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Natürlich ist die Tatsache, dass man schon seit Jahrzehnten im Geschäft ist, immer beides: kulturelles Kapital und schiere Last. Denn Pop ist die Mythen schaffende und destruierende Lust an der ewigen Wiederkehr des Gleichen und die Feier der puren Beschleunigung, des Immer-wieder-neu-Seins, der rückhalt- und voraussetzungslosen Jugend als dem Geheimnis der Gegenwart.

Natürlich ist die Tatsache, dass man schon seit Jahrzehnten im Geschäft ist, immer beides: kulturelles Kapital und schiere Last. Denn Pop ist die Mythen schaffende und destruierende Lust an der ewigen Wiederkehr des Gleichen und die Feier der puren Beschleunigung, des Immer-wieder-neu-Seins, der rückhalt- und voraussetzungslosen Jugend als dem Geheimnis der Gegenwart.Jeder hat „seine“ Zeit; die David Byrnes war die der späten 70er- und frühen 80er-Jahre, als er mit seinen „Talking Heads“ nicht nur die bis dato coolste New-Wave-Version Mainstream-tauglich und pop-kompatibel machte, sondern auch ein definitives Image für die etwas intelligentere Jugend schuf. Bei David Byrne schien plötzlich vereinbar, was immer auseinanderklaffte: Innen- und Außenwelt, vergrübelte Subjektivität und dancefloor-chic, Außenseiter- und Teil-einer-Jugendbewegung-Sein. Byrne war der etwas andere Stadtneurotiker; ein Woody Allen des Pop, der aber bei den Frauen gut ankam. Wo zur selben Zeit am selben Ort der Früh-Punk Lou Reed allmählich zum kulturkritischen älteren Gentleman mutierte, wurde David Byrne zum neuesten blueprint eines fiebrigen Metropolenbewohners, der die Textprotokolle aus dem urbanen Alltag in gewagten Metaphern-cut-ups surreal zu Phantasmagorien einer Gegenwart überhöhte, die immer Himmel und Hölle in einem war, das Nahe und das Ferne, das bestürzend Fremdartige und das vollkommen Vertraute. Aber diese somnambule Balance, eine solche traumwandlerische Einheit der Gegensätze hält nur für einen langen Moment, dann beginnt sie zu kippen, wird „artsy“ oder banal (oder beides!). In den Mitt-Achtziger „True Stories“ erzählte Byrne noch von Texas als befinde es sich hinter den Spiegeln, dann ging er den Weg, den schon viele Pop-Intellektuelle vor ihm gegangen waren: er kooperierte mit Künstlern, schrieb Ballett-Musiken, sonnte sich in Bob Wilsons Ruhm (oder war es umgekehrt?) und begab sich, als er seine Identität endgültig verloren zu haben schien, auf eine revitalisierende „Grand Tour“ durch die dritte Welt, wurde Ethno-Experte und Brasilien-Fan, lange bevor das zum soundsovielten Mal Mode wurde, überraschte mit raren Kollektionen und Solo-CDs. Aber jetzt erst, anno 2001, ist David Byrne auf seiner „road to nowhere“ wieder mitten im Herzen des Pop-Universums angekommen. „Look into the Eyeball“ (Virgin), ist ein nur 38 Minuten langes Wunderwerk kooperativen Geistes: ein multi-referentieller Sound-Kosmos, den Caetano Velosos Arrangeur-Zauberer Jacques Morelenbaum genauso mitgestaltet wie der Geist der Beatles in ihrer Merkwürdigkeits-Phase oder die Mantras eines Van Dyke Parks. Dieses Album, das so „latin“ ist, dass einem selbst die Lyrics plötzlich spanisch vorkommen, das von fern an den Philly-Soul der Stylistics oder O’Jays erinnert und sich vor Country-Reminiszenzen genauso wenig scheut wie vor der Billig-Disco seiner Inititations-Phase, ist wundersamerweise reinster Talking Heads-Stoff, zu Herz gehend und in den Kopf steigend, „Geist und Groove“, wie in so einem Fall die Journalisten zu dichten pflegen.

Howe Gelb ist ein anderer Fall: Wenn Byrne immer Stadt war (selbst im Dschungel Brasiliens), ist er immer Land; wenn der einsame „Egghead“ Byrne stets Anschluss suchte (bei Velvet Underground, bei Yoko Ono, bei John Coltrane, ja selbst bei Charlie Manson, Godard und Marcel Duchamp), dann hockte der unbeirrbare Einzelgänger und Do-it-yourself-Apostel Howe Gelb mitten in seiner Hippie-Künstler-Kommune-Variante im weltverlorensten Arizona und arbeitete unverdrossen an seinem Neverending-Sound-und-Song-Universum aus brüchigsten Gitarrenklängen und wunderbaren Melodien, die noch im kleinsten Satz-Fragment stecken: Howe Gelbs verlorene Welt ist die reichste überhaupt, egal ob er mit Giant Sand oder mit o.p. 8 oder solo spielt; er veröffentlicht in so rasanter Folge, als hätte er noch nie von Marketing- und Mach-dich-rar-Spielregeln gehört; und fast jedes Album aus seinem weit verstreuten, selbst für Aficionados weitgehend unüberschaubaren Œuvre ist ein „must“. Gleich drei Longplayer sind in den letzten Monaten erschienen: der wunderbare „Sand“-Sampler „Selections“ (bei V 2), der Klassiker und Raritäten aus den 90er-Jahren versammelt, gern auch in Varianten und Versionen, wie etwa den von o.p. 8 bekannten Lee Hazlewood-Klassiker „Sand“ in einem Giant Sand-Rough Mix; dann das neueste Einzel-Werk „Confluence“ (Thrill Jockey), bei dem aber Joey Burns und John Convertino oder der „Grandaddys“-Zuwachs in der Gelb-Welt nie ganz fern sind; und, mir fast am liebsten, „Hisser“ (bei Glitterhouse), vermutlich das Album des Jahres – im Sinne von „die Musik an meiner Seite“ –, sehr ruhig, sehr in Moll gestimmt und so suggestiv, dass beim Erklingen dieser Töne nichts mehr ist wie zuvor. Wenn Schopenhauer und Nietzsche mit ihrer These recht haben sollten, dass Musik das „Ding an sich“ ist, das Welt-Innerste, das, was „der Wille“ will und was sich jedem Begriff entzieht, dann kann man es bei dieser Howe-CD erfahren, nicht martialisch, nicht als wagnerisches oder Metal-Marschieren, sondern sehr sanft und vollkommen unwiderstehlich.

Das vollkommene Gegenteil dazu ist Bruce Springsteen: Während der „Boss“, wenn er weitgehend allein und akustisch daherkommt, zerbrechliche Songs für alle Lebenslagen und für die Ewigkeit kreiert (auf „Nebraska“ etwa oder den Geist von „Tom Joad“ beschwörend), verwandelt er sich mit der E-Street-Band an seiner Seite sofort in einen Anabolika-Rocker für Football-Stadien, der die Posaunen von Jericho für einen Bläser-Satz bei voll aufgedrehter P.A. zu halten scheint. Wer sich bei Springsteen schon immer für den Bizeps unter dem Proleten-Karohemd begeisterte, der ist mit der Doppel-CD „Live in New York City“ (Columbia) überoptimal bedient.

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