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Axel Dörner in Nickelsdorf. Foto: Holger Pauler
Axel Dörner in Nickelsdorf. Foto: Holger Pauler
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Freie Improvisation im Grenzbereich – Die 35. Auflage der Konfrontationen in Nickelsdorf

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„Where is Vienna? - Near Nickelsdorf!“, heißt einer der meist erzählten Scherze in Freejazz-Kreisen. Die dortigen Konfrontationen gingen am Wochenende in ihrer 35. Auflage. Grenzerfahrungen gehören im Burgenland, kaum 500 Meter von der ungarischen Grenze entfernt, dazu: Musikalisch, politisch und geografisch. Und auch wenn es den Freejazz der Anfangsjahre nur noch in Ansätzen gibt, die Bedeutung ist geblieben.

Die Namen der ersten und zweiten Generation fehlten: Brötzmann, Schlippenbach oder Vandermark. Manche mögen dies bedauern aber als Überlebenskonzept ist es durchaus nachvollziehbar. Ein Festival, das sich nicht nur im Titel die Konfrontation auf die Fahne geschrieben hat, muss sich frei machen davon, nur noch funktionieren und reproduzieren zu wollen – zumal der Freejazz und die freie Improvisation mittlerweile selbst Teil der Geschichte des Jazz geworden sind, gegen die er Ende der 1960er und 70er Jahre angetreten war.

Die Rechnung von Festivalmacher Hans Falb, auf die unbekannteren Namen zu setzen, ging dabei nicht immer auf – letztlich waren es doch die bekannteren Musiker, die für die Höhepunkte sorgten. Am Freitag zeigten zwei ähnlich strukturierte Trios die komplette Bandbreite der freien und improvisierten Musik: Okkyung Lee (Cello), Axel Dörner (Trompete) und Achim Kaufmann (Piano) auf der einen, Georg Gräwe (Piano), Ernst Reijseger (Cello) und Gerry Hemmingway (Schlagzeug) auf der anderen Seite. Freie Improvisation wird dabei oft mit Geräusch, mit Krach oder im besten Falle: mit der Abwesenheit von Melodien gleichgesetzt. Doch beide Formationen zeigten, dass die Improvisation mehr ist als nur ein Stilmittel des Musizierens. Die Resultate können dabei völlig unterschiedlich ausfallen.

FreeTrio

Der Auftritt von Lee, Dörner und Kaufmann bewegte sich dabei an der Peripherie der Klänge. Das von der Trompete Dörners dominierte Trio zeigte, dass dort eine Menge Platz ist und dass noch längst nicht alle Aspekte erkundet wurden: Überblastechnik oder präpariertes Klavier gehören mittlerweile zum Standard und sorgen längst nicht mehr für Erstaunen oder Entsetzen. In der hier dar gebrachten Perfektion ist es Unterhaltung auf höchstem Niveau.  

Das Trio um den Pianisten Georg Gräwe widmete sich eher der klassischen Improvisation: Seit einem viertel Jahrhundert spielen die drei Musiker bereits zusammen – eine Tatsache, die dem Entwicklungsprozess der Musik nicht zwangsläufig gut tun muss. Hier ist es anders. Ernst Reijseger bildet auf der Bühne nicht nur optisch den Mittelpunkt. Der Niederländer spielt das Cello mit einer Leichtigkeit und Perfektion, dass man meinen könnte, er sei mit dem Instrument verwachsen. Mit diesem Könner in der Mitte war es für Gräwe und Hemingway eines Leichtes, die Vorlagen zu nutzen. Besonders Gräwe lieferte kaskadenartige Sequenzen, die von seinen beiden Mitspielern spielend aufgenommen wurden.

Kontroverses

Ein anderer Auftritt sorgte durchaus für Diskussionen. Louis Moholo, der mit The Blue Notes und Brotherhood of Breath den südafrikanischen Freejazz nach Europa brachte und in der 1980ern mit Brötzmann und Harr Miller eines der energetischsten Trios der 1970er und 80er bildete, traf auf den Pianisten Alexander Hawkins. Ein kontroverser Auftritt: Während Moholo sein Drumset gewohnt fließend und rhythmisch bespielte, antwortete Hawkins vor allem mit harmonischen Klängen und Akkorden, streute Themen von Chris McGregor oder Dollar Brand ein. Die eigene Note schien dabei auf der Strecke zu bleiben. Nicht alle Gäste konnten mit einem derartig versöhnlichen Konzept umgehen – vereinzelte Buhrufe waren die Folge.

Die Sehnsucht nach Zeiten, in denen in Nickelsdorf, Wels oder Ulrichsberg der Freejazz regierte wurde nicht nur hier spürbar. Das Trio um den Niederländer Luc Houtkamp (Saxofon), Simon Nabatov (Piano) und Martin Blume (Schlagzeug) bewegte sich am ehesten in dieser Tradition: Zwei lange, ausgedehnte Sets, die von der kollektiven Idee lebten und in denen die Musiker niemals die Spannung verloren – ein intuitives Zusammenspiel, das über die Jahre gewachsen ist und beinahe blind funktioniert. Der Applaus war hier besonders groß.

Die regionale Szene

Auch die regionale Szene spielt in Nickelsdorf eine wichtige Rolle. Susanna Gartmeyer (Bassklarinette), Katharina Ernst (Schlagzeug) und „Dieb 13“ (Turntables) war es vorbehalten, dass Festival am Donnerstag zu eröffnen. Ein gelungener Auftakt: „Dieb 13“ forderte die beiden Musikerinnen permanent, so dass keine Langeweile aufkam – auch nicht in denen Momenten, in denen sich das Trio in beinahe kammermusikalischen Sphären bewegte. Ebenfalls gelungen war der Auftritt von Polwechsel mit Werner Dafeldecker (Kontrabass), Michael Moser (Cello), Burkhard Beins (Percussion) und Martin Brandlmayr (Schlagzeug). Das ungewöhnliche zusammengesetzte Quartett entwickelte eine Dynamik, die man manch klassischem Jazzensemble wünschen würde.

Ein Appell von Dietmar Diesner

Die Möglichkeiten für diese radikale Musik sind weniger geworden, Kulturförderung wird zusammen gestrichen, Festivals sind bedroht und die Konzertlandschaft schrumpft jährlich. Österreich hat mit Nickelsdorf, Wels oder Ulrichsberg immerhin noch einige Orte, die der Entwicklung trotzen. Enthusiasten wie Hans Falb ist es zu verdanken, dass die Freiräume erhalten bleiben. Dem Saxofonisten Dietmar Diesner war es am Sonntag vorbehalten, darauf hinzuweisen. Sein Appell Richtung Politik, dass in einem vereinten Europa doch auch die Musik zur Verständigung beitragen könnte, bleibt hoffentlich nicht unerhört.

Das anschließende Konzert mit der Pianistin Simone Weißenfels in der evangelischen Dorfkirche war eines der Highlights des Festivals: Diesner begann es mit einem 15-minütigen Saxofonsolo. Mithilfe der Zirkularatmung erzeugte er ein bedrohliches, anschwellendes Klanggemälde, das den kompletten Raum ausfüllte. Diesner bewegte sich dabei, das Saxofon in der Waagerechten, durch den Mittelgang der Kirche, ging zur Empore hinauf, ehe er sich, wieder im Schiff angekommen, vor der Kanzel verneigte – vor dem sakralen Raum, vor dem aufmerksamen Publikum, vor allem aber vor den 35 Jahren der permanenten Konfrontation.

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