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Stolzius (Michael Nagy), Marie (Barbara Hannigan) und „die Soldaten“ an der Bayerischen Staatsoper. Foto: Wilfried Hösl
Stolzius (Michael Nagy), Marie (Barbara Hannigan) und „die Soldaten“ an der Bayerischen Staatsoper. Foto: Wilfried Hösl
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Das Verstörungspotenzial eines Klassikers: Kirill Petrenko und Andreas Kriegenburg triumphieren mit Bernd Alois Zimmermanns „Die Soldaten“ an der Bayerischen Staatsoper

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Kaum ist die Musiktheater-Biennale vorbei, bringt die Bayerische Staatsoper quasi als Kommentar zu all den dort mit eher mäßiger Strahlkraft über die Bühne gegangenen Uraufführungen Bernd Alois Zimmermanns „Die Soldaten“ heraus – jenes Referenzwerk also, das meist als allererstes genannt wird, wenn es um die Möglichkeit geht, nach 1945 gültiges Musiktheater zu schaffen.

Mit dem Aufstieg zum Klassiker und dem Eingang ins Repertoire der Opernhäuser, die in der Lage sind, die enormen Anforderungen an den Bühnen- und Orchesterapparat zu stemmen, scheint freilich auch eine gewisse Bändigung einherzugehen. Zimmermanns bahnbrechende, Video- und Audioeinspielungen integrierende Umformung von Jakob Lenz’ „Komödie“, seine ob ihrer Kühnheit und Härte lange Zeit verstörende Vision einer pluralistischen Oper läuft bei entsprechender Regiehandschrift Gefahr, zum wohlig-modernistischen Schauder verharmlost zu werden. Solcherlei kann im Salzburger Festspielmitschnitt von Alvis Hermannis’ letztjähriger, historisierend-naturalistischer Inszenierung besichtigt werden.

Einen solchen Vorwurf der Glättung kann man Andreas Kriegenburgs Münchner Inszenierung sicher nicht machen. Mit großer Strenge bringt er die innere Vernichtung einer von Krieg und (sexueller) Gewalt deformierten Gesellschaft auf die Bühne. Für Kriegenburg lebt sie in dem Zustand, an dem sie nach dem von Zimmermann skizzierten Ende der Oper angekommen ist: In einem unterirdischen Bunker nach einer Atomkatastrophe perpetuieren sich die Verhaltensmuster, die Spirale abwärts dreht sich einfach weiter. Die Kostüme changieren, ganz im Sinne einer „Kugelgestalt der Zeit“, zwischen der Entstehungszeit von Lenz’ Drama einerseits und von Zimmermanns Oper andererseits, die Jazzcombo auf der Bühne ist entsprechend pilzköpfig.

Harald B. Thor hat dafür einen klaustrophobischen Beklemmungsort kreiert: Sieben kreuzförmig angeordnete, vergitterte Käfigzellen beherrschen – bisweilen in den Vordergrund herangefahren – die Bühne, deren Hauptspielebene durch einen Graben zweigeteilt wird. Über die beiden berühmten Simultanszenen hinaus eröffnen sie die Möglichkeit Parallelsituationen zu schaffen, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen wird erfahrbar.

Mit greller Schminke und zu einem Einheitstyp verschmolzen, bevölkern die Soldaten die Szenerie (ihre Uniformen spielen wiederum auf die SS an), machen sich zum hämmernden Preludio Sklavinnen und Sklaven brutal gefügig. Auch das übrige Personal scheint, getrieben von inneren und äußeren Zwängen, in ständig wiederkehrenden Verhaltensmustern befangen; obsessive Gesten sind sichtbarer Ausdruck dafür.

Anders Marie: Ihr Tänzeln strahlt kindliche Unschuld aus, von den Avancen Desportes’ (Daniel Brenna gibt den „Edelmann“ mit diabolisch verführerischem Falsett über metallischem Tenorkern) lässt sie sich gern umschmeicheln, glaubt, eine Entscheidungsfreiheit zwischen ihm und dem bürgerlichen Verlobten Stolzius zu haben (überragend in der baritonalen Grenzerkundung: Michael Nagy). Statt körperlicher Erfüllung erfährt sie von Desportes aber nur gewalttätigen Vollzug, nach und nach schleichen sich auch bei ihr neurotische Handlungen ein. Barbara Hannigan verkörpert die Marie mit totaler darstellerischer und stimmlicher Hingabe, die Spannbreite ihres Timbres ist atemberaubend. Ohne sich in den Vordergrund zu spielen, bildet sie den szenischen und musikalischen Fixpunkt des Abends.

Andreas Kriegenburg, der komplett auf Videozuspielungen verzichtet, choreografiert das alles (unterstützt von Zenta Haerter) mit großer Detailgenauigkeit und präzisem Musikbezug. Nur wenige Bilderfindungen nutzen sich durch die Wiederholung ab, so die aus den seitlichen Türen phallisch hereinfahrenden, Marie vor sich herschiebenden Bänke.

Ein Wunder an Durchhörbarkeit, Kompromisslosigkeit und Tiefenschärfe ist Kirill Petrenkos Dirigat, dem das Bayerische Staatsorchester mit Hingabe und Härte, Zerbrechlichkeit und brutaler Wucht folgt. Die Dialogszenen (etwa mit der voluminös-differenzierenden Okka von der Damerau als Charlotte oder der gleißenden Nicola Beller Carbone als Gräfin) entfalten in ihrer kammermusikalischen Präzision einen ebenso unwiderstehlichen Sog wie die genauestens ausbalancierten Choraleinschübe oder die großen Zusammenballungen in den beängstigend perfekt ineinandergreifenden (komplett live gesungenen) Simultanszenen. Ein Triumph für das bis in die kleinsten Rollen hinein hingebungsvoll agierende und singende Staatsopernensemble, dem Petrenko durch eine wohldosierte Dynamik Raum zur Entfaltung gibt.

Im apokalyptischen Ende vermag Kriegenburg mit übereinander sich stürzenden Leibern der Wucht von Zimmermanns Musik nicht mehr ganz standzuhalten. Marie kriecht aus den Müllsäcken hervor und wirft sich ein letztes Mal in ihre himmelstrebende Geste. Ein Ausweg? Offen blieb nach dem all zu schnell einsetzenden, einmütig tosenden Jubel für einen singulären Musiktheaterabend auch die Frage, ob und wie das Verstörungspotenzial von Zimmermanns Oper adäquat ins 21. Jahrhundert zu transportieren wäre.

Weitere Aufführungen: 28. und 31. Mai, 4. und 6. Juni sowie in der kommenden Spielzeit. Die Aufführung vom 31. Mai wird ab 19 Uhr kostenlos auf www.staatsoper.de/tv übertragen.
 

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