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Die gute alte Kinderoper ist meilenweit weg: Mario Wiegands „Die zertanzten Schuhe“ in Kassel. Foto: Nordhess. Kindermusiktage
Die gute alte Kinderoper ist meilenweit weg: Mario Wiegands „Die zertanzten Schuhe“ in Kassel. Foto: Nordhess. Kindermusiktage
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Gesamtkunstwerk mit Streichquartett: die Kinderoper „Die zertanzten Schuhe“ von Mario Wiegand in Kassel

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Ein Schulsporthalle, zwei Türme mit Schuhkartons, vier Sänger, sechs Musiker und zwei Kindergruppen: Der nüchterne Raum wird zum Spielplatz eines quirligen Experiments von gebündelter Kreativität, dessen Resultat – die Kinderoper „Die zertanzten Schuhe“ – Mitte März viermal im Rahmen der „Nordhessischen Kindermusiktage mit dem Vogler Quartett“ zu sehen und zu hören war.

Die Kindermusiktage, 2005 von der Ärztin Tamara Lehmann unter dem Dach des Kammermusikvereins Kassel (heute Konzertverein) gegründet, haben der Schul- und Kulturszene in Kassel und der darumliegenden Region einen gehörigen Impuls gegeben. Die Idee: Ältere Schüler erarbeiten für jüngere, zum Teil unter Mitwirkung des in Sachen Musikvermittlung verdienten Vogler Quartetts aus Berlin, musikalische Darbietungen. Neue Kompositionen, Tanz, Schauspiel, Pantomime – an Ideen mangelte es in den ersten sechs Jahren wahrlich nicht. Inzwischen sind die Kindermusiktage eine Institution, von politischen Institutionen umworben, mehrfach dekoriert und zunehmend auch von Wirtschaftsunternehmen gefördert.

Beim siebten Mal sollte alles anders werden. Statt in einen bunten Abend mit Einzelbeiträgen sollten alle Anstrengungen in ein einziges Stück münden: „Die zertanzten Schuhe“ nach dem Grimm-Märchen von den zwölf Prinzessinnen, die immer nachts verschwinden und mit ruinierten Schuhen zurückkommen. Wer es herausfindet, dem verspricht der König eine der zwölf nach freier Wahl zur Frau und das halbe Königreich dazu. Gelingt es nicht, endet der Bewerber einen Kopf kürzer. Einer schafft es schließlich: der Schustergeselle (bei Grimms ist es ein Soldat). Die zwölfte Prinzessin findet sogar Gefallen an dem nicht standesgemäßen Jüngling. Hochzeit. Ende.

Mit Mario Wiegand wurde ein Komponist gefunden, der sich der Sache annahm und ein Libretto von Marec Béla Steffens vertonte, das recht frei mit der Vorlage umgeht. Die Musik Mario Wiegands für vier Sänger (Anna Bürk, Annegret Hoos, Mathias Monrad Møller und Philipp Mehr) und sechs Instrumente (neben dem Vogler Quartett Thomas Rimes, Klavier, und Olaf Pyras, Schlagzeug) ist auf höchst unterhaltende Weise eklektizistisch und meilenweit entfernt von der guten alten Kinderoper. Schräge Walzer werden von Schnulzen à la 20er Jahre und Musicalhitverschnitten gefolgt und immer wieder einmal durch eine Prise „neuer“ Musik gewürzt. Die Kinderchöre sind ebenso einfach wie wirkungsvoll.

Die Regie führte in dem kurzen, intensiven Probenprozess Nino Sandow, der offensichlich stressresistente Berliner Vollbluttheatermann, stets auf der Suche nach etwas, das er noch nicht gemacht hat. In zwei unterschiedlichen Besetzungen spielten und sangen jeweils zwei Schulklassen, zum Teil mit bewegendem Engagement.

Als sei dies alles noch nicht genug, wurde vorab ein Kompositionswettbewerb für Schüler ausgeschrieben. Eine Leerstelle im Stück – der Tanz der zwölf Prinzessinnen vor dem unterirdischen Schloss – sollte mit einer Komposition für Streichquartett gefüllt werden. Die beiden siegreichen Beiträge der jungen Polin Aleksandra Chmielewska und des Leistungskurses Musik des gastgebenden Friedrichsgymnasiums Kassel wurden in jeweils zwei der vier Aufführungen eingebaut.

Viermal war die Sporthalle voll, um die 1.500 Zuschauer sahen das Spektakel, dessen didaktische Absicht – die Hinführung zur Oper – so dezent verpackt war, dass der erhobene Zeigefinger diesmal keine Rolle bekam.

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