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Ks. Ina Schlingensiepen (Adele). Foto: © Falk von Traubenberg
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Alles nur Theater? – Lorenzo Fioroni und Thilo Reinhardt mit einer doppelbödigen „Fledermaus“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe

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Diese neue „Fledermaus“ in Karlsruhe hat es in sich. Es ist nicht nur das Auf-Nummer-Sicher-Stück, das sich jeder Intendant hin und wieder leistet, um das Silvestergefühl von Zuschauern heraus zu kitzeln, die sich mal was gönnen wollen. Dass da ein possierlich flatterndes Exemplar des titelgebenden Tierchens mit leuchtend roten Augen ein paar Mal über die Bühne flattert, ist gleichwohl eher ein Ablenkungsmanöver.

Die Bühne von Ralf Käslau kommt dem doppelten Boden oder den Abgründen, die die Regie im Sinne hat, schon näher. Ort des Geschehens ist ein Theater, das offensichtlich nicht nur bessere Zeiten gesehen hat, sondern längst dem Untergang geweiht ist. Geschlossen, nur noch nicht geräumt. Den Kostümfundus haben jedenfalls die herumspukenden Untoten der Theatergeschichte geplündert, die hier erst als halbes Dutzend Ballettratten und dann als gespenstisch bunte Ballgesellschaft auftauchen. Auch Kichern sie ab und zu aus dem Off oder melden sich als die Stimme des Unterbewussten aus einem alten Röhrenradio.

Da wundert man sich kein bisschen, dass der Prinz Orlofsky zu seinem ersten Auftritt aus einem Sarg voller Geld entsteigt, der Herbert von Karajan zum Verwechseln ähnlich sieht.

Ein Eheclinch mit Freund und Karajan

Vorn auf der Bühne steht ein rotes Sofa herum. Am Kopfende ist ein Sessel postiert. Das sieht nicht nur so aus wie der Arbeitsplatz von Siegmund Freud, sondern soll es auch sein. Denn diesmal ist der von Gabriel von Eisenstein einst gedemütigte und auf Rache sinnende Dr. Falke in der Maske des Urvaters der Psychoanalyse unterwegs. Die Einladungen zum Ball führen hier zur gleiche Adresse wie die der eigenen Wohnung an der Wiener Ringstraße: Es ist eine Einladungen zu sich selbst. Der Notar hat offenbar den Beruf gewechselt und fädelt seine persönliche Rache über eine Art Paartherapie für die Eisensteins mit Massenpublikum ein. Am Ende haben Rosalinde und Gabriel vielleicht eine Chance. Wenigstens ein Trost, wenn schon alles untergeht…

Lorenzo Fioroni und Thilo Reinhardt haben diese Gemengelage von bürgerlichem (Ehe-)Schein und erotischen Ausbruchswünschen aus der Beziehung in ein atmosphärisch dichtes, melancholisches Endspiel projiziert. Die bürgerliche Doppel-Moral und die subversiven Kräfte, die damit gebändigt werden sollen, werden als pures Theater zelebriert. Sie zeigen das Leben auf einer Bühne, die selbst im wahrsten Sinne des Wortes auf ihren Untergang zu taumelt. Das geht bis hin zu einer grotesken Komödie des gegenseitigen Erkennens, die Rosalinde und Gabriel sich und den anderen zum Finale vorspielen, während die k.u.k Fahne nach oben entschwindet und die Bühne, also die Welt versinkt.

Diese Fledermaus ist von so intelligenter Opulenz, dass es den Jubel des Publikums etwas dämpfte. Gleichwohl dürfte sie ihre Nachwirkungen haben. Und zwar szenisch und musikalisch.

Dass eine in die Tiefe lotende Idee, verbunden mit handwerklicher Könnerschaft, die keinerlei Hänger zulässt, einhergeht, dafür stehen beide Regisseure. Als Thilo Reinhardt kurz vor der Premiere für den erkrankten Lorenzo Fioroni übernahm, muss er ein Déjà-vu gehabt haben. Als junger Regieassistent musste er am Anfang seiner Karriere bei dem gleichen Stück schon einmal einspringen. Anfang der neunziger Jahre reichten die Kräfte von Regieikone Ruth Berghaus nicht mehr aus, um ihrer schweren Krankheit eine komplette „Fledermaus“ abzutrotzen.

Der Proteststurm, den der analytisch bitterböse Blick in die Abgründe einer auf ihren Untergang im Weltkrieg zu taumelnden Gesellschaft  auslöste, traf auch Reinhardt. Er darf sich jetzt mit dem aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig ausgestiegenen Lorenzo Fioroni den Respekt für eine souverän überzeugende Inszenierung teilen.

Die bot natürlich auch die beim Frosch üblichen Attacken auf die kommunalpolitischen Dauerbrenner des Aufführungsortes. Auch, dass Martin Wackers gruftiges Theaterurgestein Frosch sich schon am Anfang des Balls die ersten Schnäpse und Kalauer genehmigte und das Ball-Publikum auf der Bühne mit dem Radetzkymarsch auf die Hinterbühne zu den verwaisten Musikerplätzen und das Saal-Publikum in die Pause geschickt wurde, fügte sich in die schnodderig respektvolle Art des Umgangs mit dem empfindlichen Operetten-Flattertier.

Musikalisch ernstgenommen und leicht gespielt

Die Fledermaus-Rechnung ging in Karlsruhe freilich auch deshalb auf, weil man diese Operette mit der vokalen Sorgfalt behandelt hat, wie sie der engsten Verwandten der Oper zusteht. Selbst, dass es Lacher gab, als von Rosalindes zierlicher Taille die Rede war, hatte hier etwas von sympathischer Selbstironie, denn Heidi Melton ist ein Beispiel dafür, dass die Figur keine Rolle spielt, wenn die Seele schlank rüberkommt und vor allem das stimmliche Format passt. Eine Rosalinde mit Charme und dramatischer Kraft, die sie ausgerechnet beim Csárdás, der als Selbstvergewisserung ohne Publikum beginnt und erst nach und nach zum Statement wird, eine Spur zu sehr zügelte. Hinreißend auch das ehrgeizige Stubenmädchen Adele. Die in der letzten Zeit immer wieder vor allem in Heidelberg Aufsehen erregende Sharleen Joynt hatte die Sympathien schon nach ihrem betont rotzigen Tischeindecken zur Ouvertüre auf ihrer Seite und ließ dann natürlich bei jeder Gelegenheit ihre bestechenden Koloraturfähigkeiten aufzwitschern. Mit dramatischer Verve und Eloquenz machte Katherine Tier aus dem Prinzen Orlofsky überzeugend einen eigensinnigen Künstlerguru. Auch die Herren hielten mit. Mit verwittertem Charme und geschmeidigem Konversationston absolvierten Klaus Schneider und Tero Hannula ihre Partien als Eisenstein und Gefängnisdirektor Frank, aber auch ihren Dialog im besten Küchenfranzösisch. Andrew Finden bietet für seinen Dr. Falke neben der darstellerischen Würde seiner Freud-Maske die Eloquenz des rachsüchtigen „Freundes“ und Lydia Leitner rettet stimmlich ihre Ida vor der etwas allzu ordinären abgetakelten Tänzerin.

Auch im Graben ist das ganze Chefsache und für Justin Brown am Pult der Badischen Staatskapelle offensichtlich ein großes Vergnügen. Er genießt den Wechsel zwischen einem walzerseeligen Wiener Schmäh, den gesprochenen Passagen und dem Orchesterfeuerwerk, nicht zuletzt mit dem vom Papa Strauß geborgten Marschhit. Das wirkt alles wie aus einem Guss und macht diese Fledermaus nicht nur zu einem Schau- und Denk-, sondern auch zu einem musikalischen Vergnügen.

 

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