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Das Ensemble Iberoamericano
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Entwurzelt und verloren: Spanisch-lateinamerikanische Musik mit dem Ensemble Iberoamericano

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Zeitgenössische Musik aus Lateinamerika? Da entstehen sofort klischeehafte Vorstellungen von heißblütigen Rhythmen, zu denen man die Hüften schwingen kann. Die ersten Takte der CD des Ensemble Iberoamericano widerlegen dieses Klischee erfolgreich. Im Mittelpunkt steht die emotionale Zerrissenheit der Exilanten aus Spanien, die aufgrund der politischen Umstände im 2. Weltkrieg gezwungen wurden, nach Chile zu flüchten.

Ein Schiff voller Heimatvertriebender, welches in eine neue große jedoch ungewisse Zukunft gen Westen aufbricht: Im ersten Stück „Winnipeg“ von Ramón Gorigoitia wird diese Geschichte entwurzelter, verwirrter und verlorener Menschen in gekonnten Effekten und dramaturgisch klar, fast als Hörspiel in Szene gesetzt. Die Informationsflut lässt allerdings wenig Raum für Fantasie. Die Dialoge illustrieren hingegen gekonnt die Stimmung und die Hilflosigkeit gegenüber dem Zeitgeschehen.

In der „Fantasía dramática“ (uraufgeführt 2010) von Xavier Benguerel dominiert das Klavier im Dialog mit anderen Instrumenten. Auch hier erkennt man bisweilen Berenguels Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte als Emigrant mit Revoluzzer-Gen, die sich allerdings eher in einer stillen, unheilvollen Interpretation zeigt. Interessant ist auch die introvertierte Reflexion der Geschichte im Kontrast zum Seelen-Spektakel von Gorigoitias Stück. Die instrumentale Inszenierung als Sinnbild des Erschreckenden kommt eher durch den homogenen Einsatz des Gesamtklangs als durch einzelne überraschende Elemente zum Ausdruck.

Fernando Garcías „Anbruch eines neuen Tages“ ist – nach dem Vorbild von Schönbergs op. 10 – für Streichquartett und Sopran-Besetzung komponiert. Das Ensemble schafft es auch hier, die solistisch inszenierten Dramen zu charakterisieren und den Bogen von der kammermusikalischen Gestaltung bis zu solistischer Entfaltung zu spannen. Lichtpunkte sind die immer wiederkehrenden Vogel-Imitationen der Viola, bis das Werk zum Ende hin nach großem Crescendo unerwartet abreißt.

Nach so viel gelebter Geschichte bietet Manuel de Fallas „Concerto per clavicembalo o pianoforte“ einen willkommenen Kontrast. Das Meisterwerk gibt dem Ensemble einmal mehr Gelegenheit, sein überragendes Niveau zu zeigen. Alles in allem ein gekonnter Spagat verschiedener Welten, Reminiszenzen und Generationen.

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