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„Kampf um die deutsche Seele“

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Die Ausstellung „Entartete Musik“ in Berlin und Düsseldorf
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Manche Jubiläen sind kein Grund für freudige Feiern, sondern sie mahnen zurück: aus der Vergangenheit in die Zukunft hinein. Dazu gehört auch die Musik. Knapp 70 Jahre nach Eröffnung der Ausstellung „Entartete Musik“ wird nun zum zweiten Mal in einer Art kommentierter Rekonstruktion dieser nazistischen Peinlichkeit in Kunst und Politik gedacht. Zurzeit ist diese kleine Ausstellung zu Gast im Foyer der Philharmonie Berlin (bis 31.12.2007). 2008 wandert die Ausstellung nach Düsseldorf, in die Tonhalle, also den Ort, in dem 1938 die nazistische Propaganda einen prominenten Ausstellungsort fand (25. Januar bis 10. März).

Bei dieser, von Albrecht Dümling revidierten Neufassung des gleichen Vorhabens aus dem Jahr 1988, wurde der Schwerpunkt ein wenig verlagert. Insbesondere Jazz und Operette werden nun als Gegenstand der nazistischen Kulturpolitik in den Vordergrund gestellt. Daneben wurden einige neue Entdeckungen und neue Forschungsergebnisse publiziert. Der Katalog zur Ausstellung umfasst 368 Seiten und ist für 12 Euro unter dem Titel „Das verdächtige Saxophon – ‚Entartete Musik‘ im NS-Staat“ zu erwerben. Eine unbedingt lohnende Lektüre. Nicht nur ist nach dem aktuellen Forschungsstand die Rolle des Machers, Hans Severus Ziegler, klarer bestimmbar, auch über herausragende Persönlichkeiten wie Hindemith bekommt man ein klareres Bild. Aber vor allem geht es um die Bedeutung der im weitesten Sinne als Unterhaltungsmusik bezeichneten Musik. Guido Fackler geht dem Jazz unter dem Titel „Jonny spielte doch auf! Jazz im ‚Dritten Reich‘“ nach und Kevin Clarke fragt nach: „Gefährliches Gift. Die ‚authentische‘ Operette – und was aus ihr nach 1933 wurde.“

Anders als noch bei der Gestaltung der Ausstellung 1988 stehen nun auch audiovisuelle Hilfsmittel zur Verfügung, wie beispielsweise die „Audio-Guides“ (allerdings nur in der Besuchszeit am Nachmittag). Ansonsten steht so eine Form der Ausstellung, die sich in Wänden (auf Tafeln und Bildschirmen) und Vitrinen präsentieren muss, immer etwas in Gefahr, belehrend wirken zu wollen, schwierige und differenzierte Zusammenhänge auf Formeln bringen zu müssen. Und damit wächst die Gefahr, genauso, wie es die „Ur-Ausstellung“, Entwicklungen auf Momente, Dokumente auf Tatsachen herunterzubrechen. Schon deshalb kommt man um die Lektüre des Katalogs nicht herum. Der Versuch, die Originalform der Ausstellung am Ende des Ganges nachzubauen, mit all den orthografischen Fehlern, kann diese Problematik auch nicht aus dem Weg räumen. Gleichwohl finden sich an mancher Stelle, geradezu rührende Dokumente wie eine von seinem Sohn selbstgeschnitzte Zigarettenschachtel des Komponisten Erwin Schulhoff. Vor allem auf den dritten und vierten Teil des Katalogs ist besonders hinzuweisen, in dem es um Klassiker-Missbrauch am Beispiel Bruckners, um die „Arisierung der Gefühle und Joseph Goebbels‘ Kampf um die deutsche Seele“ geht.

Die Ausstellung 1938 selbst wurde jedoch, was vielleicht nicht jeder weiß, anders als diejenige zur Kunst, propagandatechnisch tief gehängt. Es gibt Anweisungen des Propagandaministeriums, nicht gerade auf Seite eins über dieses Thema zu reden. Denn, der Logik der damaligen Macher folgend, wäre schließlich fast die ganze deutsche Musikkultur zum Totalzusammenbruch verurteilt worden, gerade auch im Bereich der unterhaltenden Musik. Das wäre aber kulturpolitisch über das Ziel hinausgeschossen gewesen. Albrecht Dümling ging so weit, zu sagen, dass die Nazis schließlich Opfer ihrer eigenen Rassetheorie geworden seien. Neu dem Katalog beigelegt ist auch ein Mitschnitt der Rede des Nazi-Ausstellungsmachers Hans Severus Ziegler auf CD: ein Dokument rhetorischer Langeweile und inhaltlicher Dummheit, kaum zu ertragen.

Eindrücklich sind dagegen die Äußerungen zeitgenössischer Komponisten zum Thema „Entartete Musik“. Jemand wie Wolfgang Rihm reizt die Provokation bis in die Gegenwart hinein, wenn er 1987 schreibt: „Die Selektion funktioniert bereits freiwillig: die zur Rezeption fähigen Menschen werden solange auf qualitativ Niederstehendem beklebt, bedröhnt, beschossen, bis sie das auch wollen, was ihnen gewährt wird. Somit ist es gelungen, das Sensorium für anderes lahmzulegen. (…) Provokant formuliert: der Begriff ‚Entartung‘ wird heute nicht etwa deswegen gemieden, weil wir so demokratisch, liberal, offensinnig, geschichtsbewußt et cetera geworden wären, sondern weil er nicht mehr angewendet werden muss.“ Wie sehr er damit Recht behalten hat, zeigen leider die Entwicklungen im Medienmarkt, auch dem öffentlich-rechtlichen, geradezu sich selbst überschlagend.


Berlin, Philharmonie, 3.11.–31.12.2007,
15–18 Uhr werktags, 11–14 Uhr am Wochenende.
Düsseldorf, Tonhalle, 25.1.–10.3.2008. Sonderführungen auf Anfrage.
Katalog, hrsg. von Albrecht Dümling, Das verdächtige Saxophon, 12 Euro mit CD.
Tondokumentation „Entartete Musik“, 4 CDs, 30 Euro (POOL).

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