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Performance in Darmstadt. Foto: Juana Zimmermann
Performance in Darmstadt. Foto: Juana Zimmermann
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‚Da‘ sein – Ein Bericht von den „Darmstädter Ferienkursen 2018“

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‚da‘ ist das Logo im neuen, an Sinuskurven erinnernden Design der diesjährigen Darmstädter Ferienkurse. ‚da‘ war aber auch der sich durchziehende Esprit: 15 Tage im Jetzt sein und Utopie leben. „Wir haben alles in den Bully geworfen, sind losgefahren und sind jetzt da“, erzählt eine Komponistin und meint damit, dass Alltag, Mails und Sorgen zu Hause geblieben sind. Sie wohnt nicht weit von Darmstadt und hätte ohne weiteres ihre Unterrichtsstunden und Konzerte geben und gleichzeitig im eigenen Bett schlafen können. Doch das wäre nicht ‚da‘ gewesen und die generationsprägende FOMO verstärkt sich bekanntlich auf solchen Events.

Da sind auch Altbekannte der Neuen Musik: Helmut Lachenmann, Jennifer Walshe, Enno Poppe oder das Arditti Quartett beispielsweise, deren Vorträge und Konzerte stets überlaufen sind. Das Vergangene scheint nicht vergessen. Doch allein, weil zahlenmäßig überlegen, stellt den Mittelpunkt jeder Ferienkurse die junge Generation. Allen Vorbehalten – zu Recht oder zu Unrecht als Einzelgänger und introvertierte Nerds verschrien – zum Trotz kommen sie zusammen und leben eine internationale Gemeinschaft.

Thema: Körper und Sex/Gender

„Das Interessanteste bei Festivals sind die Gespräche zwischen den Konzerten“, sagte sinngemäß der Musikjournalist Robert Barry in seinem Vortrag „Criticism as hyperstition“ im Rahmen der Konferenz „The Ethics of Critique“. Es bewahrheitete sich: Die letzte Veranstaltung des Tages war in der Regel ein Konzert in der Centralstation. Damit wurde die Treppe davor zum Ort des Tagesurteils. Aus diesen kleinen Fetzen, die sich Tag für Tag sammelten, entstand ein Minidiskurs: Das durchgehende Thema: Körper und Sex/Gender. Ob nun die Konferenz „Defragmentation – Convention zum Kuratieren Neuer Musik“ mit dem Themenspektrum Diversity, Gender, Dekolonisierung und technologischer Wandel es initiierte oder nur ein Thema unterstrich, das derzeit allen wichtig ist, ist nicht auszumachen. Festzuhalten ist, dass es Thema war.

Aber auch konkrete, gar direkte und unmittelbare Aufführungskritik, fand dort statt. So konnte man nach Julia Mihálys „Trigger me“-Konzert die Bandbreite „das coolste bis jetzt“ aus einem freudestrahlenden Gesicht bis „so a Schmarrn, größte Kinderkacke, die ich je g’sahn“ vernehmen, während andere einfach nur die Schulter zuckten und „sie kann an ihrer Art auf der Bühne zu gehen noch was machen“ murmelten.

Aber auch die Tagesplanung wurde nach den Empfehlungen der Treppe angepasst. So hatte man die erste Aufführung von Radio Tautitotito – oder im Treppenjargon „Radio Tatütata“ – bereits nach 1,5 von 3 Stunden verlassen, aber erfuhr dort, dass nach 1,75 Stunden ein Twist im Stück sei und es sich unbedingt lohnen würde bis zum Ende zu bleiben. Also ging man am nächsten Tag erneut hin – Stichwort FOMO – und stellte fest, dass die eigenen Mozartkenntnisse zu übersichtlich sind, um den Witz zu verstehen.

Aufregend: Workshop-Präsentationen der Teilnehmenden

Das Aufregendste der Ferienkurse, da Plot und Gehalt nicht voraussehbar waren, stellten die Workshop-Präsentationen der Teilnehmenden dar. Die Erwartungen stiegen zwar, wenn die Workshopleiter*innen beispielsweise Kubisch oder Walshe hießen, und Ergebnisse, wie das der jungen Künstlerinnen Yiran Zhao und Kristine Lindemann aus dem Workshop „Composer-Performer“ (David Helbich, Jennifer Walshe) übertrafen diese, verdeutlichten abermals, was die nächste Generation bewegt: Körper und weiter gedacht die Frage nach der eigenen Identität. Das Mittel der Wahl: Kamera und Projektion. Mit stethoskopartigen Mikrofonen ertasteten die beiden Künstlerinnen Zhao und Lindemann ihre Körper und es ertönte ein harsch-filigran, silberfadenartiger Klang, während eine Kamera sie dabei filmte und ein Beamer diese Bilder mehrfach wiederum hinter ihnen projizierte. Natürlich kann in der Zeit eines Vorbereitungstreffens und wenigen Tagen vor Ort kein Quantensprung in der Musikgeschichte genommen werden, aber weitere kleine Fetzen für den Minidiskurs.

Das ‚Ferien‘ im Titel verweist darauf, dass Darmstadt nicht nur Aufführung, Workshop und Diskurs sein soll. Zur Musik-Theater-Performance „Tarzan“ von und mit God’s Entertainment kam vorgeblich manch einer, weil man sich erzählte, dass der Ausschank von Gin Tonic an alle Zuhörenden werkimmanent sei. Doch ein kleiner Gin Tonic hätte ehrlicherweise niemanden bewegt. Doch auch das Frönen der einfachen Bedürfnisse, das Vergnügen und der Exzess gehören zu Darmstadt, was die ganze Sache nicht minderwertiger macht, sondern gar menschlicher bei aller Intellektualität.

Das carpe diem der diesjährigen Ferienkurse war vermutlich simpel den Temperaturen geschuldet. Doch das muss nicht schlecht sein. Manchmal und zur Abwechslung ist es doch auch ein gutes Ergebnis, wenn sich junge Menschen aus fast der ganzen Welt (bis auf eine Videoeinspielung fehlte Afrika) treffen, um ihre Musik aufzuführen, eigene Worte dafür zu finden und gemeinsam in dieser Utopie aufzugehen. Ihren Höhepunkt erreichte sie, als sich nachts beinahe 50 Teilnehmerinnen zu einem Techno-Rave auf einer Waldlichtung zusammenfanden, um rechtzeitig um 6 Uhr morgens bei Stockhausens „Stimmung“ eben auf dieser Lichtung ‚da‘ zu sein.

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