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Brad Mehldau. Foto: Promo
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„Bau bloß keinen Scheiß, Brad!“ – Claus Lochbihler im Gespräch mit Brad Mehldau

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Der Jazz-Pianist als Rock-Gitarrist: Brad Mehldau hat mit dem Schlagzeuger Mark Guiliana ein Album („Taming the Dragon“, Nonesuch/Warner) aufgenommen, das zwischen Dubstep-Grooves und Synthie-Schwaden, Jazzimprovisation und Prog-Rock pendelt. Im Interview erklärt Mehldau, warum sich hinter futuristischen Klängen ein Trip in die eigene Jugend verbirgt und was die Sehnsucht nach Gitarrensounds damit zu tun hat.

Mr. Mehldau, Thelonious Monk hatte im Raum, wo er Klavier spielte und komponierte, ein Foto von Billie Holiday hängen. Haben Sie auch so was?

Überall, wo ich zu Hause Klavier spiele, hängt ein Bild von Johannes Brahms.

Den Sie verehren und John Boy nennen.

Genau. Und eine von diesen Beethoven-Büsten habe ich übrigens auch.

Ist das einfach nur eine Verbeugung? Oder inspiriert Sie das?

Wenn ich Beethoven – ähnlich wie Bach - höre, kommt es mir vor, als ob ich Gott lausche. Ihre Musik ist so groß, dass sie einem fast nicht mehr menschlich vorkommt. Wenn ich einen Blick auf meine Beethoven-Büste werfe, fühlt sich das an, als ob er mir zurufen würde: Bau bloß keinen Scheiß, Brad! Wie wenn der Gott des Alten Testaments den Stab über einen bricht.

Einschüchternd?

Beethoven stimmt einen demütig. Brahms hingegen ist mir am nächsten. In ihm steckt viel von Beethoven und Bach. Aber er hat etwas, was ihn verletzlicher erscheinen lässt. Seine Größe ist nicht so perfekt wie die von Beethoven und Bach. Das ist es, was ich an ihm so schätze. Wenn ich ihn anschaue, denke ich ganz unverkrampft: Noch einer, der wunderbare Musik gemacht hat.

Auf „Mehliana“, dem neuen Duo-Album mit dem Schlagzeuger Mark Giuliana, sind Sie ausschließlich auf Synthesizern und Fender Rhodes zu hören. Dabei haben Sie lange gesagt, dass Sie sich eigentlich nicht vorstellen könnten, eines Tages auch mal elektronisch zu spielen. Was hat sich geändert?

Das hatte nicht damit zu tun, dass ich prinzipiell etwas gegen elektronische Instrumente habe. Ich hatte nur das Gefühl, dass ich den großartigen Sachen, die Leute wie Lyle Mays oder Joe Zawinul auf Synthesizern und Keyboards aufgenommen haben, nichts hinzuzufügen habe. Das hat sich geändert, als ich Mark Giuliana begegnet bin. Einem Schlagzeuger, der sehr viel Dubstep, Drum ‚N‘ Bass und solche Sachen hört. Und der diese programmierten oder gesampelten Rhythmen auf sein Spiel überträgt. Durch ihn bekam ich Lust, etwas in dem Kontext zu versuchen.

Wie kam es zu Ihrer Zusammenarbeit?

Ich habe Mark zum ersten Mal im Trio von Avishai Cohen gehört, einem sehr akustischen Setting. Uns war schnell klar, dass wir zusammen Musik machen wollten. Bis es dazu kam, hat es eine Weile gedauert. Auch deshalb, weil ich für mich das passende Arsensal und die richtige Balance aus Synthesizern, Moog und Fender Rhodes finden musste. Am Anfang spielte ich immer nur auf denen von Mark.

War es schwierig für Sie, sich von einem Instrument – dem Flügel – auf drei, vier verschiedene umzustellen?

Das hält auf Trab, wenn man sich plötzlich auf drei oder vier Instrumente gleichzeitig konzentrieren muss. Daran hat sich mein Pianisten-Hirn erst gewöhnen müssen. Vor allem live. Das Schwierigste sind die unterschiedlichen Klangfarben. Wenn ich auf dem Klavier ein Solokonzert spiele, denke ich zwar auch ständig in drei oder vier Stimmen. Aber da muss ich mich nicht um die richtige Mischung der Klangfarben kümmern. Mit zwei Synthies, einem Moog und dem Fender Rhodes ist das anders. Die haben alle ganz verschiedene und per Knopfdruck extrem veränderbare Timbres – das ist ja der Reiz. Und mit dem Moog bekommt auch der Bass einen ganz eigenen, spezifischen Sound. Das Schwierige besteht darin, aus diesen unterschiedlichen Stimmen etwas Ganzes zu machen. Das ist letztlich eine Frage der Orchestrierung. Wie wenn man für Streicher und eine Oboe schreibt.

Gab es Vorbilder oder Einflüsse für das Album?

Das Rhythmische kommt alles von Mark und ist von der elektronischen Tanz-Musik der letzten 15 Jahre inspiriert. Meine Assoziation ist eine andere: Mich erinnert das Album an Musik aus den 70er Jahren.

Welche?

Einerseits Earth, Wind and Fire oder Stevie Wonder. Also schwarze Musik, bei der Synthies richtig kreativ zum Einsatz kamen. Aber auch Platten, die ich gehört habe, als ich zwischen neun und elf Jahren war – noch bevor ich den Jazz entdeckte.

Was hörten Sie damals?

Rush.

Die Hard- und Prog-Rock-Band aus Kanada?

Genau die. Damals habe ich dieses Power-Trio heiß geliebt. Was Geddy Lee mit den Synthesizern angestellt hat: Wow! Wichtig waren für mich damals aber auch Pink Floyd und wie sie Synthies und Keyboards eingesetzt haben. Dieser dunkle, große, beinahe unheimliche Klang. Das alles spielt eine Rolle bei dem, was ich auf dem neuen Album mache.

Was ziemlich futuristisch klingt, ist also eigentlich eine  Reise in die Musik Ihrer Jugend.

Könnte man sagen.

Und auf Rush kam dann gleich John Coltrane?

Coltrane habe ich das erste Mal mit zwölf gehört. Da war ich in einem Ferienlager für jugendliche Musiker. Ein Freund, mit dem ich die Unterkunft teilte, hatte eine Kassette mit dem John Coltrane Quartet dabei.

Das war Ihre Entdeckung des Jazz?

Das war lebensverändernd! Und im gleichen Sommercamp habe ich auch Jimi Hendrix zum ersten Mal gehört. Hendrix und Coltrane - was für ein Sommer!

Was war auf dem Coltrane-Tape zu hören?

Eine Liveaufnahme mit einer superlangen Version von „My Favorite Things“. 20 unglaubliche Minuten.

Mit Mark Guiliana spielen Sie live manchmal eine Art Hip Hop-Version von „My Favorite Things“.

Das hat sich auf unserer ersten Tour entwickelt. Wir spielten eigentlich was ganz anderes. Und auf einmal ist daraus unsere Version von „My Favorite Things“ geworden. Wie wenn man plötzlich über einen alten Bekannten stolpert.

Färbt auch das elektronische Spielen auf Ihr akustisches ab? Oder sind das völlig getrennte Welten?

Weil die Instrumente so verschieden sind, könnte man in der Tat meinen, dass eine habe nichts mit dem anderen zu tun. Aber so ist das nicht. Das habe ich gemerkt, als ich vier Tage nach einer Tour mit Mark einen Solo-Auftritt hatte. In einem wunderbaren Konzertsaal mit einem tollen Flügel. Akustischer und pianistischer geht es eigentlich nicht. Und was passiert? Auf einmal merke ich, wie sich diese Synthieschwaden und Moogbässe in mein Klavierspiel hineinschleichen.

Haben Sie den Moog-Synthesizer vermisst?

Genau: „Wo verdammt noch mal ist der Moog? Ach, den habe ich heute ja gar nicht dabei….“

Wie schwierig ist es, die Rhythmen, die Mark Guiliana spielt, auch live zu bringen? Gibt es einen Konflikt zwischen der Studio-Präzision von Grooves, die wie programmiert klingen, und der Spontanität des Improvisierens?

Das Ganze funktioniert auf der Bühne nur deshalb, weil Mark der metronomischste Schlagzeuger ist, den ich kenne. Dank ihm bekommen wir diesen Grat aus präzisen Beats und Live-Improvisation hin, ohne uns zu sehr einzwängen zu lassen. Wir können den Beat sogar auseinanderziehen und mit ihm jonglieren, weil Mark mit absoluter Genauigkeit wieder in den Ursprungsbeat zurückfindet – egal, wie schwierig der aufgebaut ist.

Wenn man sich Videos mit Mark Guiliana anschaut könnte man meinen, eine transhumane Drum-Maschine zu hören.

Ich glaube, wir werden in Zukunft mehr Schlagzeuger wie ihn hören.

Weshalb?

Es wird immer Leute geben, die gerne Live-Musik hören. Die werden in Zukunft aber noch mehr als heute mit elektronisch erzeugter Musik und ihren Rhythmen vertraut sein. Mit Rhythmen also, die programmiert und gesampelt wurden. Rhythmen,  auf die ein Schlagzeuger von sich aus gar nicht gekommen wäre. Aber was hindert Schlagzeuger diese Rhythmen nachzuspielen und  in ihr Spiel zu integrieren? Nichts, wie man am Beispiel von Mark sieht. Mit Leuten wie ihm kommt der menschliche Faktor in diese Grooves zurück. Die Lockerheit und die für den Jazz so wichtige Spontanität. Ich glaube, dass sich da eine spannende Wechselwirkung zwischen programmierter und improvisierter Musik entwickelt.

Welche Wirkung  haben Mark Guilianas Rhythmen  auf Ihr Spiel?

Sie bringen mich dazu, auf gute Basslinien zu achten. Das macht Spaß. Außerdem rufen sie all das ab, worüber wir vorhin gesprochen haben.  Auf diesem Album treten meine Rockeinflüsse hervor, lauter und intensiver als zuvor.

Songs von Rockbands und Singersongwritern haben Sie allerdings auch schon früher gespielt: „Hey Joe“ von Hendrix auf einem der letzten Alben Ihres Trios,  Songs von Sufjan Stevens, Ihre Radiohead-Interpretationen….

Aber da ging es immer darum, diese Songs zu übersetzen – in die Sprache des Klavier-Trios und seiner Möglichkeiten. Mit Mehliana geht es darum, auch klanglich zu rocken. Das wollte ich immer schon.

Sie haben einmal eine Theorie des Lyrischen in der Musik entwickelt. Das entstehe dadurch, dass ein Instrumentalist danach strebe, die menschliche Gesangsstimme zu imitieren. Im Scheitern daran entstehe das Lyrische. Gilt das auch für dieses Album?

Es muss ja nicht immer darum gehen, die menschliche Stimme zu imitieren. Dieser Effekt tritt auch ein, wenn ein Instrument einem anderen Instrument nacheifert. Als ich die Aufnahmen von Mehliana das erste Mal gehört habe, wurde mir plötzlich klar, dass ich in den Synthie-Soli – etwa über Hungry Ghost, aber auch Luxe - versucht habe, Gitarrenklänge zu erzeugen. Wie einer dieser Leadgitarristen des Rock, die ich schon immer verehrt habe: Duane Allman  von den Allman Brothers, Jimi Hendrix oder auch Jimmy Page. Einen solch gewaltigen Sound habe ich in meinen Ohren schon immer gehört. Aber als Pianist kann man solche Klänge nicht erzeugen. Mit meinen Synthies bin ich auf einmal  Gitarrist – ein bisschen jedenfalls. Ich versuche nach etwas zu greifen, was eigentlich jenseits meiner Möglichkeiten als Pianist liegt. Aber indem ich es trotzdem versuche, entsteht etwas Neues. Das hoffe ich jedenfalls.

Soll man zu dieser Musik auch tanzen?

Unbedingt. Die besten Konzerte waren immer die, wo es keine Sitze gab und die Leute sich frei bewegen und tanzen konnten.

Gehen Sie in Clubs, um zu tanzen?

Ich fürchte, dafür bin ich zu alt. Ich habe Kinder und bin sowieso ständig auf Tour. Da fällt es einem zunehmend schwer abzurocken. Selbst auf Konzerte schaffe ich es ganz selten. Als Mark und ich während der Herbst-Tour in London einen freien Tag  hatten, wollten wir eigentlich zu den „Queens of the Stone Age“ gehen – das ist eine von unseren Lieblingsbands. Das wäre mein erstes großes Rockkonzert gewesen seit Soundgarden 1996 – so ungefähr. Aber dann kam was dazwischen.

Wie bekommen Sie dann mit, was sich im Rock und Pop tut?

Freunde und Musiker erzählen mir, was sie toll finden. Oder schenken mir CDs. Das ist natürlich nicht so schön wie als Jugendlicher, als man sich zu fünft die neueste Platte angehört und dazu getanzt hat. Heute höre ich solche Musik meistens allein, weil meine Frau meinen Rockgeschmack nicht wirklich teilt. Wenn ich Glück habe, gefällt es vielleicht meinen Kindern. Aber sonst gilt, was ich vorhin schon gesagt habe: It gets harder to rock as you get older.

Interview: Claus Lochbihler

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