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Der Horn der Musik. Foto: Hufner
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Die Eskalation im Streit zwischen YouTube und der GEMA und ihre Hintergründe

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Seit einigen Jahren schon lodert der Streit um die Lizenzierung von urheberrechtlich geschütztem Material zwischen dem Video-Online-Dienst YouTube der der GEMA. YouTube will ein Portal für Filme sein (auch mit Musik), die GEMA will, dass YouTube dafür Lizenzgebühren entrichtet, wie es auch sonst in der Musikwelt üblich ist. Was Veranstalter können, was Rundfunkanstalten können, was CD-Produzenten können, sollte für YouTube doch nicht unmöglich sein. Jetzt aber schiebt YouTube den schwarzen Peter an die GEMA. Diese verhindere durch gerichtliches Vorgehen den Einigungsprozess. Und einige Chefs von Plattenfirmen stimmen erstaunlicherweise mit ein. Für viele Nutzer scheint klar zu sein, die GEMA ist immer schuld. Neuerdings greifen einige von ihnen dabei zu unlauteren Methoden, sie versuchen die Website der GEMA unerreichbar zu machen.

Anonymous nennt sich die Gruppe, die durch Angriffe auf die Webserver der GEMA, ihre Dienstleistungen und ihre Selbstdarstellung korrumpiert. „Die Hacker drohten am Wochenende, die GEMA-Website aufgrund der Streitigkeiten mit YouTube lahmlegen zu wollen. Die Webserver der GEMA waren aufgrund des Angriffs zwar kurzzeitig überlastet und die Services daher zeitweise nicht abrufbar, doch hielten die Server dem DDoS-Angriff stand“, schreibt die Pressestelle der GEMA.

Man mag von dem Streit zwischen YouTube und der GEMA halten was man will, aber seit kurzem ist die Sache vielfach unsauber gelaufen. Wenn YouTube neuerdings Nutzern in Deutschland eine Meldung anzeigt: „Leider ist dieses Video in Deutschland nicht verfügbar, da es Musik enthalten könnte, für die die GEMA die erforderlichen Musikrechte nicht eingeräumt hat“. Und die GEMA pariert: Diese Aussage sei „insofern falsch, als dass die GEMA aufgrund des Kontrahierungszwangs gesetzlich verpflichtet ist, jedem Lizenznehmer, d.h. jedem Musiknutzer, entsprechende Lizenzverträge anzubieten.“ Die GEMA muss es, aber in welchem Umfang und welche Kosten damit verbunden sind, das steht zur Disposition.

Plattenbosse positionieren sich gegen die GEMA

Öl ins Feuer haben einige Plattenbosse gegossen. Laut Spiegel online kritisiert der Deutschland-Chef von Universal Music, Frank Briegmann: „Man darf sich die Frage stellen, warum eine Einigung zwischen Verwertungsgesellschaften und YouTube in vielen Musikmärkten möglich ist, nicht aber in Deutschland, dem wichtigsten Markt Europas.“ Vielleicht, das sollte dem Kaufmann bei Universal auch klar sein, weil die Gegenleistung von YouTube zu gering ist? Wie man gehört hat, sind die Autoren derjenigen Verwertungsgesellschaften, die Deals mit YouTube geschlossen hatten, bei den erstmaligen Abrechnungen aus mancherlei Wolkenträumen gefallen. Viel kam dabei nicht rum.

Der Deutschland-Chef von Sony-Music nimmt es sogar persönlich: „Alles muss durch ein Nadelöhr, den Gema-Aufsichtsrat. Einige Mitglieder scheinen noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen zu sein.“ Es gebe „offenbar kein Interesse daran, werbefinanzierte Musik-Streamingdienste wie Vevo, YouTube und Spotify in Deutschland zuzulassen“, äußerte gegenüber Spiegel-Online.

Eine andere Rechnung

Vielleicht schadet da ein Blick in das Wirtschaftmagazin „Brand eins“ nicht. Dort hat Steffan Heuer folgende Rechnung aufgemacht. Um den US-Mindestlohn von 1160 Dollar zu erzielen, müsse ein Musiker monatlich entweder

  • 143 selbstgepresste CDs für 9,99 Dollar verkaufen
  • 12399 einzelne Stücke über iTunes verkaufen oder
  • 4.053.110 Abrufe über Spotify erreichen.

Das macht vielleicht klar, um welche Dimensionen es hier geht. Warum, muss man sich fragen, investieren denn dann die Plattenfirmen nicht in YouTube, indem sie die Veröffentlichungen finanziell stützen. Wenn allenthalben doch schwadroniert wird, dass die Präsenz der Musik bei YouTube quasi Werbung sei für den Künstler und natürlich für die Plattenfirma, die den Künstler betreut. Warum – außer aus Gründen der Unredlichkeit – verlangen die Firmen nicht, dass die Urheber der von ihnen veröffentlichten Produkte und auch die Verlage und Subverlage der Plattenfirmen die GEMA verlassen. Warum machen sie es denn nicht selbst, wenn es besser wäre? Welcher Deal zwischen GEMA und YouTube schwebte denn den Plattenfirmen vor? Null Cent? Das wäre für alle auch am leichtesten zu rechnen. Nein, es geht um „potentielle Beträge in Millionenhöhe“, wie die Spiegelautoren Konrad Lischka und Ole Reißmann vorrechnen. Das ist eine allerdings sehr dehnbare Angabe: 1 Million, 10 Millionen, 100 Millionen?

Die möglichen Hintergründe

Je nachdem, wie man rechnet, wie es scheint. Wahrscheinlich reicht den Plattenfirmen schon weniger als eine Million aus. Beteiligt werden sie ohnehin nur dann direkt, sofern sie auch die Werke verlegen, die bei ihnen erscheinen. Genau das dürfte der Grund für ihren Einsatz sein. Ihr Markt, der Verkauf der Musik selbst in kostenpflichtigen Angeboten wie CD oder Download leidet, weil die Urheber den Mund wohl nicht voll genug bekommen können. Deshalb ihr erbitterter Kampf gegen die sogenannte Internetpiraterie und ihre Sorglosigkeit in Sachen YouTube vs. GEMA. Mit gleichen Recht könnte man mahnen: „Liebe Plattenfirmen, dann verkauft doch privat eure Songs für 1 Cent das Stück. Die Piraterie könnte aufhören und die euch dadurch entgehenden Einnahmen in Millionenhöhe flößen an euch. Aber einige von Euch scheinen immer noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen zu sein.“

Erinnerung: Motivation der Musikindustrie

Erinnert sei an die Absicht des Bundesverbandes der Musikindustrie, der damals noch Bundesverband der phonographischen Industrie hieß, die Urheberbeteiligung an ihren Produkten zu senken. Im Jahr 2004 ging es um eine Absenkung von 9,009 Prozent auf 5,6 Prozent, was einen Ertragsausfall für die Urheber in „Millionenhöhe“ (genau 38 Millionen Euro) zur Folge gehabt hätte. Die ganze Sache musste abgeblasen werden, die Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt hatte die Position der GEMA Mitte 2005 bestärkt.

Es geht hier offenbar um den Versuch, die GEMA und die Urheber an den Rand zu drängen und als die Bösewichte auszumachen, die sie „so“ nicht sind. Ein Kunstgriff der Rhetorik und der Taktik der Kriegskunst gewissermaßen. Die Schwärme, siehe Anonymous, und die zahlreichen übelwollenden Einträge im Blog der GEMA zeigen, dass bestimmte Netzaktivisten angebissen haben. Sie sind die willigen Instrumente der gerade startenden Kampagnen. Und leider beweist es auch, dass nicht das digitale Zeitalter unser Problem ist, sondern die Absenz von rationaler Argumentation auf den Kanälen der Kommunikation.

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