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Casella und Ghedini, Krenek und d'Indy: Tripelkonzerte der klassischen Moderne neu auf CD

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Die bedeutendsten Tripelkonzerte der geläufigen Geschichte sind schnell aufgezählt: von Johann Sebastian Bach das 5. Brandenburgische Konzert und ein weiteres für dieselbe Besetzung: Flöte, Violine, Klavier und Streicher; und natürlich Ludwig van Beethovens Opus 56 für Violoncello, Violine, Klavier und Orchester. Selbstverständlich gibt es im Barock und auch in der Klassik noch viele weitere Werke für diese und ähnliche Besetzungen, doch – von Vivaldi absteigend – von ungleich unbedeutenderem Kaliber.

Die Romantiker haben dann das große Solokonzert mit einem Solisten im Zentrum der Aufmerksamkeit zu voller Entfaltung gebracht, und daneben der Welt – wie insbesondere Brahms und auch Bruch – vielleicht noch ausnahmsweise ein Doppelkonzert geschenkt. Die Gattung der Sinfonia Concertante und ihrer Verwandten für mehrere Solisten und Orchester kam erst im 20. Jahrhundert wieder auf, im Gefolge des expandierenden Historismus und mit der bewussten Hinwendung zu präromantischen Modellen, zumal solchen aus dem Barock, im Rahmen jenes Trends, der als Neoklassizismus in die Geschichte einging. Und plötzlich schossen ab den zwanziger Jahren auch wieder vielerorts Tripelkonzerte wie Pilze aus dem Boden.

Alfredo Casellas Tripelkonzert für das klassische Klaviertrio und Orchester entstand 1933 und hat nicht nur die Besetzung mit dem Beethoven’schen Vorbild gemein, sondern auch – gewiss kein Zufall – die Opuszahl 56. Damit sind die Gemeinsamkeiten freilich auch weitgehend erschöpft. Alle Solisten werden gleich virtuos behandelt, und Casella schrieb dieses Werk ja gezielt für Gastspiele seines eigenen, weltberühmten Klaviertrios, mit dem er es in weniger als einem Jahrzehnt mehr als 500 mal aufführte – darunter ist ein Mitschnitt mit dem Boston Symphony Orchestra unter Serge Koussevitzky teilweise erhalten, und man kann erfahren, welch wunderbare, versonnene Ruhe das zentrale Adagio in authentischer Darbietung verströmte. Vor allem der Kopfsatz, ein Allegro molto vivace mit feierlich affirmativer langsamer Einleitung, kann sehr sperrig und äußerlich wirken, wenn der Charakter nicht genügend erfasst wird.

Casella war nicht ein Komponist von außerordentlichem Tiefgang, hingegen war er ein grandioser Orchestrator und hat letztlich doch stets mehr zu sagen als dies unter den Bedingungen von heute gängigen Studioaufnahmen möglich ist. Das finale Gigue-Rondo ist da schon entgegenkommender, und am ehesten entsteht eine wirklich anziehende Atmosphäre und ein unverwechselbarer Tonfall von mehr als oberflächlich formalem Zusammenhang im langsamen Satz. Die Solisten Emanuela Piemonti (Klavier), Paolo Ghidoni (Violine) und Pietro Bosna (Cello) agieren durchaus technisch tadellos und werden vom Orchestra I Pomeriggi Musicali unter Damian Iorio im Mailänder Teatro Dal Verme sicher sekundiert – immerhin, das Ergebnis ist in eigentlich jeder Hinsicht viel besser als andere Aufnahmen des Werkes aus den letzten Jahrzehnten.

Gekoppelt ist das Casella’sche Tripelkonzert in dieser Naxos-Einspielung mit einem Concerto für identisches Solistenensemble, begleitet von einem aus einer Flöte, zwei Posaunen, Pauken, Schlagzeug und Streichern bestehenden kleinen Orchester, in welchem in der Schlussphase ein Sprecher hinzutritt, der die ergreifende Passage aus Herman Melvilles ‚Moby Dick’ rezitiert, in welcher das Erscheinen des Albatros beschrieben wird: dem 1944-45 komponierten ‚Concerto dell’albatro’ von Giorgio Federico Ghedini (1892-1965). Es ist dies das bekannteste Werk eines heute weitgehend unbekannten Komponisten, den ich ohne Zögern für den vielseitigsten, frischesten, substanziellsten und spannendsten Italiener der klassischen Moderne halte.

Das ‚Concert dell’albatro’ bewegt sich im freien Feld zwischen nicht-narrativer Tondichtung und unkonventionell verbundenen klassischen Formtypen und spricht seine ganz eigene, harmonisch und kontrapunktisch so kunstreiche wie unmittelbar sich einprägende Sprache, voll mysteriösen Zaubers, in entrückte Gefilde entführend, dann wieder uns mit dramatischer Leidenschaft und unorthodoxer Dissonanzbehandlung, die sich ganz und gar nicht aus romantischen Mitteln nährt, fesselnd. Ganz besonders berückend ist Ghedini stets da, wo er mit einem Minimum an Tönen und Mitteln ein Maximum an Dichte und Tiefgang der Aussage erreicht, so im Andante sostenuto seines Concerto. Wenn am Ende der Sprecher hinzukommt und mit seinen Worten die transzendente Dimension ausdrückt, die der Anblick des Albatros auslöst, ist der musikalische Boden hierfür längst bereitet: Es bedürfte dieser Worte nicht, und doch stören sie auch keineswegs.

Selten ergeht es mir so, dass ich Freude an der Kombination von verstärkter Sprechstimme und Orchester hätte, fast immer erscheint es mir nicht nur künstlich, sondern auch prätentiös und schlicht unpassend, doch hier fügt es sich auf wundersame Weise ein, kann sogar eine Art überkrönende Wirkung entfalten, wenn der Sprecher (wie im Falle der bekannten New Yorker NBC-Aufnahme des Concerto unter Guido Cantelli in den fünfziger Jahren) das entsprechende Format hat. Carlo Doglioni Majer, der den Melville-Text auf italienisch vorträgt, dieses Format zuzusprechen wäre übertrieben, dafür fehlt es ein wenig an der zeitlosen Größe und Würde, doch es ist angenehm und stört immerhin nicht. Und der Hörer hat das Privileg, ein virtuos eminent anforderungsreiches Werk von immenser Schönheit, unergründlicher Eigenart und so überraschender wie schlüssiger Dramaturgie in einer durchaus sowohl technisch als auch tontechnisch befriedigenden Aufnahme zu hören.

Ghedinis ‚Concerto dell’albatro’ zählt zweifellos zu den großen konzertanten Meisterwerken der Generation Martinu-Prokofieff-Milhaud-Hindemith und sei jedem Interessierten ausdrücklich ans Herz gelegt. Es hat den Anschein, dass Naxos sich, nachdem man das Orchesterwerk Alfredo Casellas nun schon weitgehend dokumentiert hat, in ähnlich systematischer Weise auch der Orchestermusik Giorgio Federico Ghedinis zuwendet (eine erste exklusive Ghedini-CD mit ‚Marinaresca e Bacchanale’, ‚Architetture’ und ‚Contrappunti per tre archi e orchestra’ ist unlängst erschienen).

Unter dem Titel ‚The 20th Century Concerto Grosso’ hat Chandos ein von der Pianistin Maria Prinz initiiertes Album der Academy of St Martin in the Fields unter ihrem altbewährten Leiter Neville Marriner veröffentlicht, das drei zwischen 1924 und 1927 komponierte Werke höchst unterschiedlicher Art zusammenfasst, darunter erstaunlicherweise in Ersteinspielung Ernst Kreneks Concertino für die Bach’sche Besetzung Flöte, Violine, Klavier und Streichorchester von 1924, sowie außerdem Vincent d’Indys spätes, so leichtflüssig anmutiges wie fein verwoben ausgereiftes Concert op. 89 für Klavier, Flöte, Cello und Streicher von 1926 (das letzte Orchesterwerk des 75jährigen), und Ervin Schulhoffs mittelweile recht bekanntes Doppelkonzert für Flöte, Klavier und Streichorchester mit 2 Hörnern von 1927. Schulhoffs ‚Concerto doppio’ verbindet in reizvoller Weise Elemente aus Barock, Jazz und musikantischer Moderne der Zeit und atmet einen ausgesprochen unterhaltsamen, gelegentlich absichtlich frechen, dann wieder auch innigen Geist.

Kreneks Concertino ist natürlich weit raffinierter und in allen Details von höchster Kunst zeugend, gerade auch bezüglich der aufgeraut freitonalen Harmonik, die sehr frappierende Verbindungen mit Aspekten eingeht, die eindeutig auf Bachs Suiten im französischen Stil zurückverweisen. Wer das Chamäleon Krenek besser kennt, wird nicht überrascht ob der Tatsache als solcher sein, und doch muss ich gestehen, dass ich immer wieder überrascht war, was ihm noch so alles einfällt in diesem wirklich sehr lohnenden, galanten, fünfsätzigen kleinen Konzert – wahrhaft geistreich, gegliedert in Toccata, Sarabande, Scherzo, Air und Finale.

Vincent d’Indys Tripelkonzert op. 89 schließlich ist zweifellos eines der gelungensten Werke dieses Urgesteins französischen Konservativismus in Zeiten radikalen Umbruchs, mit einem ganz besonders zauberhaften langsamen Mittelsatz, und, bei aller Abgeklärtheit des Altersstils, der beherrscht grazilen Vitalität der Außensätze. Die Stärke – seine Perfektion und Gediegenheit in allen Dingen – ist zugleich auch die einzige Schwäche, die wir ihm angesichts seines Charmes, der Souveränität und Rundheit der Formen, und der persönlich durchdrungenen Brillanz des Ganzen gerne nachsehen. Höchst ungewöhnlich ist hier die Solistenbesetzung für das ungewöhnliche Trio Flöte, Cello und Klavier.

Auch in dieser Produktion gebührt allen Solisten einhellige Anerkennung, also neben der Pianistin Maria Prinz dem Flötisten Karl-Heinz Schütz, dem Geiger Christoph Koncz und dem Cellisten Robert Nagy, die zusammen mit dem routiniert gelassen agierenden Kammerorchester für sehr solide Darbietungen sorgen.

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