In elegantem Rosa fällt das Licht und streut auf einen jungen Mann. Dieser sitzt an einem mit beinahe unsagbaren Utensilien belegten Tisch und gibt ein hochkonzentriertes Spiel.
„Sinebag“, unter bürgerlichem Namen Alexander Schubert in Leipzig lebend, produziert eine Musik wirklich pitturesken Hörens. Ein verweisungsträchtiges Netz aus Klang-, Objekt- und Bildkunst sowie Poesie gilt es zu entdecken. Mittels kleiner Kontaktmikrophone äußert sich etwa eine Luftverpackungsfolie über Laptop-generiertem Reverb, eine kleine Plastikdose mit Nägeln über Distorsion und eine pappige Schachtel Reis über ein Delay. Den Klang eines braunen Backgammon-Spiels schöpft dieser eigentümliche Musiker, Steinchen und Würfel auf verschiedenen Böden werfend, aus. Agrar und Anbau einer Musik auf dem Spielbrett. Als „sinebag“ plötzlich auf einem Kissen oder einer Matratze herumhüpft, werden diese physischen Impulse durch Gesangsmikrophone zu einem digital programmierten Tonhöhenmodulator weitergereicht. Die Handhabung der Effekte erfolgt mit einem Regler am Keyboard. Das Ganze ist sorgfältig inszeniert und eingeleuchtet. So gelingt es „sinebag“ die magische Bereitschaft der Dinge zu offenbaren, zu wirbeln, sie zu ekstatuieren. Ein bisschen Freejazz für das 21. Jahrhundert. Oder wie Steve Beresford: Gegenstände berühren. Der Welt entnimmt „sinebag“ so eine ganz eigene Ausstattung. Wird diese Musik als postmoderner Entwurf diskutiert, fällt auf, dass der Autor in der Massenkultur des Pop nicht etwa verschwunden, sondern bloß digital verrückt ist.
Was live spielerisch passiert, ist zum Einen Ernte täglicher Kompositionsarbeit, hinsichtlich struktureller Gestaltung und der Erforschung von Klängen, zum Andern Grund gelegt durch den schieren Möglichkeitsraum digitaler Kultur. Was im 20. Jahrhundert die Tendenzen der Neuen, die Innovationen der improvisierten und das Revolutionäre der elektronischen Musik fuhr, gerinnt hier zu einem in dieser Stärke unerwarteten individuellen Wurf. Im autodidaktischen Umgang mit Musik ist „sinebag“ ein Konzept gelungen, welches das Potential besitzt zur Neudefinition des Verhältnisses von Natürlichem und Menschengemachtem, welches sich als Aktualisierung sinnlichen Bewusstseins und zugleich als Aktualisierung künstlerischer Erkenntnis fassen lässt. Leichte organisch-naturale Sphären, Wald und leise Tritte versammeln sich in einem Raum mit dem Geräusch derzeitiger Kommunikationsmittel. Am intensivsten ist dies „sinebag“ bisher bei „Milchwolken in Teein“ gelungen. Die 50-minütige Musik ist 2003 von dem Berliner Label „Pulsmusik“ verlegt. Als Pendel zwischen organischen und elektronischen Klängen stiftet das Album Verwandtschaft zwischen Vögeln, Gitarre, elektrischer Orgel und digital synthetisierten Klängen. „sinebag“ stiftet einen Raum für gegenwärtige Erfahrung. Naturgeräusche landen als Nullen und Einsen im Laptop. Sie werden digital vermittelt und im Spannungsfeld von selbst gefertigten Instrumenten wahrnehmbar gemacht und kreativ hinterfragt. Die Virtuosität instrumentalen Spiels scheint an einen zarten, fragilen Endpunkt angelangt. Eine Reduktion, deren Aktualität als musikalische Strategie unlängst auch Peter Niklas Wilson auffiel. Wesentliche Kontur bekommen die Kompositionen, wenn sie sich zu Text und Bild verhalten. Neben konventionellen Bildtypen, produziert „sinebag“ sowohl bildnerische Arbeiten, die experimentell in den öffentlichen Raum eindringen, als auch speziellere Versuche zu bildnerisch-klanglichen Intermedialität. Zarte Lyrik, oft schwach mit Blei oder Pastell auf den Grund gelegt, kommentiert die Verwendung der Instrumente und die subtile Wahrnehmung – respektive Konstruktion – der Klänge. Dabei überschwimmen Worte in klangliche Texturen, umspielen Wörter Noten.
Verlässt „sinebag“ sein digital-technisiertes, aber ebenso von Naturfarben und -reliquien durchzogenes Experimentallabor, so begibt er sich wahrscheinlich als Alexander Schubert an die Universität Leipzig und pflegt wissenschaftlichen Umgang mit dem Doppelstrom, der allgegenwärtig sein künstlerisches Schaffen durchdringt, bringt biologisches und informationstechnisches System zusammen.
Labelchef Patrick Amelung arbeitet selbst als „Trikband“ an einigen interessanten elektronischen Kompositionen, die im MP3-EP-Format im Internet erscheinen. Auf die Wurzeln des Konzeptes „Pulsmusik“ hin gefragt, verweist Amelung, studierter Mediendesigner, gerne auf Morton Feldman oder Ornette Coleman hin, auf ihre revolutionäre Befreiung des Rhythmus. Dabei mag man Feldmans Verwendung repetetiver Strukturen weniger als Gegenpol zur gegenwärtigen, auf reproduktive Organisation basierende populäre Musikkultur betrachten, sondern eher als deren Vorreiter. „Pulsmusik“ von Schubert aber ist so eigenständig, dass sie sich auch mit der schweizerischen Saxophon-Avantgardefigur Urs Leimgruber auf der Bühne treffen kann.