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Das Quartett ist sein Instrument: Ahmad Jamal in St. Moritz. Foto: Festival da Jazz
Das Quartett ist sein Instrument: Ahmad Jamal in St. Moritz. Foto: Festival da Jazz
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Akkord-Perkussionist: Auftakt des „Festival da Jazz“ St. Moritz mit Ahmad Jamal, Till Brönner und McCoy Tyner

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Hoppla, so jazzig hat man Till Brönner schon lange nicht mehr gehört! Er singt nicht und macht auch kaum Ansagen. Er gibt also nicht den smart unterhaltenden Säusel-Brönner, sondern ist zur Eröffnung des „Festival da Jazz“ (bis 14. August) im „Dracula Club“/St. Moritz mit „Deep Inner Groove“ (D.I.G.) einfach nur das, was er in den letzten Jahren viel zu selten war: Ein brillanter Trompeter mit dem Willen zum Jazz.

Für seine Rückbesinnung auf „die Musik, die wir heimlich am liebsten die ganze Zeit spielen würden“ – Brönners Geständnis in der zweiten Hälfte des Sets – hat sich der Trompeter mit vier US-Musikern umgeben. Allesamt so gefragt und erfahren, dass man gar nichts anders als auf Augenhöhe miteinander spielen kann. „Deep Inner Groove“ – vier prominente Sidemen, von denen jeder das Zeug zum Bandleader hat. Und von denen jeder vor lauter Studio- und Sideman- Jobs nur selten dazu kommt, einfach mal straighten Live-Jazz zu spielen. Zu selten offenbar. Wie sonst wäre die große, ansteckende Spiellaune dieses Quintetts zu erklären?

Für das Grundbrodeln sorgt an der Hammond Pat Bianchi, der für sein spannendstes Solo den Dompteur gibt: Er lässt die Orgel so gefährlich fauchen und gurgeln, als ob sie sich gleich gegen ihn, ihren Bändiger, wenden würde, nur um anschließend das ganze illustre Publikum zu verschlingen.

Die Frontline bilden Eric Marienthal, Chuck Loeb und Till Brönner, was bei den Themen einen äußerst reizvollen, seltenen Zusammenklang aus Tenorsaxophon, Gitarre und Trompete liefert. Auch das Blending der unterschiedlichen Spiel-Temperamente passt: Eric Marienthal ist ein extrovertierter Soul-Jazzer, der sein Instrument röhren und schmachten lässt; Brönner – leider mit zu viel Hall auf der Trompete - pflegt den eleganten Flug in die Stratosphäre, während Loeb die spannendsten Linien durch eng gesteckte Be-Bop-Slaloms findet. Für den rhythmischen Drive zu alldem sorgt Schlagzeuglegende Harvey Mason, der mit seiner Taucher-artigen Brille aussieht, als ob er gerade einem Pool entstiegen sei, um sich nun – lässig zwischen Swing, Shuffle und Funk changierend – ein wenig trocken zu spielen.

Am Abend darauf tapst McCoy Tyner mit beseeltem „A Love Supreme“-Lächeln durch den „Dracula Club“ zum Fazioli-Flügel. Fast hat man Sorge, das Konzert könnte so tattrig geraten wie die kleinen Schritte zwischen Backstage und Bühne. Doch an den Tasten wirkt der große Pianist (geb. 1938) und Weggefährte von Coltrane auf einmal zehn, nein zwanzig Jahre jünger. Dennoch liegt auf dem Konzert etwas von Abschied, Wehmut und Reminszenz. Vielleicht, weil die Musik im Wesentlichen die Musik fortschreibt, die McCoy Tyner mit und nach Coltrane gespielt hat. Vielleicht auch weil dieses Konzert eines der letzten dieser Jazzlegende sein könnte. Gary Bartz gibt zwischen modaler Introvertiertheit und orientalisierter Beseeltheit das Gegenmodell zu Marienthal. Joe Farnsworth spielt zu Beginn etwas zu konventionell swingend, brilliert aber mit seinen Drum-Soli. Die Zugabe bestreitet McCoy Tyner solo mit einem pianistischen Feuerwerk, das auf eine Zeitreise durch die Jazz-Geschichte führt – von Art Tatum über Ellington bis McCoy Tyner.

Auf zwei gute bis sehr gute Konzerte folgt am dritten Festival-Tag ein einzigartiger Auftritt: Ahmad Jamal und sein Quartett, eine der rhythmisch ausgechecktesten Besetzungen der Jazzgeschichte. Andere Pianisten - MyCoy Tyner etwa – mögen Piano spielen. Ahmad Jamal hingegen spielt Klavier-Quartett.

Sein Instrument ist weniger der Flügel als der von ihm dirigierte Zusammenklang von James Cammack am Kontrabass, Herlin Riley am Schlagzeug und Manolo Badrena an der Perkussion: Vier Finger von Jamal - und das Quartett , ein Wunderwerk musikalischer Präzision, wechselt vom Afro-Latin-Groove zum Swing. Auf ein Händeklatschen folgen ein Riff oder ein Break, so blitz- und überfallartig, dass man nur staunen kann. Soli ruft Jamal, der sich für’s Dirigieren immer wieder erhebt und in die Mitte der Bühne stellt, mit einem ausgestreckten Zeigefinger ab.

Die Musik dieses fantastischen Quartetts kreist – mehr als sonst im Jazz üblich – um rhythmische Vamps und Ostinato-Figuren, die Jamal mit untrüglichem Sinn für Spannung und Kontraste kombiniert. Dramaturgie und Spannungsbögen sind bei ihm mehr rhythmischer als harmonischer Natur.

Standards wie „Invitation“ etwa werden in einzelne Sequenzen und Riffs zerlegt, dekonstruiert. Andere Nummern beginnen umgekehrt als Abfolge einzelner Vamps und Riffs, die erst nach und nach zu einem Stück zusammengesetzt werden. Jamals Quartett hat etwas von einer Band, die live spielt und sich gleichzeitig selber sampelt – kein Wunder, dass sich der Hip Hop so häufig bei Jamal bedient hat.

Als Pianist hat Jamal selbst etwas von einem Perkussionisten. Was für Badrena, der mit kindlich-religiöser Ekstatik hinter seinem Perkussionsset tänzelt, Timbales und Cowbells sind, das sind für Jamal Akkorde: Blockakkorde, so funky und trocken wie Herlin Rileys Snare Drum, dann wieder Bassakkorde dunkel und donnernd wie Gewitterwolken.

Überhaupt weist Jamals Klavierstil – seine abrupten Wechsel von den höchsten in die tiefsten Lagen, seine prachtvollen Arpeggien, seine Phrasierung - viele Einflüsse von Ellington und Erroll Garner bei ganz wenig Be Bop-Einfluss auf. Einzigartig modern ist sein Ansatz dennoch. Be Bop-Pianisten gibt es viele. Einen Ahmad Jamal nur einmal.

Weitere zum Informationen zum „Festival da Jazz“ in St. Moritz (bis 14. August):
http://www.festivaldajazz.ch/programm

 

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