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 Martin Candela (Tyrsis), Martin-Jan Nijhof (Damon) Foto: © Andreas Lander
Martin Candela (Tyrsis), Martin-Jan Nijhof (Damon) Foto: © Andreas Lander
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Damon lässt die Puppen tanzen –Telemanns Singspiel „Damon“ in Magdeburg

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Regie, Bühne und Kostüme „holen mehr raus als drin ist“ und „rascheln gewaltig mit der Verpackung“, meint unser Kritiker Joachim Lange zur Premiere des selten gespielten Singspiels „Damon“ von Georg Philipp Telemann bei den 23. Telemann Festtagen Magdeburg.

Es fängt an wie auf einer Beerdigung. Doch der angeblich Verblichene legt sich selbst in den offenen Sarg. Trauergäste trudeln ein, begrüßen Zuschauer mit Handschlag oder sind mit ihrem Handy beschäftigt. Sie haben schrill toupierte Frisuren im poppigen Barock-Look. Zur schwarzen Kleidung, die mehr von der Gegenwart inspiriert ist. Dann kommen auch noch die Intendantin Karen Stone und der (echte) französische Botschafter Philippe Etienne auf die Bühne. Die französische Exzellenz hat nach der Ausstellungseröffnung in der Moritzburg in Halle am Vortag schon wieder einen kulturellen Schirmherren-Termin in Sachsen-Anhalt. Also gibt es ein charmantes Grußwort, denn das französische (Spezial-) Orchestre d‘Opera Fuoco sitzt im hochgefahrenen Graben. Und sieht auch aus wie zu einer Beerdigung bestellt. Zuletzt kommt der Pfarrer. Im Talar, mit weißem Kragen und gemessenen Schrittes tritt er ans Rednerpult und begrüßt die Trauergemeinde im täuschend echten Pastorentonfall. Im Nebenjob ist der natürlich der Dirigent David Stern.

Fortan sorgt der mit großer Ausdauer dafür, dass seine fabelhaften Musiker bei der ziemlich rezitativlastigen Telemann-Musik zum flott gereimten Wort Ping-Pong (zu dem sie einmal tatsächlich sogar Tischtennis spielen) den Faden nicht verlieren, mit spürbarem Genuss für sich selbst und die Gemeinde in den melodisch anrührenden ariosen Einzelstücken schwelgen, die Telemann zum Glück auch über den zweieinhalbstündigen Abend verteilt hat, um dann auch mal im Modus des Furiosen durchzuatmen, wenn das Orchester loslegen darf.

Musikalisch ist das ein – sagen wir mal – apartes Vergnügen. Wenngleich wohl kaum ein Händel-Liebhaber im Gefolge Damons zum Telemann-Fan konvertieren dürfte. Der Hamburger Gänsemarkt ist halt doch nicht der Londoner Haymarket, von dem aus der Hallenser den seinerzeitigen musikalischen Weltmarkt anführte.

In Magdeburg ist gleichwohl das drin, was oben drauf steht. Telemann nennt seinen 1718 in Leipzig uraufgeführten und 1724 nach Hamburg übernommene Dreiakter über den „neumodischen Liebhaber Damon“ nämlich „Scherzhaftes Singspiel“. Und genau das packen Regisseur Aron Stiehl, Frank Philipp Schlößmann (Bühne) und Diethild Konold (Kostüme) aus. Im Grunde holen sie mehr raus als drin ist. Und rascheln gewaltig mit der Verpackung. Jede Gefahr von langweiliger Routine wird mit einem Feuerwerk von kleinen und großen Einfällen offensiv umgangen. Das beste Stück des Satyrs gehört dabei zu den übergroßen. Samt kalauernder Schlangenbeschwörer-Nummer, bei der eine Flöte für den Daueraufstand bei (an) dem bis aufs Fell nackten, nach der Sauna in die Wanne gestiegenen Satyr sorgt. Und wenn schon einmal in der Wanne, dann gibt’s auch noch den an sich mörderischen Föhn als Zugabe. Aber das mythisch geile Monster verträgt diesen Stromschlag ebenso gut wie den auf dem elektrischen Stuhl, den es ebenso anachronistisch wie den Panzer und die Sauna in Schlößmanns hübsches arkadisches Zypressenwäldchen verschlagen hat.

Wie eben jenen Damon, den Martin-Jan Nijhof mit der überzeugendsten vokalen Leistung des Abends ausstattet. Dieser Satyr gibt den triebgesteuerten Eroberer. „Ich glühe vor Sehnsucht, ich lodre vor Liebe! Mein brennend Verlangen erhitzet die Triebe und macht mich zum Ätna verzehrender Glut!“ singt er und von Trieben ist dauernd die Reim-Rede. Er dringt zunächst in Kampfanzug und mit einem Panzer in das Theaterarkadien ein und bringt dort mit seinen Avancen das erotische Gleichgewicht gründlich durcheinander.

Der anfangs angeblich verblichene Tyrsis (Martin Candela) spielt, als verführerische nicht nur von Damon heiß begehrte Nymphe Caliste getarnt, die ganze Zeit als „Frau“ mit. Doch auch die schöne, sich in den Wahnsinn redenden Mirtilla (Natalie Pérez) und die permanent hinter dem falschen Mann herjagende Elpina (Jennifer Courcier) verstecken sich ebenso wie Laurindo (Alexandre Artemenko) und Egasto (Thomas Florio) allesamt zur Abwehr Damons hinter bar- und vollbusigen handgeführten Puppen im Südseelook. Inklusive einer Orgie im Stile der Muppet-Show. Samt Lack-und-Leder-Domina Caliste. Das hat zunächst erfrischend inkorrekten Witz, wird aber als tragende Idee bis zum Letzen ausgereizt. Wenn dieser Witz dann nicht nur umzingelt, sondern auch noch enttarnt ist, dann wird das Daueramüsement auch ein bissl anstrengend.

Am Ende behält Damons offizielle bessere Hälfte Nigella (Sylivia Rena Ziegler) die Oberhand. Was durchaus seine Richtigkeit hat, bei einer Frau, die sich als Putzfrau verkleidet schon an der Garderobe und im Foyer einen Überblick verschafft, sich dann als Wahrsagerin auf der Bühne einschleicht und so zu den wenigen gehört, die wirklich den Durchblick behalten, in diesem Arkadien, in dem Damon die Puppen tanzen lässt. Vom Premierenpublikum gab es einhelligen Jubel.

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