latent paraphrasierten) Adornos von einer selbstverständlichen politischen Bedeutung der Neuen Musik auszugehen. Letzterer weist selbst darauf hin, dass „Kunst weder nur durch den Modus ihrer Hervorbringung, in dem jeweils die Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen sich konzentriert, noch durch die gesellschaftliche Herkunft ihres Stoffgehalts“ (Ästhetische Theorie, Seite 335) eine politische Konnotation besitzt.

Zudem liegt die Krux der Annahme Mahnkopfs, Neue Musik hätte ein exhumierbares politisches Potential, in der Hybris der „Aufgabe“, die nicht sieht, dass lebende Komponisten, die als eine einheitliche Gruppe sowieso nicht angesprochen werden können, keinen Messias brauchen, der sie kuriert.

Mahnkopf schreibt: „Es bedürfte nur eines einzigen überschlagenden Funkens, um die Neue Musik aus ihrer (selbstverschuldeten?) Isolation zu befreien und damit auch den Diskurs zu bereichern; nur dass niemand weiß, wer ihn entzünden sollte.“ Zunächst wirkt es merkwürdig, warum der Autor, nachdem er die Ursache für die Isolation Neuer Musik bereits bei ihr selbst gefunden zu haben glaubt, das Wort „selbstverschuldet“ mit einem Fragezeichen versieht. Diese Verunsicherung seinerseits hätte ausgeführt werden müssen, schließlich lesen sich Mahnkopfs Thesen ansonsten so, als sei die Schuldzuschreibung für die mangelnde Präsenz Neuer Musik ganz allein auf sie gemünzt. Eine solche Ausschließlichkeit der Argumentation wiederum macht Mahnkopf selbst wenig diskursfähig, zumal er die Patentlösung, den „überschlagenden Funken“, auch nicht gefunden zu haben scheint.

Nach Ansicht Mahnkopfs herrsche ein Mangel an „zivilgesellschaftlich aufgeklärter Neuer Musik“ und hier ist er mit Vorschlägen, wie ihre Repolitisierung und die Stärkung ihrer allgemeinen kulturellen Präsenz aussehen könnte, schnell bei der Hand. Zum Abschluss seines Aufsatzes fragt er daher: „Wo ist die Musik, die es Joyce, Arno Schmidt und Thomas Pynchon gleich täte, wo ist die Musik, die auf den Holocaust wenigstens reagierte wie die beiden so unterschiedlichen Filme ,Schindlers Liste‘ und ,Train de vie‘, wie zerfurcht müsste eine Musik sein, die sich das Jüdische Museum in Berlin zum Vorbild nähme, wie klänge eine Musik, die das Unmenschliche auszudrücken vermöchte wie der Film ,Terminator II‘?“

Der Fluchtweg aus dem Elfenbeinturm, in dem Mahnkopf die Komponisten Neuer Musik wähnt, soll also über Vorbilder aus anderen Künsten führen. Mahnkopfs Sätze lesen sich dabei so, als ob lebende Komponisten, was die Wahrnehmung und die Beschäftigung mit Kunst und Literatur angeht, blind durch die Gegend rennen würden. Möglicherweise aber kommt es Mahnkopf gar nicht auf diese Behauptung an, vielmehr scheint er denkbare „Vorbilder“ (wie das des Jüdischen Museums in Berlin) deshalb ins Spiel bringen zu wollen, um die Neue Musik an der feuilletonistischen Präsenz solcher Kunstwerke partizipieren zu lassen. Hatte der Autor in seiner sechsten These noch gefordert, kulturell-touristische Publikumserfolge wie die documenta kritisch zu hinterfragen, so fällt er mit dem – ja wahrscheinlich sogar ernst gemeinten – Vorschlag, aktuelle Kompositionen an Filme wie „Terminator II“ anzulehnen – mehr als nur weit hinter seine vermeintlichen Ansprüche an kritische Kunst zurück. Gleichzeitig verkennt Mahnkopf, dass sich die „künstlerische Kompromisslosigkeit“ und der „politische Impetus“ der dekonstruktivistischen Architekturavantgarde immer auch rechnet, dass eben auch das Jüdische Museum in Berlin Teil eines Tourismuskonzepts ist und dass Architektur als Ganzes ein größeres Repräsentationspotential besitzt als die Erzeugnisse der musikalischen Avantgarde. Neue Werke dürfen nicht ernsthaft die (zugegeben leichte) Aufgabe zugewiesen bekommen, die Begleitmusik für Katastrophen (11/09) und aktuelle feuilletonistische Trends anzustimmen. Derart funktioniert eine Repolitisierung der Neuen Musik auf keinen Fall, und wenn, dann nur für den Preis der Aufgabe ihres verstörenden, untergrabenden, ihres nichtidentischen Potentials.

Diesen adornoschen Passus angesprochen, erscheint es erneut als merkwürdig, dass Mahnkopf an dieser Stelle jenen Autor (wenn auch nicht wortwörtlich) zitiert, sprach Adorno doch vielmehr von einer „gesellschaftlichen Resistenzkraft“ der Kunst (Ästhetische Theorie, Seite 335) als von ihrer zwanghaften Repolitisierung.

Als ein höchst seltsamer Vorschlag muss auch Mahnkopfs Forderung nach Musik, die „auf den Holocaust wenigstens reagierte“ angesehen werden. Folgende Fragen stellen sich: Funktioniert eine Repolitisierung der Neuen Musik durch die Neuschaffung einiger Holocaust-Opern? Ist der Holocaust ein aktuelles politisches Thema oder ist es eher unsere diesbezügliche Umgehensweise? Was ist mit der Reihe von Holocaust-Opern, die schon existieren? Wenn es Mahnkopf ernsthaft darum geht, einen kritischen Diskurs innerhalb der musikalischen Avantgarde und darüber hinaus zu entfachen, warum schlägt er dann als ein mögliches Sujet etwas vor, was musikalisch kaum jemandem als wirklich virulent erscheint, zumal es meist auch die Gefahr der Kritikimmunität mit sich trägt? Gerät Musik nicht gerade dann wieder unter Verdacht, das „bürgerliche Reservat privater Innerlichkeit“ (Mahnkopf) zu bedienen, solange sie nur die allzu naheliegenden Dissonanzen zu auf der Bühne dargestellten Schreckensszenen beiträgt?

Macht sich Neue Musik derart identisch mit Filmen oder Architektur, wie Mahnkopf es vorschlägt, dann pervertiert sie zur bloßen Begleitmusik, zur bloßen Beigabe. Der Wegfall ihres nichtidentischen Potentials würde damit den Wegfall des ungegenständlichen Schreckens, den Musik vermitteln kann, bedeuten, dabei sind Kunstwerke, laut Adorno, doch vielmehr „die vom Identitätszwang befreite Sichselbstgleichheit“ (Ästhetische Theorie, Seite 190) und – vor allem zeitgenössische Musik – nicht die „Zutat“, das rein „Ausdrückende“, nicht rein durch außermusikalische Vorbilder entstanden.

Mit Holocaust-Opern, „Ground-Zero“-Streichquartetten oder unzähligen „Hommage à ...“-Kompositionen ist der Neuen Musik auch nicht geholfen.

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