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Thomas Florio (Jean), Lucia Cervoni (Julie) Foto: ©Nilz Böhme
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Frei wie die Vögel in der Voliere – Oper Magdeburg bringt Philippe Boesmans Kammeroper „Julie“ heraus

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Es war eine der Opern-Uraufführungen mit Folgen, die da 2005 in der Brüsseler La Monnaie als Strindberg-Veroperung über die Bühne ging. Für Philippe Boesmans Kammeropern-Einakter „Julie“ hatte Theaterlegende Luc Bondy das deutschsprachige Libretto aus dem Stück „Fräulein Julie“ von 1888 destilliert. Da die Uraufführungsinszenierung, die ebenfalls von Luc Bondy besorgte, zu den Wiener Festwochen und zum Festival nach Aix-en-Provence weitergereicht wurde, bekam das Werk gleich einen nachhaltigen Schubs auf die Bühnen. Für das klug gebaute Ergebnis braucht man zudem „nur“ drei Solisten und ein Kammerorchester. Machbar ist das für jedes Haus mit etwas Ehrgeiz fürs Neue.

Die Oper Magdeburg brachte diese „Julie“ jetzt auf der Studiobühne des Schauspielhauses heraus. Die Musiker der Magdeburger Philharmoniker sind in Kammerorchesterstärke und mit Jovan Mitic am Pult im Hintergrund auf offener Bühne postiert. Eine Vogelvoliere mit Bäumen und lauter künstlichen bunten Piepmätzen schirmt es von der Spielfläche ab. Vor dem locker geflochtenen Draht stehen zwei unscheinbare Truhen für die paar Utensilien, die gebraucht werden. Links davon hat Bühnenbildner Tal Shacham noch einen Baum platziert. Dadurch bekommt die abstrakte Spielfläche – ohne dass weitere naturalistische Versatzstücke nötig wären – einen Hauch von nobler Landhaus-Atmosphäre. 

Das ist der so karge wie schlüssige szenische Rahmen für die tödlich endende Menage a trois, die sich in einem Spiel zwischen den drei Akteuren entfaltet, bei dem alles aus den Fugen gerät. Grafentochter Julie und der ehrgeizige und virile Diener Jean streben aufeinander zu.

In der Inszenierung von Sebastian Gruner geht die Initiative für die damit verbundene (und mit geräuschvollem Stöhnen in der Voliere erfolgte) Überschreitung von sozialen Grenzen eindeutig von Julie aus. Ihre vage schwärmerischen und seine handfest kalkulierenden Ausbruchspläne aus ihrem Leben in klar definierten Rollenbildern gehen freilich schnell in dem erotisch getriebenen Spiel von Verführung, Unterwerfung und Dominanz unter. Dabei erweist er sich endgültig als der Hallodri, von dem wir seit seinem Gesichtsausdruck bei Julies Eröffnung, dass sie kein eigenes Geld für die „Flucht“ beisteuern kann, überzeugt sind. Die patriarchalische Auffassung von weiblicher Ehre, die Julie trotz ihres zur Schau gestellten Selbstbewusstseins verinnerlicht hat, lassen ihr als Ausweg letztlich nur den Selbstmord. Dazu reicht ihr Jean mit offen zur Schau gestelltem Zynismus das Rasiermesser. Dass das bei allem sonst herrschenden Selbstbewusstsein etwas plötzlich kommt, und dieses Spiel mit dem Feuer (bei Julie) und der männlichen Macht, die in patriarchalischen Gesellschaften auch über die Standesgrenzen reicht, etwas unvermittelt endet, liegt nur zum Teil am Zugriff der Regie. Es liegt auch am Stück selbst. Jean jedenfalls wird sich, nach dem sein Traum von einem Leben als Hotelier in der Schweiz mit Julie an seiner Seite geplatzt ist, wohl wieder der lebensklugen Köchin Kristin zuwenden und weitermachen, als wäre nichts gewesen. 

Die Mezzosopranistin Lucia Cervoni, die 2015 schon in der kanadischen Erstaufführung als Julie bejubelt wurde, ist eine attraktive, spielerisch fordernde Julie, die es mit ihrem Auftreten versteht, die Enttäuschung über Jean glaubhaft zu vermitteln. Julie Martin du Theil macht mit präzisen Höhen aus der melodiösen Sopranpartie eine bodenständige Kristin. Thomas Florio ist ein Jean, der erst zögerlich die Avancen Julies abwehrt, dann aber seine Chance wittert, zugreift und ebenso pragmatisch wieder zur Tagesordnung übergeht, als die Sache schief geht.

Gesungen und gespielt wird von den drei Protagonisten ebenso fabelhaft wie vom Orchester. Dabei schmiegt sich Boesmans bühnenaffine Tonsprache nicht nur an das gesprochene Wort zu einem dringlichen Parlando; dazwischen atmosphärische Zuspitzungen und pointiert eskalierende Crescendi. Mit einer spektakulär ausbrechenden Gewittermusik an der passenden Stelle. Vor allem musikalisch überzeugt diese Kammeroper durchweg.

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