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Flexibler Umgang mit Musik? – Bild generiert mit DALL-E 3

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Mitsprache unerwünscht

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Verhärtete Fronten in der Debatte um den Musikunterricht in der Grundschule
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„Gute Ideen entstehen im Dialog!“ – So ließ sich Bayerns Kultusministerin Anfang März in einer Pressemitteilung zitieren, Anlass war ein Schulbesuch. Für die PISA-Offensive Bayern scheint dieses Prinzip allerdings nicht zu gelten. 

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„Bayerns Kinder stärken!“: Ende Januar hatte der VBS in einem Offenen Brief an Kultusministerin Anna Stolz eindringlich davor gewarnt, die notwendige Stärkung des sprachlichen und mathematischen Lernens an Bayerns Grundschulen zu Las­ten der musikalischen Bildung gehen zu lassen (siehe nmz 3/2024). Ähnliche Schreiben brachten zeitgleich der BMU-Landesverband Bayern und die Deutsche Gesellschaft für Schulmusik (DGS) auf den Weg. Bereits wenige Tage später trafen bei den Verbänden wortgleiche Antwortschreiben aus dem Kultusministerium ein: Der Staatsminis­terin sei es sehr wichtig, sich im Vorfeld einer endgültigen Entscheidung über das Maßnahmenpaket intensiv mit der Schulfamilie und der Wissenschaft auszutauschen. Deshalb führe sie zahlreiche Gespräche und werde nach Abschluss des laufenden Dialogprozesses zeitnah über die Ergebnisse informieren. Mit anderen Worten: Wer auch immer „die Wissenschaft“ und „die Schulfamilie“ sein mögen – die bayerischen Musiklehrerverbände gehören nicht dazu. Und, wie sich kurz darauf herausstellte, auch nicht der Arbeitskreis der Musikdidaktiker an Bayerns Musikhochschulen und Universitäten (AMD). 

Musik, Kunst und Werken als Fächerverbund

Die „zeitnahe Information“ erfolgte dann Ende Februar via Presseerklärung: „Um mehr Zeit für Deutsch und Mathematik im Stundenplan zu schaffen, wird die Stundentafel flexibilisiert. Dafür wurden die musisch-kreativen Fächer (Musik, Kunst sowie Werken und Gestalten) in einem Fächerverbund zusammengefasst.“ Im grundlegenden Unterricht der Jahrgangsstufe 2 verliert dieser Verbund gegenüber der bisherigen Stundentafel eine Wochenstunde. Für die dritten und vierten Klassen sind statt bisher 5 nun 4 bis 5 Stunden veranschlagt, die flexibel auf die Fächer verteilt werden sollen. „Die Schulen entscheiden hier in Zukunft eigenverantwortlich je nach Bedürfnissen und Gegebenheiten. Damit können die Expertinnen und Experten vor Ort nicht nur individuelle Schwerpunkte setzen, sondern ihren Unterricht künftig sogar – noch mehr als bisher – projektbezogen und fächerübergreifend planen.“ 

Flexibilisierung als verkappte Kürzung

Diese auf den ersten Blick unscheinbare Veränderung hat es in sich. Dass dem Fächerverbund Musik, Kunst und Werken künftig nur dann 5 Stunden zur Verfügung stehen können, wenn dafür das Fach Englisch gekürzt wird, erschließt sich erst beim genauen Blick in die neue Stundentafel. Wird der neue Fächerverbund nur noch vierstündig unterrichtet, müssen sich die ästhetischen Fächer gegenseitig kannibalisieren. Kunst wurde schon bisher nur einstündig gegeben, eine weitere Reduktion ist weder wünschenswert noch möglich. Werken wird überwiegend von Fachlehrkräften erteilt, die man nicht ohne weiteres anderweitig einsetzen kann. Gut drei Viertel von Bayerns Grundschullehrkräften haben Musik weder im Haupt- noch im Nebenfach studiert. So dürfte es in vielen Fällen das Fach Musik sein, das zurückstecken muss. Ergebnis: 50 Prozent weniger musikalisches Lernen in den Jahrgangsstufen 3 und 4.   

VBS und BMU im Schulterschluss

Anfang März warnten die bayerischen Musiklehrerverbände gemeinsam vor den negativen Folgen der geplanten Maßnahmen. Ähnliche Projekte in anderen Bundesländern haben gezeigt, dass Verbundlösungen zu einer teils dramatischen Reduktion des Musikunterrichts und zu einer Abwertung der einzelnen Fächer führen können – das widerspricht dem Anspruch Bay­erns als Kulturstaat und dem in der Verfassung verankerten Recht auf eine ganzheitliche Bildung. VBS und BMU forderten den Erhalt der eigenständigen Fächer Musik und Kunst/Werken im bisherigen Umfang in der Stundentafel und in den Zeugnissen sowie ein kontinuierliches Monitoring des Unterrichtsaufkommens in allen drei Fächern. Nur so könne sichergestellt werden, dass Bayerns Kinder in einer wichtigen und sensiblen Phase ihrer Persönlichkeitsentwicklung auch weiterhin eine umfassende und qualitativ hochwertige kulturelle Bildung erhalten. Die PISA-Offensive der Staatsregierung dürfe nicht zur Schwächung von Bayerns Kindern führen. 

Starke Unterstützung

Unterstützung gab es von vielen Seiten: Akteure wie der Bayerische und der Deutsche Musikrat, die bayerischen Chorverbände, Tonkünstlerverband und VdM, der Verband der Kunsthochschulen in Bayern und die Fachgruppe Fachlehrer im BLLV verfassten Presseerklärungen. Online-Petitionen für den uneingeschränkten Erhalt der drei Fächer wurden gestartet und von mehr als 200.000 Menschen unterzeichnet. 28 Stars der Musikszene unter Federführung von Christian Gerhaher formulierten ein starkes Statement in Form eines Offenen Briefs, in dem sie die Kultusministerin und den Ministerpräsidenten „mit Nachdruck“ daran erinnerten, dass Bayern ein Kulturstaat sei und deshalb auch für musikalische Bildung entsprechend in der Pflicht stehe. 

Gespräch mit dem Amtschef

Vor dem Hintergrund der großen öffentlichen Protestwelle lud der Amtschef des Kultusministeriums, Minis­terialdirektor Martin Wunsch, Mitte März die Vertreterinnen und Vertreter der Musikverbände zum Gespräch nach München. Für die Schulmusik waren Bernhard Hofmann (DGS) und Gabriele Puffer (VBS) gemeinsam mit Johannes Hornberger und Eva Riedel (BMU Landesverband Bayern) vor Ort. In zum Teil sehr lebhafter Diskussion wurden Argumente, Kritik und Positionen ausgetauscht. Von Seiten des KM wurde unter anderem deutlich gemacht, dass eine Einbeziehung der Verbände und Fachdidaktiken der von Kürzungen betroffenen Fächer bei der Entwicklung des neuen Konzepts bewusst nicht vorgesehen war und nun zügig mit der Umsetzung der „PISA-Offensive“ begonnen werden solle. 

Keine Rückkehr zum Tagesgeschäft!

Die Repräsentantinnen und Repräsentanten der protestierenden Musikverbände brachten klar zum Ausdruck, dass man wichtige Akteure der kulturellen Bildung bei entscheidenden Veränderungen in der schulischen Stundentafel nicht einfach derart übergehen kann. Übereinstimmendes Fazit am Ende der Begegnung: Die Bedenken der Verbände wegen der versteckten Kürzungen in kultureller und insbesondere musikalischer Bildung sind keineswegs ausgeräumt. Unter den gegebenen Umständen erscheint eine „Rückkehr zur Tagesordnung“ derzeit nur schwer vorstellbar: Es geht um musikalische Bildungschancen für gut 472.000 Kinder!

Die Konzepte zur PISA-Offensive Bayern können hier eingesehen werden: https://www.km.bayern.de/pisa-offensive-bayern

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