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Leonid Sabaneev. Foto: Genuin classics
Leonid Sabaneev. Foto: Genuin classics
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Kammermusikalisches Juwel

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Ein Gespräch mit den Entdeckern der Klaviertrios von Leonid Sabaneev
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Im Jahr 2005 begründeten der Pianist Michael Schäfer und die Geigerin Ilona Then-Bergh beim Leipziger Label Genuin classics die CD-Reihe „Unerhört“. Das erklärte Ziel der Reihe war und ist es, substanzielle Klavier- und Kammermusik unentdeckter, unbekannter und „unerhörter“ Komponisten nicht nur auf CD zu bannen, sondern idealerweise für das Repertoire zu gewinnen. Im Februar 2012 ist ihre neue CD mit den Klaviertrios des aus Russland stammenden Komponisten und Musiktheoretikers Leonid Sabaneev erschienen, auf der die beiden von dem Cellisten Wen-Sinn Yang begleitet werden (GEN 12236). Diese Ausgrabung ist mehr als „nur“ eine Trouvaille. Vor allem Sabaneevs zweites Klaviertrio op. 20 aus den Jahren 1923/24 ist eine Entdeckung musik­historischen Ausmaßes. Die nmz sprach mit Michael Schäfer und Ilona Then-Bergh über ihr Projekt.

neue musikzeitung: Als Sie 2005 die Reihe „Unerhört“ ins Leben riefen, hatten Sie da schon eine Vorstellung davon, was dort alles erscheinen könnte? 

Michael Schäfer: Wir hatten schon viele Ideen. Manche waren noch gar nicht konkret, wir wollten es nicht auf eine bestimmte Besetzung festlegen, wussten aber: Klavier- und Kammermusik sollte es sein. Seit vielen Jahren interessieren uns die weniger ausgetretenen Pfade. 

nmz: Wie schwer ist es, unbekannte Werke zu finden?

Ilona Then-Bergh: Es ist ehrlich gesagt nicht schwierig, unbekannte Stücke zu finden, die überhaupt niemand spielt. Letztlich ist ja wahnsinnig viel geschrieben worden, und von dieser Fülle sind 99 Prozent zu Recht vergessen. Aber es ist ja wirklich die spannende Aufgabe das eine Prozent herauszufischen, für das sich die Suche lohnt.

Schäfer: Gerade in der Zeit der Romantik gibt es viele Kleinmeister und Werke, bei denen man merkt: Das ist nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut. Vor allem im Umfeld von Brahms – Herzogenberg, Kiel, Kahn – gibt es diese zwar handwerklich solide gemachten, aber eben nicht „unerhört“ guten Sachen, die uns letztlich interessieren. 

nmz: Wie gehen Sie vor bei Ihrer Suche nach verschollenem Kulturgut? 

Then-Bergh: Wir sind ständig auf der Hut, gehen in Antiquariate oder schauen im Internet, in welchen Bibliotheken interessante Werke sein könnten. Manchmal spricht einen der Name auf den Noten an, mal kennt man schon den Komponisten und weiß aber nicht, dass er ein Stück für Violine und Klavier geschrieben hat. Zu Hause spielen wir die Neuentdeckungen durch und schauen, was dahinter steckt und sich uns eröffnet. 

Schäfer: Aber trotz aller Erfahrung – es gibt auch viele Nichttreffer. Erst ist man stolz, endlich die Noten in der Hand zu halten und dann schlägt man sie auf und beim ersten Blick sieht man: Oh nein, das ist ganz furchtbar. 

nmz: War Ihre Entdeckung der Sonaten von Grigorij Krein und Samuil Feinberg  (GEN 11203) ein Zufallsfund? 

Schäfer: Ich war schon immer ein großer Verehrer von Skrjabin und hielt ihn lange Jahre für einzigartig, aber das stimmt gar nicht. Sein Schülerkreis, den er beeinflusst hat, ist später im Stalinismus einfach unterdrückt worden, weil er sehr viele jüdische Freunde hatte. Das waren alles Leute, die damals ziemlich verrückt komponiert haben. 

nmz: Lassen Sie uns jetzt über Leonid Sabaneev sprechen. Seine Trios sind tatsächlich eine unerhörte Entdeckung…

Schäfer: Ja, das ist ein Treffer, den man nicht jedes Jahr machen kann. Sabaneev war eine Folge von Krein und Feinberg, auch er gehörte zum Kreis um Skrjabin. Ich hatte mir Bücher besorgt über die Zeit und die mystische Musik Russlands in den 20er-Jahren. Da wurde Sabaneev als Kritiker und Musiktheoretiker erwähnt. Dann haben wir recherchiert und gesehen, dass er auch etwas komponiert hat, unter anderem zwei Klaviertrios. Die Berliner Staatsbibliothek Unter den Linden hatte diese beiden Trios zum Glück auf Mikrofiche. 

Then-Bergh: Wir haben sie erst einmal zu zweit gespielt, wir können ja nicht den Cellisten fragen, bevor wir selbst nicht davon überzeugt sind.

nmz: Wie lange mussten Sie die Stücke proben? 

Then-Bergh: Man braucht natürlich lange, bis man solch ein Werk verstanden hat. Bis man auch rhythmisch klarkommt – das ist einfach ein Prozess, den man durchschreiten muss und der sich auch nicht abkürzen lässt. Daran erkennt man auch die Qualität des Stückes. 

Schäfer: Ich spüre in dem Werk eine unendliche Trauer darüber, dass man eigentlich nicht mehr so romantisch schreiben kann, wie man möchte. Hinzu kommen die grauenvolle Situation im Russland der frühen 20er-Jahre, die Hungersnöte und die politischen Umstürze. Dieses Werk – und das ist für mich das Faszinierendste daran – ist ja im konventionellen Sinne gar nicht atonal, es hat vielmehr eine kaputte Tonalität, und dazwischen kommen immer wieder Stellen, die so weich und abgehoben schön sind. Danach geht es wieder so schrecklich weiter.

nmz: Was wissen die Musiklexika über Sabaneev? Ich weiß nur, dass er für den 1912 von Wassily Kandinsky und Franz Marc herausgegebenen Almanach „Der Blaue Reiter“ einen Aufsatz mit dem Titel „Prometheus von Skrjabin“ geschrieben hat. 

Schäfer: In der alten MGG steht nicht viel, in der neuen nur etwas über sein Leben. Er hat ja Mathematik und Physik studiert, dann kam er in den Kreis von Skrjabin hinein. Er hat tolle Theorien aufgestellt, etwa zur Unterteilung der Oktave in 53 Teiltöne als Zukunft der Musik.

Then-Bergh: Nach der Oktoberrevolution besetzte er zentrale Machtpositionen in der Kulturpolitik. Er hat dann ein musikwissenschaftliches Institut begründet und war der Oberkritiker der Prawda.

nmz: War er linientreuer Kommunist? 

Schäfer: Wahrscheinlich schon. Er hat damals auch diese mythische Avantgarde-Musik sehr befördert und war der einflussreichste Funktionär der neuen Regierung. Kurz, nachdem er das Trio geschrieben hatte, ist er Hals über Kopf geflohen. Wahrscheinlich hat er irgendeinen Tipp gekriegt und ist zuerst nach Dresden und dann nach Frankreich gegangen. Da hat er noch bis 1968 gelebt. In Lyon gab es ein Lyzeum für Exil-Russen, wo er noch eine Weile unterrichtet hat. Später verliert sich die Spur kompositorisch. 

Then-Bergh: Ich habe gelesen, dass er noch ein großes Oratorium über die Johannes-Offenbarung in Arbeit hatte. Das letzte Werk, das von ihm gedruckt wurde, ist aber das zweite Klaviertrio, und das auch erst 1932. Ansonsten hat er 15 Opera Klavierwerke komponiert, die wir uns jetzt alle besorgt habe, sehr interessante Stücke…

nmz: Die beiden Klaviertrios werden von Ihnen und Herrn Yang auf der CD kongenial interpretiert, trotzdem spürt man als Hörer förmlich die enormen spieltechnischen und intellektuellen Herausforderungen, die vor allem das zweite Trio bereitet. Worin genau bestehen diese Schwierigkeiten?

Then-Bergh: Das Trio ist völlig außergewöhnlich. Man hat beim Spielen vom Blatt gewisse Muster, aber nach diesen funktioniert das Trio nicht. Wenn jeder für sich alleine seine Stimme vom Notenblatt spielt, dann macht es eben wenig her. Auf der anderen Seite kann man sich auch nicht einfach zusammensetzen und sagen: Wir spielen das jetzt mal durch – so erschließt sich dieses große Werk nicht, man muss dafür sehr viel üben. 

Schäfer: Das Trio ist auch am Klavier sehr schwer vom Blatt zu spielen. Es sieht ja tonal aus und dann denkt man dauernd, man hat sich verspielt und fragt sich, warum ist das so? Und erst allmählich kommt man dahinter, dass dieser Effekt gewollt ist und man versteht es plötzlich. 

Then-Bergh: Es ist auch für die Streicher wirklich sehr anstrengend. Man muss bereit sein zu akzeptieren, dass hier viel über die Klavierstimme läuft. 

nmz: Sabeneevs zweites Klaviertrio gehört meiner Ansicht nach in die Reihe der ganz großen Werke, die im 20. Jahrhundert für diese Gattung geschrieben worden sind. Was erhoffen Sie sich von der Veröffentlichung eines solchen kammermusikalischen Juwels? 

Schäfer: Wir wünschen uns natürlich, dass dieses Werk den Weg ins Repertoire findet.

Then-Bergh: Am Schönsten wäre es natürlich, wenn Reclams Kammermusikführer unseretwegen neu geschrieben werden müsste (beide lachen). 

Interview: Burkhard Schäfer 

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