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„Unerträgliche Bedingungen“: Mathias Spahlinger rechnet mit der Ernst von Siemens Musikstiftung ab. Foto: nmzMedia
„Unerträgliche Bedingungen“: Mathias Spahlinger rechnet mit der Ernst von Siemens Musikstiftung ab. Foto: nmzMedia
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„Direkter Angriff auf meine Selbstachtung“: Mathias Spahlinger lehnt Förderung durch die Ernst von Siemens Musikstiftung ab

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In einem offenen Brief an das Schweizer Festival „usinesonore“ hat der Komponist Mathias Spahlinger begründet, warum er auf das Honorar für seine Auftragskomposition „off“ (1993/2011) verzichtet, die im März im Rahmen des Festivals uraufgeführt wird. Nachdem er erfahren habe, dass sich die Förderung der Ernst von Siemens Musikstiftung für „usinesonore“ ausdrücklich auf sein Werk beziehe, nehme er auf diese Weise von seiner Einflussmöglichkeit Gebrauch. Die Förderbedingungen, auf die er sich dabei unter anderem beruft, sind indes – dies ergab eine Rückfrage von nmz Online bei der Stiftung – nicht so restriktiv, wie Spahlinger sie darstellt.

Neben Bedenken angesichts der Firmenhistorie, die – so Spahlinger – ungeachtet der Unabhängigkeit der Ernst von Siemens Musikstiftung von der Firma Siemens durchaus mit zu berücksichtigen sei, zeigt der Komponist sich empört über die Förderbedingungen der Stiftung. Diese schrieben beispielsweise vor, dass die Stiftung als Unterstützer vor der Aufführung angesagt werde müsse.

Der entsprechende Passus der auf der Homepage einsehbaren Förderbedingungen lautet: „Zudem verpflichtet er [der Leistungsempfänger] sich, die Förderung bei der Uraufführung entsprechend zu nennen.“ Eine Rückfrage bei der EvS Musikstiftung ergab, dass dies nicht in dem von Spahlinger monierten Sinne zu verstehen sei („eine derartige peinlichkeit habe ich bis jetzt nur in der allertiefsten provinz erlebt“), sondern beispielsweise durch die Nennung im Programmheft abgedeckt sei. Auch was die Größe von Logoabdrucken u.ä. betrifft, zeige man sich den Veranstaltern gegenüber stets sehr kulant, so die Stiftung, die inhaltlich keine Stellungnahme zu Spahlingers Brief abgab.

Tatsächlich sind keine Fälle bekannt, bei denen in einem Konzert die Förderung durch die Ernst von Siemens Musikstiftung angesagt worden wäre. Allein bei Festivals wie Éclat oder den Donaueschinger Musiktagen hätte dies in der Vergangenheit auffallen müssen.

Zumindest indirekt hat Mathias Spahlinger in der Vergangenheit von der Förderung durch die Stiftung durchaus schon profitiert. So wurden die Großprojekte bei den Donaueschinger Musiktagen in der Vergangenheit immer wieder von der EvS Musikstiftung gefördert, so auch die Uraufführung seines Werkes „doppelt bejaht – etüden für orchester ohne dirigent“ im Jahr 2009. Eben diesen „indirekten Profit“ kritisiert Spahlinger, da für den Künstler kaum eine praktikable Möglichkeit der Einflussnahme darauf gegeben sei, in welchem Sponsoren-Umfeld sein Name genannt werde.

In jedem Fall sind Spahlingers Überlegungen zum Verhältnis von Künstler und privater Kunstförderung und zur „Instrumentalisierung von Kunst und Künstlern als Werbeträger“ höchst nachdenkenswert, weshalb wir den Brief hier auch vollständig dokumentieren:

 

offener brief an:

association usinesonore olivier membrez
co-directeur artistique malleray-bévilard schweiz

2012.01.26

lieber herr membrez,

zum glück habe ich noch einmal zurückgefragt, nachdem sie mir berichtet hatten, dass das festival usinesonore 2012 von der siemens-stiftung finanziell unterstützt wird. ich wollte wissen, ob dieses geld dem festival allgemein zugute kommt oder ob es direkt zur finanzierung des kompositionsauftages dient, den sie mir erteilt haben, also an meine person gebunden ist.
leider hat man als beteiligter komponist oder interpret nie einen einfluss darauf, wie und woher ein veranstalter das geld bekommt und man liest überrascht oder auch verärgert erst im programmheft, mit wem zusammen man in einem atemzug genannt wird.
sie schreiben, dass die siemens-stiftung € 6500 speziell für meine komposition zur verfügung stellt. also habe ich in diesem fall einfluss und ich mache davon gebrauch.

die siemens-stiftung knüpft an diese unterstützung verschiedene bedingungen, die ich unerträglich finde.
sie verlangt, dass in meiner partitur stehen soll "kompositionsauftrag von usinesonore" (was den tatsachen entspricht und mir eine ehre ist) und "finanziert von der ernst von siemens musikstiftung". niemand mehr kann bei dieser formulierung auf die idee kommen, dass ich ein heftiger kritiker bis gegner des privaten sponsorenunwesens bin und niemals auf die idee käme, die siemens-stiftung um finanzielle unterstützung eines projektes zu bitten, an dem ich beteiligt bin.
des weiteren verlangt die siemens-stiftung, dass der vermerk im programmheft abgedruckt wird "mit freundlicher unterstützung von", gefolgt vom logo der stiftung und dass beides deutlich mit meinem stück verbunden sein muss. sie werden verstehen, dass ich dies als direkten angriff auf meine selbstachtung empfinde und dass ich etwas derartiges nicht mitmachen will. wer symbole lesen kann, der versteht: hier wird macht demonstriert. hier sagt jemand (zum glück wenigstens brutal und ungeschönt): "ohne moos nix los, die kohle kommt von uns, wer zahlt befiehlt. die kunst gehört uns und damit auch die künstler, denn an uns kommt inzwischen keiner mehr vorbei." ein feines steigerndes detail dabei ist noch, dass sich die stiftung vor druck des programms und vor auszahlung des geldes ein imprimatur vorbehält, nach sichtung des entwurfs des programmheftes, um sicherzustellen, dass das logo die richtige größe und die erforderliche nähe zu meinem namen hat. doch damit nicht genug. als eingriff in den programmablauf und ihre souveränität als veranstalter verpflichtet die stiftung sie, dass vor der aufführung die unterstützung auch noch angesagt werden soll. eine derartige peinlichkeit habe ich bis jetzt nur in der allertiefsten provinz erlebt, als einer der organisatoren den schlussapplaus abbrach, um den großzügigen mittelständischen unternehmer beim namen zu nennen, der an diesem ort die kunst möglich gemacht hat.

diese art der präsentation und die instrumenalisierung von kunst und künstlern als werbeträger (nichts gegen profanierung: eine anders gerichtete art von diesseitigkeit könnte der kunst nicht schaden) läuft meiner einstellung in diesen fragen diametral entgegen und wirkt, wie ich das verstehe, rufschädigend. um eine zurückweisung dieser zumutungen möglich zu machen, verzichte ich auf jedes honorar.

"das muss man sich aber leisten können" höre ich manchen leser dieses offenen briefes einwenden - und das ist richtig. um so schlimmer: mancher kann es sich nicht leisten; ich kann es eher, darum tue ich es. und ich hoffe nur, dass niemand, der solches geld dringend braucht, mir den moralischen zeigefinger unterstellt. wer in ländern ohne funktionsfähige öffentliche kunstförderung lebt, ist auf die spenden der privaten angewiesen und hat jedes recht, geld in anspruch zu nehmen. denn das geld der privaten ist nicht privat. dass es sich hier also um mehr handelt, als nur um das beleidigtspielen eines einzelnen komponisten, will ich, so knapp es eben geht, darzulegen versuchen.

man hört immer wieder sagen, das geld der siemens-stiftung (analoges gilt für andere) stamme aus dem privatvermögen von ernst von siemens und habe mit der jetzt existierenden firma siemens nichts zu tun. ich sagte vorher: das geld der privaten stiftungen ist nicht privat. schon an seiner quelle nicht, denn die quelle ist die kapitalistische wirtschaftsweise, deren ziel es ist, aus geld mehr geld zu machen. sie macht sich die gelegenheit zunutze (und hat diese bedingungen zum teil auch erst mit gewalt geschaffen), dass unter den vielen waren, die sich auf dem markt finden, eine besondere, mit allen anderen unvergleichliche ist, diejenige, die nicht fertiges produkt von arbeit ist, sondern selber produktivkraft, die arbeitskraft. diejenigen menschen, die nichts auf den markt zu tragen haben, als ihre haut, die lohn und gehaltsabhängigen, und das sind die allermeisten von uns, schaffen die werte.
unter dem konkurrenzdruck sind die "arbeitgeber" (die die arbeit nehmen und verwerten, sich die werte aneignen, in privateigentum verwandeln) in der lohngestaltung nicht empfindlich. von der sklavenarbeit im nationalsozialistischen konzentrations-lagersystem hat auch siemens profitiert; es fällt schwer zu glauben, dass ernst von siemens, der 1943 stellvertretendes vorstandsmitglied von siemens und halske wurde, davon nichts gewusst haben soll. das allein wäre grund genug, geld nicht haben zu wollen, das mit diesem namen verbunden ist. allerdings habe ich es mir angewöhnt, auf dieses argument zu verzichten; die leute mögen es nicht mehr hören und hören einem auch nicht mehr zu. die meisten industrieunternehmen und banken, die politisch unkorrekt verbündet waren und sind, haben sich, klugerweise, von kompetenten und weitgehend unabhängigen historikern ihre firmengeschichten schreiben lassen. da schrumpft dann die dunkle vergangenheit in der gesamtdarstellung auf ein kleines bündel von seiten zusammen. dagegen kommt man nicht an. "alle haben mitgemacht" ist dann kein argument mehr, sondern eine erklärung oder gar entschuldigung. und es kann auch kein mittel der aufklärung mehr sein, mit menschheitskatastrophen skandal zu machen. der normalfall ist der skandal.

wer so viel geld hat, dass er stiftungen gründen kann, hat entweder zu geringe löhne und gehälter gezahlt oder zu wenig steuern. er hat darüber hinaus seine spendentätigkeit von der steuer abgesetzt, also abermals eigentlich allgemeines eigentum privatisiert, darüber nach eigenem gutdünken verfügt und sein ansehen als wohltäter zuförderst gefördert, indem er "sein" öffentlich und gemeinschaftlich erwirtschaftetes privatvermögen der öffentlichen verfügung und der demokratischen entscheidung entzogen hat. er hat also eigentlich der demokratie entgegengearbeitet.
in deutschland ist es ein politikum (oder ich wünschte, dass es das wäre), ob und mit welchen sponsoren man etwas zu tun haben möchte. die siemens-stiftung ist nicht für die kultur da, sondern unter der regie der stiftung ist die kultur dazu da, das image des namens siemens zu verbessern. für diesen namen mache ich nicht mit meinem namen reklame. leider hat die demokratisch legitimierte kulturpolitik der öffentlichen hand und des öffentlich-rechtlichen rundfunks in deutschland durch das private sponsoren- unwesen viel macht verloren, verweist die künstler zunehmend auf sponsoren und ist selber, unter internem finanz- und legitimationsdruck, auf sie angewiesen – zum teil leider durch eigene unachtsamkeit. prominente festivals werden mit misch-finanzierung geplant, bei der es unmöglich ist aufzuschlüsseln, welches projekt von wem bezahlt wird. so ist es unvermeidlich (wenn man seinen beruf nicht aufgeben will) in einem programmbuch zusammen mit sponsoren genannt zu werden, mit denen man nichts zu tun haben möchte.
selbstverständlich kann man über fragen des privaten und öffentlichen
eigentums und über verteilungsgerechtigkeit fast endlos streiten. ich bin dafür, dass das auch getan wird. und dass nicht, während des lautstarken trommelns für den status quo, alternativen garnicht erst gedacht werden.
es dürfte herausgekommen sein, dass ich den standpunkt vertrete, die macht der ökonomie muss demokratisch kontrolliert werden, dass ich der meinung bin, die siemens-stiftung und vergleichbare organisationen nutzen ihre vormachtstellung im kulturbetrieb schamlos aus zu eigenen werbe- und imagezwecken, zum schaden der kulturarbeit der politisch zuständigen und des öffentlich-rechtlichen rundfunks, und dass sie das erreicht, indem sie geld verteilt, das ihr nicht gehört.

es würde mir leid tun, lieber herr membrez, wenn aus meiner entscheidung für sie zusätzliche organisatorische probleme entstehen sollten; und ich bitte sie um verständnis dafür, dass ich mich außerstande sehe, anders zu handeln.

mit freundlichen grüßen, ihr

mathias spahlinger

ps: wenn sie der siemens-stiftung gegenüber meine entscheidung begründen möchten, können sie gerne dieses schreiben weiterleiten.

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