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„Ich will berühmt werden, doch wie?“

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Herausforderungen an Bühnenkünstler in Ausbildung und Praxis
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Bühnenkünstler sind Solisten oder Ensemblemitglieder mit herausragenden Qualitäten vokalen oder instrumentalen Könnens. Andere Bühnenkünstler der nichtmusikalischen Abteilung müssen sich ähnlichen Herausforderungen stellen. Aber wie geht das überhaupt: Karriere machen?

Dazu eine Fragestellung (im Originaltext) im Online-Forum „gutefrage.net“ mit dreieinhalb Millionen Mitgliedern: „hallo leute, ich bin Jenny, ich liebe singen und meine freundinnen sagen das ich auch gut singe aber ich weiß nicht wie ich berühmt werden kann. ich willl es unbedingt. meine eltern lassen mich auch zu keine casting shows. hat einer von euch eine idee? also wie gesagt ich möchte umbedingt sängerin werden ich kann sehr gut singen und hab viel talent aber ich weiß nicht wie ich damit berühmt werden kann bei suprtalent usw. lassen mich meine eltern nicht teilenehmen und mein vater hält nichts vom singen(ich soll ärztin oder lehrerin werden haltsowas in der ahrt ) -.-“ aber mir ist das sehr wichtig mein lebenswunsch ist es sängerin zu werden.... habt ihr eine idee was ich da machen kann?? :/ bin 14 jahre alt :)“

Also, liebe Jenny, da fangen wir doch mal ganz von vorne an. Dazu habe ich zehn Kapitel verfasst. Los geht’s:

1. Kindheit, Elternhaus, Schule

Es könnte schon mal sehr nützlich sein, wenn du in eine musikalische Familie hineingeboren wurdest. Dein musikalisches Gehör entwickelt sich nur dann gut, wenn deine Eltern viel mit dir singen – und zwar richtig und sauber intoniert. Am besten täglich. Das Gleiche gilt natürlich für das Singen mit Kita-Betreuerinnen, Kindergärtnerinnen, Tanten und Onkeln. Die alle sollten aber wissen, dass Kinder höher als Erwachsene singen. Du lernst, wie ein regelmäßiger Takt funktioniert und dass es Lieder im Dreiviertel- oder Viervierteltakt gibt. Die ganzen Texte lernst du automatisch auswendig.

2. Schule, G8, Musikunterricht

Wenn du dann in die Schule kommst, wird es schon schwieriger: Da wird kaum noch gesungen, meistens, weil die Lehrer/-innen sich nicht trauen, besonders aber, weil gar keine Zeit ist, schon gar nicht in der Ganztagsschule. Womöglich möchtest du auch Klavier oder Geige lernen. Doch wann wirst du Unterricht haben? Abends, samstags, sonntags? Und klar: Wenn du um 16.30 Uhr von der Schule heimkommst, hast du keinen Bock mehr, dich mit einer Gitarre oder Klarinette abzuquälen. Wenn Du ganz viel Glück hast, gerätst Du aber an ein Musikgymnasium. Da gibt es mehr Zeit für Musik, da gibt es schon Musiktheorie und Gehörbildung, Einzelunterricht und Chor und Orchester.

3. Charakterliche Bedingungen

Falls du nun ein Instrument gut spielen kannst oder, wie du schreibst, “gut singen kannst und Talent hast“, dann wollen wir mal sehen, wie‘s mit deiner Persönlichkeit und deiner psychischen Stabilität aussieht.
Erträgst du es, wenn andere mehr Applaus als du bekommen? Bist du eifersüchtig auf die, die höher singen können als du? Zittern deine Knie vor einem Auftritt? Hast du Angst, den Text zu vergessen oder eine schwierige Passage nicht zu schaffen? Erträgst du es, ausgelacht zu werden? Wie gehst du damit um, dass dich möglicherweise mal 200 oder gar 10.000 Augen anstarren? Erträgst du es, dass du scheinbar umsonst und erfolglos übst? Bist du bereit, nicht zu wissen, ob du vielleicht im nächsten halben Jahr arbeitslos bist? Und was sagst du deinem Vater, der dich lieber als Ärztin sehen will? Hältst du das aus? Na, dann wenden wir uns mal den Möglichkeiten eines Studiums zu.

4. Studium, Konkurrenz

Du kannst nun, liebe Jenny, die Aufnahmeprüfung auf eine der 24 Musikhochschulen in Deutschland machen. Oder auf eine Hochschule im Ausland, doch dort zahlst du hohe Studiengebühren. Bei uns stehst du unter den Sängern in Konkurrenz zu 53 Prozent Ausländern. Und eins ist auch klar: Wenn du nun Abitur hast und kommst an eine Hochschule, da bist du circa 18 Jahre alt und hattest möglicherweise drei Jahre lang ein bisschen privaten Gesangsunterricht. Deine Konkurrenz aus Südkorea, China oder Russland aber ist schon 20 bis 22 Jahre alt und wurde extrem gedrillt, sodass deine Chancen, besonders als Sängerin, verschwindend gering sind. Denn auch deutsche Hochschullehrerinnen und -lehrer sind oft nicht uneitel und bevorzugen Studierende, die die vermeintlichen Qualitäten der Unterrichtenden nach außen tragen. Falls du also irgendwo aufgenommen wurdest, hast du ein oder zwei Stündchen Gesang pro Woche. Empfehlenswert ist, dass du auch bei anderen Gesangslehrer/-innen reinschaust. Es kann gut sein, dass du dann zum Schluss kommst, zu wechseln. Und du solltest natürlich eine passende Klavierbegleitung haben, für Semesterkonzerte und Prüfungen. Weiter geht‘s dann mit einer Spezialisierung, z.B. Lied, Oratorium, Oper oder Musical. Für gescheit halte ich es auch, während des Studiums schon Meisterkurse zu besuchen. Und auch der eine oder andere Musikwettbewerb bietet sich an:

5. Wettbewerbe, Bewerbungen, Homepage

Du hast vielleicht einen respektablen Master-Abschluss an deiner Hochschule hingelegt. Super. Und nun? Tja, jetzt kommen die Vorsingen oder Vorspielen. Du willst an die Oper? Nein, da kannste nicht einfach anrufen. Da kriegst du einen Vorsingtermin nur über eine Agentur, wobei man sehr aufpassen muss, dass man nicht abgezockt wird.
Mit den Wettbewerben ist‘s auch so eine Sache: Beim ARD-Wettbewerb 2015 in München waren 74 Sängerinnen und Sänger zugelassen, darunter 16 aus Deutschland. Alle Deutschen flogen raus.
Vielleicht hast du aber auch Glück und warst in einer Opernklasse in Verbindung mit einem Staatstheater oder in einem Opernstudio. Und vielleicht hat ein Zuhörer dank seiner Verbindungen einer Opernagentin gesteckt, dass es da eine auffällige Sängerin gibt, die mit einer Supertechnik, einer charismatischen Ausstrahlung, einer engelsgleichen Stimme und einem musikalischen Reichtum die Hörer vom Hocker reißt. Dann könnte das klappen mit einem Vorsingen an einem Staatstheater oder einer städtischen Bühne.
Selbstverständlich solltest du schon längst eine ansprechende Homepage mit Porträtfotos haben, auf der man etwas über dich erfährt. Und falls du einen komischen Namen haben solltest, könntest du dir auch einen Künstlernamen zulegen.

6. Vorsingen, Vorspielen, Agenturen

Bist du nun in der glücklichen Lage, eine Konzertagentin oder einen Opernagenten gefunden zu haben, so kriegst du einen Vorsingtermin, darfst im Betriebsbüro deine Unterlagen und deine Repertoireliste abgeben und dann mit weichen Knien auf die Bühne. Leere Bühne, leerer Orchestergraben, immerhin steht da ein Klavier. Und an diesem sitzt ein Korrepetitor, den du nur gerade kurz gesehen hast, als du ihm die Noten übergeben hast. Nein, zum gemeinsamen Üben war keine Zeit. Das muss jetzt so klappen!
Das ganze Opernhaus ist dunkel, nur ein Licht für dich auf der Bühne und ein Lichtlein ans Klavier geklemmt. Aus dem Zuschauerraum tönt eine Stimme. „Ich begrüße Sie, was haben Sie denn mitgebracht? Aha. Womit wollen Sie anfangen? Gut, bitteschön.“ Und da stehst du nun herum, schaust kompetent und wichtig ins Dunkel und singst um dein Leben. Vom Klavier ist fast nichts zu hören. „Haben Sie auch was Schnelles, mit Koloraturen? Gut, bitteschön“. Unterbrechung nach zwei Minuten: „Danke, jetzt noch ein Stück Verdi“. Wieder Unterbrechung nach einer Minute: „Danke, das genügt. Rufen Sie uns nicht an, wir rufen Sie an.“ Aha. Und tschüss.

Das, liebe Jenny, musst du aushalten. Dranbleiben ist angesagt. Und Glück braucht man. Nehmen wir aber mal an, dass alles gut gelaufen ist.

7. Kollegen, Dirigenten, Regisseure und andere

Willkommen im Ensemble des Opernhauses! Am schnellsten findest du die Kantine. Interessante Leute gibt‘s hier: Beleuchter, Maskenbildner, Orchester- und Chormitglieder, Waffenschmiede, Leute in der Verwaltung.
Die ersten Proben stehen an, noch mit Klavierbegleitung. Du musst eine Opernpartie singen in italienischer Sprache, in sechs Wochen ist Premiere. Danach eine Rolle auf Deutsch, in vier Monaten eine auf Französisch, Ende der Saison eine Oper in Altägyptisch, das ist „Echnaton“ von Philipp Glass. Zwischendurch wurdest du für ein Requiem in lateinischer Sprache von einem Kirchenchor gebucht. Der „Messias“ mit einem anderen Chor wird auf Englisch gesungen. Du siehst: Sprachen sind sehr wichtig. Sonst wird das nix mit einer Karriere.
Die meisten Kolleginnen und Kollegen sind ganz nette Leute und prinzipiell auch sehr solidarisch. Das kann aber auch anders sein: Da wird eine neidische Kollegin immer dann krank, wenn du für ein Gastspiel oder ein Konzert beurlaubt bist, da musst du dann doch in deinem Theater singen. Zum Glück aber hast Du ja gute Nerven. Solche brauchst du auch, wenn der Regisseur von dir verlangt, aus einem Kühlschrank aufzutreten oder deinem Tenorkollegen in die Hose zu fassen.
Auch bei den Dirigenten gibt es welche, die tragen dich quasi auf Händen durch die ganze Oper. Es gibt aber auch überforderte oder mittelmäßige Dirigenten, die es nicht schaffen, das Orchester leise spielen zu lassen oder die immer langsamer werden, so dass die Sänger auf der Bühne fast verrecken. Leg dich nicht mit denen an, sie sitzen am längeren Hebel. Also solltest Du schon beim Studium so fit sein, dass Du jede Arie in drei Geschwindigkeiten beherrschst, in deinem Tempo, zu schnell oder zu langsam.
Nun wird die Presse auf dich aufmerksam. Du bekommst Interviews und Porträts, wirst befragt zum Lebenslauf, zur Karriere, zu Opernhäusern, Dirigenten und Regisseuren. Du bist natürlich klug genug, nur Positives zu berichten und nicht über den Regisseur mit dem Kühlschrank herzuziehen. Weil nämlich dessen Agentur auch die des Dirigenten ist, mit dem du in einem Jahr zu singen hast.
Es könnte nun auch passieren, dass der Rundfunk mit dir Aufnahmen macht oder Plattenfirmen dich engagieren. Auch hier mein Rat: Mach keinen Vertrag ohne deine Agentur! Da gibt es Sperrfristen und Klauseln, kein Mensch blickt da durch. Genauso ist es bei Engagements im Ausland mit anderen Gesetzen und Gepflogenheiten.

8. Soziale Absicherung, steuerliche Aspekte

Solltest du ein Festengagement haben, bist Du versichert über deinen Arbeitgeber. Der führt auch die Einkommenssteuer für dich ab. Solltest du nun Gastspiele unternehmen oder Konzerte im Ausland oder in Deutschland singen, wird es extrem kompliziert: Ausländische Einkommen sind zu verrechnen mit ausländischen Spesen und dort zu zahlenden Steuern. Da geraten selbst profilierte Steuerberater ins Grübeln. Du brauchst die absoluten Profis für sowas.
Es kann auf keinen Fall schaden, dass du dich mit dem Thema Künstlersozialkasse befasst, besonders, wenn du irgendwann mal freiberuflich tätig sein solltest. Ich verrate dir ein peinliches Geheimnis: Das Durchschnittseinkommen der freiberuflichen Musiker und Musikerinnen lag im Januar 2016 bei jährlich 13.317 Euro. Jährlich! Falls du saugut singst, kriegst du das an einem oder an zwei Abenden. Wenn du Helene Fischer wärst, bekämest Du eine Abendgage von mindestens 160.000 Euro; manche Leute sagen aber, das reiche nicht. Da wäre Ärztin oder Lehrerin womöglich doch sicherer für dich.
Und du willst immer noch berühmt werden durch Singen? Tja, da kommen wir nun zu

9. Familie, Absenz, Reisen, Hotels

Wenn du an einem Opernhaus, in einem Profichor oder Profiorchester fest angestellt bist, hast du geregelte Proben- und Aufführungszeiten. Bei freiberuflichen Solisten ist das anders. Da kann es mal Gastspiele oder Tourneen geben, du springst in den Flieger nach Amsterdam, hast mal Proben oder auch nicht, das erfährst du immer erst am Mittag zuvor. Es kann sein, dass du drei Tage voll beschäftigt bist und an den drei folgenden Tagen hängst du nutzlos herum.
Am schlimmsten ist das Herumsitzen auf Flughäfen oder die Einsamkeit in Hotelzimmern. Da nützt es auch nichts, wenn du im Luxushotel wohnst. Nein, du kannst dich nicht gehen lassen, schließlich sollst du morgen auf der Bühne eine Superleistung abliefern. Es ist ein Highlight, wenn sich ein paar Sänger oder Musiker zusammenfinden, aber nicht die Regel.
Derweil lebt zuhause in der Heimat deine Familie ohne dich. Klar, man telefoniert täglich, tauscht sich per E-Mail oder Facebook aus, erzählt sich die Geschichten, die den Kindern passiert sind. Alles ist okay. Wirklich? Natürlich kommen deine Angehörigen gelegentlich zu dir zu irgendwelchen Premieren, bekommen ein paar Lichtstrahlen deines Ruhmes ab und reisen nach drei Tagen wieder ab. Das ist nicht ungefährlich für Beziehungen. Und du selbst bist ständig gefährdet:

10. Eigene Psyche und Gesundheit

Was man von dir erwartet und was du von dir selbst verlangst, ist eine gewaltige Herausforderung. Du brauchst Pünktlichkeit und Disziplin, musst sprachlich begabt sein und einen empathischen Charakter haben. Du musst zuverlässig deine Rollen einstudiert haben und all die Liedtexte im Kopf behalten; das gilt für Helene Fischer genauso wie für Jonas Kaufmann.
Auf der Bühne musst du fit und freundlich sein, solltest zuverlässig immer die gleiche Qualität anbieten können, gleichzeitig musst du mit Ängsten, Lampenfieber und Erkältungen umgehen können, ganz besonders aber mit Alleinsein und Einsamkeit. Manchmal wirst du gefeiert, zwei Stunden später sitzt du in Unterwäsche und abgeschminkt und müde vor der Glotze. Dazu gibt es einen passenden Spruch von Seneca: „Nicht was man erträgt, sondern wie, ist wichtig“.

Nun komme ich zum Ende. Also an deiner Stelle, liebe Jenny, würde ich mir das nochmal überlegen. Sing im Chor oder in einer Band, da behältst du deinen Spaß. Sag deinem Papa, dass ein Medizinstudium ähnlich hart wie ein Musikstudium ist. Und von der Idee, Lehrerin zu werden, würde ich sehr großen Abstand nehmen. Denn deine Frage allein enthält schon über 17 orthografische Fehler.

Es grüßt dich der Cornelius!

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