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Trifon Trifonov und Stian Carstensen. Foto: Ssirus W. Pakzad
Trifon Trifonov und Stian Carstensen. Foto: Ssirus W. Pakzad
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Bollywood, Bonanza, Balkan – Stian Carstensens Farmer´s Market beim BMW Welt Jazz Award

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An diesem Morgen schienen die Rekorde nur so purzeln. Wann schon hat eine Band jemals so viele Sechszehntel in einem Takt, so viele bekannte Themen und Melodiefragmente in einem Medley untergebracht. Stian Carstensens Farmer´s Market spielten ihr Publikum beim BMW Welt Jazz Award schwindlig und alle Zuhörer schienen den Taumel, in den sie versetzt wurden, zu genießen.

Mit kleinem Besteck war Multi-Instrumentalist Stian Carstensen erst um 8.15 Uhr aus Stockholm angereist. Abends zuvor hatte er noch ein Konzert in Göteborg gegeben, war dann zum schwedischen Hauptstadtflughafen gerast, gab sein Akkordeon und seine Pedal Steel Guitar als Gepäck ab, führte seine Flöte an Bord mit und mag während des kurzen Trips über den Wolken kurz gedöst haben. Als er dann um kurz nach elf im Doppelkegel sein Konzert spielte, war er jedenfalls hellwach. Muss er auch sein bei dieser Musik. Denn man kann schon mal durcheinander kommen bei all diesen Breaks, Melodien, Rhythmus- und Genrewechseln.

Schon die erste Nummer forderte volle Konzentration von allen Beteiligten – ein Fusionartiges Etwas mit vielen vielen Noten – Carstensen schickte sein Akkordeon durch einen Leslie und ließ die Quetsche abwechselnd zur wummernden Orgel und zum Synthie mutieren. Was dann folgte, war wie ein furioser Querfeldeinzug durch die Musikgeschichte, durch Stil- und Spielarten, Provenienzen, Regionen, Mentalitäten. Im Affenzahn rauschte Farmer´s Market durch den Balkan, Indien, China und nordische Gefilde. Und als ob der Wahnsinn nicht mehr zu steigern gewesen wäre, legte der Boss mit seinen zwei bulgarischen und drei norwegischen Spielgefährten ein Medley hin, das seinesgleichen suchte. Da waren sich der Bolero und das Thema von Bonanza so nah wie noch nie, flutschten die Melodien, gut fünf Dutzend mögen es gewesen sein, im Zeitraffer durch die Takte und über die Brüche hinweg, dass sich manch einer im Saal nicht mehr einkriegte vor Begeisterung und Spaß. Hätte man eigentlich ein schönes Zuhörer-Quiz draus machen können – wer die meisten Titel erkennt, gewinnt eine Schachtel Beruhigungs-Tabletten.

Eine Schau: Trifon Trifonovs Doppelsaxofon-Einlage, Jarle Vespestads müheloses Mittrommeln aller noch so komplizierten Wechsel. Anrührend: die Klarinetten-Exkursionen von Filip Simeonov. Saukomisch: Gitarrist und Sänger Nils-Olav Johansen. Der Mann, der sich gut als Charakter in einem Kaurismäki-Film machen könnte, singt mit bedröppeltem Gesicht eine schluchzende Country-Fassung von „All Of Me“ (zu der Stian Carstensens Pedal Steel Gitarre süße Tränen heult), vermittelt zwischen virtuos hin geschlenkerten Bollywood-Koloraturen und fast beiläufigem R & B-Geknödel. Er gibt den Kurzzeit-George Benson (Gitarre und Stimme unisono) und lässt Stevie Wonder und Aaron Neville aus seiner Kehle purzeln. Der Typ ist abendfüllend und sollte seine eigene Show bekommen.

War das nun eigentlich Jazz was wir da hörten beim zweiten Konzert des BMW Welt Jazz Awards, der diesmal mit „Sense of Humour“ überschrieben ist? Antwort: ein eindeutiges Ja, denn schließlich steht der Begriff eher für eine Lebenseinstellung als für einen eindeutigen Stil. Die sechs Musiker improvisierten auf engstem Raum, ihre Stücke hatten (einen etwas anderen) Swing und sie kannten keine Scheuklappen. Jazz halt.

Am 16. Februar geht es bei BMW weiter mit den „Echoes of Swing“. Die vier Herren stehen für einen etwas anderen Humor. Aber man muss sich ja auch nicht gleich immer auf die Schenkel klopfen vor Vergnügen – wie bei Farmer´s Market.

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