Stacheldraht ist hierzulande ästhetisch, die Konzerte unsere Versicherung des Friedens. Dort: Ziegen haben die Herrschaft übernommen, staksen gemächlich durch die Ödnis. Niemandsland zwischen Militärparade und Gameboy. Bilder der ersten Szenerie aus dem geteilten Zypern. Absperrband gibt es auch bei diesem mitunter bizarren Festival für zeitgenössische Musik. Nicht ganz zufällig, denn Neue Musik ist Kunst und bleibt ein Eigenes. Individualität ist verknüpft mit dem Besitz, Matrix ein fruchtbares Gewebe.
Mikrofone, Lautsprecher, Schein- werfer, Mischpult, Projektor, Laptop und Kabel sind Dinge der zweiten Szenerie (auch sie ein Mutterboden). Es scheint eine gelungene Bevölkerung des Raumes. Zwei Kameras observieren die Vorstellung, machen es dem Publikum gleich: Kunst als bespanntes Revier.
In der Verlängerung des Absperrbandes befindet sich ein Weg, als dessen Konsequenz eine Maultrommel aufgelegt ist: der Stacheldraht. Péter Köszeghys Aktion „Zaun“ (Pieta) ist wie er selbst dick befrachtet (Viel nackte Haut wurde versprochen, ein großer Bauch ist da, blau angeleuchtet). Das Rauschen der PA hebt an, ein technisches Problem wird gelöst, ein digitaler Zeigefinger erscheint auf der Wand, die Klänge des primitiven Instrumentes werden elektronisch verzerrt. Mit dem Stacheldraht im Konzertsaal ist dies durch TV und Foto längst geschehen.
Ganz weich im Wind dagegen Yoshihisa Tairas „Synchronie“ für zwei Flöten. Ein asiatischer Atem, vital und virtuos. Verbunden ist die Sprache der Natur mit der des Menschen. Die Flöte ist Instrument dieser Meditation.
Auch Sergej Newski hat komponiert. Titus Engel und das Ensemble Courage wissen, wie seine „Figuren im Gras“ moduliert werden müssen. Ganz spärlich und vollkommen dynamisch. Absturz oder Zug, immer an der Grenze. Alles muss verschoben werden.
Als Köszeghy wiederkommt, gibt er „Sexus-Nexus-Plexus“. Er selbst bezeichnet sich als gesellschaftskritischen Klangkünstler grenzüberschreitender Hörerlebnisse und soll nach dem Willen der Festivalmacher zur Verhandlung der Erotik beitragen. Mit weißem Tuch und orangenem Plastikeimer behängt, irrt er in die Mitte des Saales. Reißt, schmiert rotfärbend, geht zum Notenpult und beginnt zu grunzen. Ein Lehrstück für die Verpackung eines Schreies. Es klingt nach Krieg, dabei ist Frieden ausgebreitet. Wenn ein Künstler schreit, verblutet keine Welt (nur noch angemalt möglich). Statt herzkranker Haft Kapital zum ausdefinierten Saft (für Tonband).
Wie auch der Abschluss des Herbstfestivals für klingende Kunst am 5. Dezember zeigte, war die Veranstaltungsreihe durchgehend vor allem von der Schnittstelle zwischen Musik und Medienkunst inspiriert. Bei Konzerten, Installationen, Soundscapes und Ausstellungen wurden mit den Motiven nature, home, erotic, east und religion über acht Wochen und an verschiedenen Orten verzahnende und kontextuierende Hintergründe für die Wahrnehmung von Kunst angeboten. Dabei gelang dem künstlerischen Leiter Thomas C. Heyde ein multiperspektivisches Spektrum. Mit globalem Blick auf Etabliertes und Rares (Lachenmann, Gubaidulina, Ikromova) gleichermaßen, Einladung für radikale Grenzgänger (Nicolai, Cortes) sowie Reminiszenz an das reiche sächsische Fundus (Ensemble Courage, F.Schenker, B.Franke) ist ihm und dem Forum für zeitgenössische Musik Leipzig eine wundervolle Ausstaffierung des dichten künstlerischen Horizontes gelungen und eine mutstraffe Position glücklich bezogen. Wer wagt, gerät.