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Ein Mann wie weiß freilich, dass Kreativität nicht nur Sinn-Produktion bedeutet, sondern auch Montage avanciertester Techniken. Und diese Techniken sind nicht nur reine äußere Mittel, also gegenüber unseren Wünschen und Ängsten gleichgültige Medien, sondern deren stumme Seele: Deleuze und Guattari, die nicht nur das Verständnis der Psychoanalyse beeinflussten, sondern auch das Pop-Universum, beschreiben das Unbewusste als Maschine. In der Musik muss man das hören! Boa nennt auch seine neu formierte Band „Voodooclub“. Aber der Zauber, den er veranstaltet, ist ein digitaler. Alles, was uns bedrängt, ist Fragment, übrig gebliebener oder uneingelöster Rest. Einheit ist nur Schein. Die Wahrheit dahinter ist Montage.

Das Unterbewusste ist eine Art Speicher oder Keller, ein labyrinthisches Durcheinander, das nicht nur aus abgelegten Kleidern, sondern aus dem ganzen verdrängten Lebensgerümpel besteht. Das Unterbewusste ist auch der Ort, wo die Lieder entstehen, die Songs und Sounds. Ein Mann wie Philip Boa weiß freilich, dass Kreativität nicht nur Sinn-Produktion bedeutet, sondern auch Montage avanciertester Techniken. Und diese Techniken sind nicht nur reine äußere Mittel, also gegenüber unseren Wünschen und Ängsten gleichgültige Medien, sondern deren stumme Seele: Deleuze und Guattari, die nicht nur das Verständnis der Psychoanalyse beeinflussten, sondern auch das Pop-Universum, beschreiben das Unbewusste als Maschine. In der Musik muss man das hören! Boa nennt auch seine neu formierte Band „Voodooclub“. Aber der Zauber, den er veranstaltet, ist ein digitaler. Alles, was uns bedrängt, ist Fragment, übrig gebliebener oder uneingelöster Rest. Einheit ist nur Schein. Die Wahrheit dahinter ist Montage. Die Boa-Songs auf „My Private War“ (auf RCA/Victor) sind an der Oberfläche einfach: Melodien („für Millionen“) zum alltäglichen Mitsummen, Harmonien, in denen man versinken kann. Aber die Realität der Songs, gewissermaßen ihre „Hardware“, ist pure Raffinesse: ein vertracktes Ineinander der Sounds und vor allem der Rhythmen. Nietzscheanischer Pop, der weiß (und damit spielt!), dass selbst das, was uns vollkommen natürlich erscheint, hergestellt ist. Dazu passen dann die Lyrics, die sehr oft diabolische Litaneien sind, Aufzählreime, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen können. Boas Spezialität sind Love-Songs, die nicht unschuldig sind, sondern schräg und beschädigt. In jedem Wunsch verbirgt sich eine Wunde: Alles, was neu beginnt, ist nur das Resultat von etwas anderem, das irgendwann endete. Boas Suggestivität rührt daher, dass er beides ist: schamlosester Pop-Populist und vergrübelter Avantgardie, der die Erfindungen benachbarter Genres und Medien nutzt. Jeder Boa-Song ist immer auch ein Hörspiel, ein tönender Essay, ein subsonisches Bekenntnis. Authentisch ist für ihn all das, was er assoziiert.

Wie Beck Hansen (Besprechung seiner neuen CD auf S. 19), dessen Generationen-Hymne „Loser“ ursprünglich nur in einer limitierten, einmaligen 500er-Auflage herauskommen sollte, ist Alanis Morissette das Faszinosum einer Bohémienne aus dem Underground, die sich plötzlich im Herzen des Mainstream wiederfindet. Wo freilich Beck irritierend und irisierend ist, ist Alanis Morissette selbst in der Revolte noch politisch und sexuell „korrekt“: sie klagt ein, was Teil des ur-amerikanischen Traums war und verraten wurde. Sie tut es ungeschminkt, in jeder Hinsicht. Sie verkörpert die „roots“, auf die man sich gerade im vergleichsweise wurzellosen Amerika von Zeit zu Zeit besinnen muss, wenn man nicht verloren gehen will.

Ihr Mega-Erfolg lässt sich, auf paradoxe Weise, mit dem von Springsteens „Born in the U.S.A.“ vergleichen: an der Oberfläche natürlich „links“, untergründig aber ein Bedürfnis befriedigend, das auch die Konservativen im Herzen tragen. Jetzt, nach den beiden schlagzeuggetriebenen, durch und durch elektrifizierten Multi-Millionen-Studio-Alben, nimmt Alanis Morissette das Tempo und die Energie, sofern sie rein äußerlich sind, ein wenig zurück, und singt ihre großen Hits und drei noch unveröffentlichte Lieder „unplugged“, gewissermaßen graswurzelmäßig, wenn auch in einer MTV-Show. „Alanis Morissette, MTV Unplugged“ (bei WEA) zeigt sie als Klassikerin, sozusagen als Volksgut im Internet-Zeitalter. Hörenswert!

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